Warum wir ein Forschungskolloquium veranstalten

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Mit dem Relaunch unserer Website Ende Januar 2020 ging auch unser Themenfeld Evidence Based New Work an den Start. Wir glauben, dass es wichtig ist, neue Formen der Arbeit, Organisationsgestaltung und -führung auf wissenschaftlicher Evidenz zu basieren. Denn unserer Auffassung nach beherrschen bis heute vorwiegend subjektive Annahmen über New Work, Selbstorganisation und Agilität die Arbeit an diesen wichtigen Themen. Auch der Weg dorthin, die Transformation von Organisationen, ist eher eine Glaubensfrage als wissenschaftlich fundiertes Vorgehen. In diesem Zusammenhang steht unser Forschungskolloquium.

Seit einigen Jahren bekomme ich persönlich, auch schon als ich noch als Einzelberater unterwegs war, regelmäßig Anfragen von Student*innen oder Doktorand*innen für Interviews und ganz allgemein irgendwelche Formen von Unterstützung beim Vorhaben von Bachelor und Masterarbeiten sowie Dissertationen. Ich bin diesen Anfragen gerne nachgekommen und so entstand ein Pool von jungen Menschen, die sich wissenschaftlich mit verschiedenen Fragen neuer Arbeit und Organisationsformen auseinandersetzten und -setzen.

Meine eigenen Erfahrungen

Somit entstand im Laufe der Zeit die Idee, diese Menschen mit einem Forschungskolloquium zu unterstützen. Schließlich erinnere ich mich noch gut an das Forschungskolloquium, in dem ich selbst von 1999 – 2003 im Rahmen meiner eigenen Doktorarbeit an der soziologischen Fakultät in Tübingen regelmäßig teilnahm. Es war oftmals sehr hilfreich, sich mit anderen Doktorand*innen über die eigene Arbeit auseinanderzusetzen, methodische wie inhaltliche Fragen zu diskutieren und aufkommende Probleme zu lösen oder zumindest Lösungsimpulse zu bekommen.  Wenn mensch nur lange genug im eigenen Saft vor sich hinschmort, fehlt irgendwann die nötige Distanz zum Forschungsgegenstand. Das war die vordergründige Seite.

Darüber hinaus gab es noch eine gruppendynamische und motivationale Seite: Wer promoviert, hat – wenn mensch nicht gerade eine geringstmögliche medizinische Dissertation verfasst – ein mehrjähriges Projekt vor sich. Nicht selten ist dieses Vorhaben maßgeblich von der eigenen Motivation abhängig. So war es auch bei mir. Angefangen bei der Entwicklung eines passenden Themas (ist Intuition eine professionelle, trainierbare Kompetenz?) über die Suche nach einem passenden Lehrstuhl und Begeleiter*innen bis hin zur Frage der Finanzierung durch eine Promotionsstelle, einem davon unabhängigen Job oder was auch immer. Auf diesem Weg trifft praktisch alle früher oder später ein motivationales Tief bis hin zu Phantasien, alles hinzuschmeißen. Und genau in solchen Phasen kann die Einbindung in eine Gruppe mehr oder weniger Gleichgesinnter äußerst hilfreich sein.

Allerdings hatte auch ich in meiner Promotionszeit hie und da noch mit etwas ganz anderem zu kämpfen: Der Arbeitsbeziehung zu meiner Doktormutter und dem Institut, an dem ich promovierte. Nur ein Beispiel: Irgendwann fragte ich, was ich noch tun müsse, um die Arbeit mit der Bestnote Summa Cum Laude abzuschließen. Die Antwort lautete sinngemäß folgendermaßen: “Ach, hätte ich das gewusst, hätte ich sie anders beraten. Um es klarzustellen: Ein Summa bekommen nur Promovierende, die anschließend auch bei uns arbeiten.” Das hat mir dann erst mal die Sprache verschlagen. Denn erstens ist es meines Erachtens die Pflicht aller Doktormütter und -väter, aktiv von Anfang an selbst zu klären, was die Promotionsanwärter*innen erreichen wollen. Das inkludiert die angestrebte Note. Zweitens ist es aus meiner Sicht ein Unding, eine Promotion zu einem Personalauswahlinstrument umzufunktionieren. Wie kann es sein, dass eine herausragende Arbeit (und damit meine ich nicht meine) nicht mit der Bestnote bewertet wird, nur weil die Doktorand*innen anschließend nicht an dem Lehrstuhl arbeiten wollen? Dementsprechend war ich frustriert bis verärgert. Und hatte kein Gremium, in dem ich mir dazu Unterstützung holen konnte.

Last but not least fehlte mir in meinem Forschungskolloquium noch etwas anderes: Die Auseinandersetzung mit den Motivationen der Doktorand*innen. Warum will eigentlich jemand eine Doktorarbeit schreiben? Warum sich diese mehrjährige Arbeit antun, die fast ausschließlich schlecht bezahlt ist oder nicht selten nebenberuflich vollzogen wird (wie in meinem Fall). Worum geht es dabei im Allgemeinen, also ganz grundsätzlich: Warum will jemand einen Doktortitel erlangen? Soll damit der eigene Wert für die weitere Erwerbsbiografie nach oben getrieben werden? Geht es darum, die eigenen wissenschaftlichen Kompetenzen weiterzubilden? Ist es ein Übergangsraum aus dem Studium ins Berufsleben? Eine Form der Prokrastination? Und warum genau dieses Thema? Und all das ist oftmals im Verlauf einer Arbeit immer wieder mal wichtig, war aber leider so gut wie kein Thema in meinem Forschungskolloquium seinerzeit.

Unser Forschungskolloquium

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen und auch der unserer Kollegin Julia Heuritsch, die aktuell noch in ihrer Promotion mitten drin ist, haben wir uns entschlossen, selbst ein Forschungskolloquium anzubieten. Es ist offen für alle, die sich in irgendeiner Form einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit (Bachelor, Master, Promotion) befinden und ein Thema im Kontext professioneller Selbstorganisation untersuchen. Die Schlagwörter sind dabei variabel: Selbstorganisation, Agilität, Unternehmensdemokratie, Partizipation, New Work, etc.

Zur Zeit treffen wir uns einmal im Quartal im Rahmen eines halbtätigen ZoomMeetings. Ende Januar folgt der dritte Termin mit der ersten Gruppe. Aktuell sind fünf Teilnehmer*innen dabei – davon sind ähnlich wie in unserem VirtSpace Team 80% Frauen (es geht also, die nervtötende männliche Dominanz muss keineswegs sein). Und die nächste Teilnehmerin hat schon Interesse angemeldet (allmählich könnte mensch uns unterstellen, der einzige männliche Teilnehmer wäre unser Quotenmann).

Inhaltlich findet bei uns alles Platz, über das ich oben bei meinen eigenen Erfahrungen erzählte:

Fachliche Themen
  1. Die grundlegenden Elemente der Forschungsfragen und Hypothesenbildung.
  2. Das Forschungsdesign mit qualitativen und/oder quantitativen Ansätzen.
  3. Die Methoden zur Datenerhebung und -auswertung und deren Kombination.
  4. Die Planung/Organisation der Arbeit und der Datenerhebungen sowie -auswertungen.
  5. Vernetzung zu weiteren hilfreichen Forschungskollegen oder -objekten.
  6. Feedback zu Textpassagen, Kapiteln oder Artikeln bei kumulativen Dissertationen.
Psychologische Themen
  1. Die grundsätzliche Motivation für eine Dissertation überhaupt und für ein jeweiliges Thema (auch bei anderen Abschlüssen wie Bachelor und Master).
  2. Fragen, Herausforderungen und Probleme mit Doktormüttern und -vätern und den jeweiligen Lehrstühlen
  3. Fragen, Herausforderungen und Probleme mit beforschten Personen und Institutionen

Stimmen aus unserem Forschungskolloquium

“Das Forschungskolloquium ist eine tolle Basis für einen inspirierenden Austausch, Weiterentwicklung und Mehrwert. Wir treffen uns auf Augenhöhe, geben Feedback und teilen unsere Gedanken und Inhalte. Ich bin sehr dankbar, diese Gruppe gefunden zu haben.” Veronika Donner, Master Studentin

“Das Forschungskolloquium ist für mich ein Ort zum Nachdenken und Träumen, zum kritischen Fragen und ehrlichem Antworten, zum Ideen Teilen und Gedankenanstöße bekommen, zum ruhigen Zuhören und engagiertem Diskutieren – danke für diesen schönen Raum der Möglichkeiten!” Sinje Grenzhöfer, Doktorandin

“Durch das Forschungskolloquium erhalte ich Unterstützung durch anregende Diskussionen, Impulse und zusätzlich weiß ich, dass ich nicht alleine bin bei den Herausforderungen des wissenschaflichen Arbeitens.” Sandra Jäger-Pötzke, Master Studentin, evtl. Doktorandin

„Das Forschungskolloquium der unternehmensdemokraten ist eine großartige Möglichkeit mit einer engagierten, motivierten und multi-disziplinären Gruppe junger Forscher*innen gemeinsam zu reflektieren, diskutieren und den eigenen Horizont zu weiten. Man spürt sehr deutlich den Forschungsgeist der all jene antreibt, die das gemeiname Ziel verbindet, Wissen zu schaffen in einem Forschungsgebiet, das sehr neu, innovativ und dynamisch ist – und dadurch umso größere Forschungspotentiale enthält.“ Christian Kroll, Doktorrand

Janina Lermer, Teilnehmerin unserer 1. Gruppe

„Ich bin sehr dankbar dafür, beim Forschungskolloquium der unternehmensdemokraten dabei sein zu dürfen. Austausch macht in der Wissenschaft einfach den entscheidenden Unterschied. Man läuft weniger Gefahr, einem Selbstbestätigungsfehler zu unterliegen, sondern bekommt andere Anregungen, Gedanken und Perspektiven für das eigene Forschungsvorhaben mit auf den Weg sowie Einblicke in relevante neue Forschungsbereiche im Kontext Arbeits- und Organisationsentwicklung. Außerdem finde ich die Arbeit der unternehmensdemokraten einfach unglaublich wichtig, da es unbedingt an der Zeit ist, neue Formen des Zusammenarbeitens zu finden und anzuwenden. Ich bin stolz ein Teil dessen sein zu dürfen und gehe unglaublich inspiriert aus dem Austausch mit dem ganzen Team und den anderen Forschern aus dem Forschungskolloquium heraus.“ Janina Lermer, Master Studentin

 

Wir freuen uns auf unsere weiteren (virtuellen) Treffen und auf alle weiteren Interessenten an unserem Forschungskolloquium. Und sind gespannt, wohin uns diese Reise noch führen wird.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Mimi Thian, unsplash, lizenzfrei
  • Janina Lermer: Privat, mit freundlicher Genehmigung

 

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