Deutsche Vermögensungleichheit fast 60% höher als angenommen

Vermögensungleichheit - Beitragsbild

Vermögensungleichheit: Es war auch schon bislang eine sattsame Spreizung. Das reichste Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung nennt 22% des gesamten Vermögens im Land sein Eigen. Als ob das nicht schon längst gereicht hätte, zeigt sich jetzt, dass die Ungleichheit in der Vermögensverteilung sogar noch viel größer ist. Nach einer Anpassung des Sozioökonomischen Panels um besonders reiche Bürger*innen wurde klar: Dieses Prozent verfügt sogar über 35% des gesamtdeutschen Vermögens – also fast 60% mehr, als ursprünglich festgestellt. Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass Ungleichheit stark mit einer Menge gesellschaftlicher Probleme korreliert, ein Umstand mit sozialer Sprengkraft.

Vermögensungleichheit: Die DIW Studie

Ausgangspunkt war die Feststellung im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung über die unzureichende Datenlage bezüglich (extrem) hoher Vermögen. Dies lag schlicht daran, dass Millionäre und insbesondere solche mit sehr hohen Vermögen im Sozioökonomischen Panel (SOEP) unterrepräsentiert waren. In der Folge wurde der Datensatz  nun im Rahmen des neuen SOEP-P um Reiche mit einem Vermögen von 3 bis 250 Millionen ergänzt und zudem nochmals über eine Liste des Manager Magazins zu den 700 reichsten Deutschen mit hiesigem Wohnsitz erweitert.

“Im SOEP werden insgesamt acht Arten des Bruttovermögens erhoben:

  • selbst genutztes Wohneigentum,
  • sonstiger Immobilienbesitz (unter anderem unbebaute Grundstücke, Ferien- und Wochenendwohnungen),
  • Geldvermögen (Sparguthaben, Spar- und Pfandbriefe, Aktien und Investmentanteile),
  • Vermögen aus privaten Versicherungen (Lebens- und private Rentenversicherungen einschließlich sogenannter Riester-Verträge),
  • Bausparguthaben,
  • Betriebsvermögen (Besitz von Einzelunternehmen und Beteiligung an Personen- oder Kapitalgesellschaften, nach Abzug von betrieblichen Verbindlichkeiten),
  • Sachvermögen in Form wertvoller Sammlungen wie Gold, Schmuck, Münzen oder Kunstgegenstände sowie
  • der Wert von Fahrzeugen” ((DIW Monatsbericht #29: 516)

Dem stehen verschiedene Verbindlichkeiten gegenüber: Hypothekenkredite auf selbst genutzte Immobilien und auf sonstige Immobilien, Konsumentenkredite und Studienkredite. Der nun ergänzte Datensatz führt zu einem wesentlich genaueren Bild:

SOEP-P erlaubt es zusammen mit dem regulären SOEP und öffentlich zugänglichen Reichenlisten erstmals, die komplette Vermögensverteilung der Bevölkerung in Deutschland zu beschreiben. (DIW Monatsbericht #29: 512)

Mit dem neuen SOEP-P verändert sich auch der Gini-Koeffizient deutlich, mit dem Ungleichverteilungen jeglicher Art, also auch von Vermögen angegeben werden können. Dabei liegt das Ergebnis zwischen 0 und 1. Bei 0 wären – im Falle der Vermögensverteilung – das gesamte Vermögen gleich verteilt, bei 1 wäre es im Besitz einer Person. So lag der Gini-Koeffizient für die deutsche Vermögensverteilung auf der Basis des SOEP bei 0,78 und stieg mit dem integrierten SOEP-P auf 0,81 und nach Ergänzung der Reichenliste des Manager Magazins noch auf 0,83. Somit liegt er gemäß der präziseren Daten um gut 6% höher als zuvor. “Damit liegt die Vermögensungleichheit in Deutschland auch im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau.” (DIW Monatsbericht #29: Milliarden 515)

Last but not least ist die Verteilung entlang der demographischen Merkmale Geschlecht und Alter eine Zementierung patriarchaler Gesellschaftsverhältnisse: “In der Gruppe der MillionärInnen befinden sich hingegen ganz überwiegend Männer, der Frauenanteil liegt bei lediglich etwa 31 Prozent. Auch die Altersverteilung verschiebt sich entlang der Vermögensverteilung deutlich: Je höher das Vermögen, desto älter die Person dahinter.” (DIW Monatsbericht #29: 517) Das das Vermögen mit dem Alter tendenziell zunimmt, scheint mir auf den ersten Blick klar, denn je länger ich mein Vermögen investieren konnte, je länger ich Unternehmen, die mir gehören, aufbauen konnte, desto größer nun mal mein Vermögen. Dass es aber vor allem mal wieder Männer sind, ist zwar wenig überraschend, aber ein schmerzhafter Beleg Jahrhunderte währender männlicher Vorherrschaft.

Vermögensungleichheit – Die Mutter aller Probleme

Aber warum sollte uns das überhaupt zu denken geben? Gibt’s nicht vielmehr den Trickle-Down-Effekt, dass von dem steigenden Wohlstand der Wohlsituierten bis Superreichen auch etwas zu den weniger Wohlhabenden bis hin zu den Armen durchsickert? Nein, eben nicht. Gerade diese Theorie konnte empirisch bislang nicht nur nicht bewiesen werden, sondern wurde vielmehr durch eine Studie des Internationalen Währungsfonds 2015 – sehr vorsichtig formuliert – deutlich in Frage gestellt. Denn die gesamte Wirtschaftslage verbessert sich vielmehr durch eine Steigerung des Einkommens der unteren Einkommensschichten, während eine Zunahme der Einkommen der obersten 20% zu einer langfristigen Reduktion des BIP-Wachstums führt. Und ja: Einkommen ist nicht gleich Vermögen.

Deshalb gilt im Zusammenhang mit der hier diskutierten Vermögensungleichheit, dass dieser Effekt überhaupt keinen Sinn mehr macht: Denn die Vermögen bleiben im Allgemeinen durch Vererbung in der Familie. Und die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die Ungleichheit eben noch deutlich größer ist, als bislang angenommen. Somit stehen wir vor vielen Herausforderungen, die mit (finanzieller) Ungleichheit stark korrelieren. Schon vor 11 Jahren belegten Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem äußerst empfehlenswerten Buch “Gleichheit ist Glück“, welche gesellschaftlichen Probleme stark mit Ungleichheit korrelieren:

  • Gemeinschaft, Vertrauen und soziale Beziehungen
  • Seelische Gesundheit und Drogenkonsum
  • Gesundheit und Lebenserwartung
  • Fettleibigkeit
  • Schulische Leistung
  • Teenagerschwangerschaften
  • Gewalt
  • Gefängnis und Bestrafung
  • Soziale Mobilität

Das passt dann leider auch zu den aktuellen Ergebnissen der DIW Studie über die Lebenszufriedenheit im Vergleich zu den verschiedenen Vermögenslagen. Die Zufriedenheit liegt bei der unteren Vermögenshälfte auf einer Skala von 0-10 bei 7,1 und bei Millionärinnen bei 8,2. Der Spiegel Kolumnist Thomas Fricke stellt dazu in seinem Beitrag “Geld macht doch glücklich” klar: “Da gibt’s keinen Ärger mit Vermietern. Da kann man mal einen Job hinschmeißen, ohne schon einen neuen zu haben. Da kann es im Rest des Landes auch mal ordentlich kriseln. Und selbst eine Corona-Pandemie lässt sich in der Villa bei entsprechendem Vermögen zur meditativen Wohlfühlphase umdeuten.” (Fricke 2020)

Die ohnehin fragliche Situation verschärft sich weiter angesichts des Zusammenhangs zur (Rechts)Radikalisierung: “Nirgendwo hängt das Glücksempfinden so daran, wie gut es wirtschaftlich gerade läuft. Und nirgendwo gab es seit der Wende so viel Umbruch. Und seit Jahren so auffällig viel Sympathie für Radikale.” (ebnd.) Was prinzipiell auch erst mal nachvollziehbar ist angesichts der oben aufgeführten Liste der Korrelationen zu diversen Gesellschaftsproblemen. Wenn dann noch eine Austeritätspolitik dazu kommt, scheint es fast zwangsläufig zu einer deutlichen Stärkung rechter Gesinnung zu führen (vgl: Wie Sparpolitik zu rechtem Wählerverhalten führt.)

Und als ob das alles noch nicht genug wäre, kommt noch ein Aspekt hinzu, der die Sprengkraft der Ungleichheit weiter potenziert: Wie verdient ist eigentlich das Verdienst der (Super)Reichen? Erstens sind die Topgehälter für Topmanager keineswegs so berechtigt, wie immer behauptet, wie ich in meinem Beitrag Schluss mit diesem Businessmärchen: Topgehälter für Topmanager ausführte. Zweitens kann ich nicht im Geringsten erkennen, welche Leistung darin bestehen soll, zufällig Tochter oder Sohn reicher Eltern zu sein und eines Tages das Familienvermögen vererbt zu bekommen. Diese sowieso überaus fragwürdige Situation wird noch durch massive Einkommensungleichheiten verstärkt, die wir in einem ganzheitlichen New Pay schleunigst reflektieren sollten.

Der Wichtigste für eine gesunde und integre Gesellschaft ist die Auflösung der drastischen Vermögens- und Einkommensungleichheit. Andreas Zeuch

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Quellen

  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2017): Lebenslagen in Deutschland. Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (online verfügbar; abgerufen am 7. Juli 2020.
  • Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Millionärinnen unter dem Mikroskop. Datenlücke bei sehr hohen Vermögen geschlossen – Konzentration höher, als bislang ausgewiesen. In: DIW Wochenbericht #29: 511-521
  • Fricke, T (2020) Geld macht doch glücklich. Spiegel Online

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Plattenbau: ©Doris Antony, CC BY-SA 4.0; Luxusvilla: ©Daniel Barnes, unsplash, lizenzfrei
  • Cover Bericht DIW: Screenshot
  • Cover Gleichheit ist Glück: ©Zweitausendeins, lizenzfrei

 

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