Kaum ein Recht unterliegt so vielen Änderungen wie das Arbeitsrecht. Quasi jährlich gibt es Ergänzungen, neue Regelungen und Anpassungen. Das zeigt, dass es kaum ein Recht sonst gibt, das uns in unserem täglichen (Arbeits-)Leben so stark tangiert. Und dass ebenso vieler regulierender Eingriffe bedarf. Bleibt da überhaupt noch Spielraum? Ist das Arbeitsrecht trotz oder gerade wegen der vielen Änderungen nicht zu starr für das, was „da draußen“ zwischen Markt und Mensch passiert?
Änderungen 2021
Die zum Beginn des neuen Jahres umgesetzten Änderungen reagieren im Wesentlichen auf das Pandemiejahr 2020. So wurde im Jahr 2020 Betriebsräten erstmalig die Möglichkeit gegeben, ihre Beschlüsse virtuell zu fassen und auch virtuelle Betriebsversammlungen abzuhalten. Der dazu geschaffene § 129 BetrVG war ursprünglich bis zum 31. Dezember 2020 befristet, wird nun jedoch bis einschließlich 30. Juni 2021 verlängert. Allein diese Entscheidung zeigt die Schwachstelle des Prozesses auf: das Arbeitsrecht treibt in der Regel nicht voran, was möglich wäre, sondern ist reaktiv. Zudem ist es in seiner Nähe zum Zeitgeschehen durch die Vielzahl der beteiligten Akteure oft langsamer als gewünscht. Die zeitliche Befristung des § 129 BetrVG – so meine Meinung – ist durchaus in Frage zu stellen. Denn dass eine virtuelle Beschlussfassung einer physischen nur bei wenigen Aspekten unterlegen ist, haben wir wohl alle spätestens in 2020 gelernt.
Die Verlängerung der Corona Regeln incl. des erleichterten Zugangs zu Kurzarbeitsregelungen gehört in eine ähnliche Kategorie – der einer nachgelagerte Reaktion auf äußere Entwicklungen.
Bleibt da kreativer Spielraum?
Nun kann man als innovativer Unternehmer kaum darauf warten, dass sich das Arbeitsrecht ändert, wenn man („plötzlich“) Prozesse oder Methoden einführen möchte, die eventuell noch nicht geregelt sind oder nicht so, wie es gut passt.
Umgekehrt neigen Menschen dazu, Gesetze und Regelungen auszureizen und Grenzen auszutesten (nicht zuletzt die Diskussion um die maximalen Kontaktmöglichkeiten an den Feiertagen 2020 haben dies überdeutlich gezeigt).
Spielregeln und Spielvarianten
Damit Wandel gelingt, geht es um die Verknüpfung des „agilen Gedankens“ mit rechtlicher Sicherheit und Konformität. Sofern sich Unternehmen also dafür entscheiden, agil zu arbeiten, ist das ein Einzahlen auf eine Vertrauenskultur. Gerade damit dieses Vertrauen entstehen kann und auch langfristig bleibt, sind bestimmte rechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Rechtliche Verlässlichkeit schafft Vertrauen. Aus Sicht der Organisationspsychologie ist das Arbeitsrecht genauso wie eine stabile Führungs- und Unternehmenskultur also eine der „Leitplanken eines Veränderungsprozesses“.
Innerhalb dieser Leitplanken kann sich neues Arbeiten einen verlässlichen und stabilen Handlungsspielraum erschaffen, in dem situatives Arbeiten möglich ist. Unternehmen und auch Mitarbeiter brauchen Spielräume, in denen sie Zusammenarbeit ausprobieren können. Es macht Sinn, einen gesetzlichen Rahmen zu haben, der diese Spielräume betrieblich zulässt. Hier könnten zum Beispiel auch Tarifvertragsparteien eine wichtige, regulierende Funktion übernehmen. So bieten gerade kollektivrechtliche Vereinbarungen eine rechtssichere und damit auch vertrauensvolle Grundlage, die gleichzeitig aber auch New Work-kompatible Freiräume und die für Unternehmen so wichtige optimierte Reaktionsgeschwindigkeit ermöglichen. Beispielhaft seien hier die tariflichen Regelungen der Metall- und Elektroindustrie, der Chemischen Industrie oder auch der Deutschen Bahn zu mobiler Arbeit oder auch zu Modellen wie „Wahlrecht auf Zeit statt Geld“ genannt.
Das kollektive Arbeitsrecht ist gleichzeitig „kreativkompatibel“ genug, um Spielarten innerhalb der Organisation zu zuzulassen. Ja es ermöglicht sie sogar besser als ein komplett rechtsfreier Raum!
Spielarten
Die ad hoc getroffenen Lösungen zum mobilen Arbeiten vor allem seit März 2020 sind eine solche für alle sichtbar gewordene kreative und für alle Beteiligten positive Spielart innerhalb des Arbeitsrechts. Hier war und ist viel möglich im gegenseitigen Einvernehmen auf individuell vereinbarter Ebene, innerhalb der Unternehmen und ihrer Teams. Wir kennen das von früher, oder? Da hatten so manche Freunde auch andere Spielregeln für das gleiche Spiel und es galt sich im Vorfeld auf gleiche Regeln zu verständigen wohlwissend, dass die allgemein gültigen Regeln in der Spielanleitung standen.
Oft passiert es dann, das solche Spielarten ausgenutzt werden: aus mobilem Arbeiten wird ein Zuviel oder Zuwenig. An den dann folgenden Diskussionen wie dem „Recht auf Home Office“, einer neuen „Arbeitszeiterfassung“ oder dem EU-weit angedachten „Recht auf Nichterreichbarkeit“ ist aber nicht das Arbeitsrecht als solches „schuld“. Es sind allein die Menschen die das innerhalb der Leitplanken abgesteckte Vertrauen missbrauchen. Gar nicht unbedingt mutwillig, sondern aus der Unwissenheit darüber, dass Kreativität und Selbstorganisation eben auch eine ordentliche Portion Selbstverantwortung und Selbstdisziplin benötigen.
Kreatives Arbeitsrecht braucht selbstständige Mitarbeiter
Es ist also ein Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen – oder eher eine Wechselwirkung, deren positive Energie wir unbedingt für die zukünftige Arbeitswelt nutzen dürfen: Wir dürfen stolz sein auf tradierte, erprobte Regelungen im Arbeitsrecht, die uns eine breite Spielwiese für die Gestaltung von Arbeitsbeziehungen bieten. Sich auf etwas verlassen zu können tut gut – gerade in Krisenzeiten. Umgekehrt gilt es sowohl für Arbeitnehmer wie auch für Arbeitgeber daneben ungeregelte Räume zuzulassen. Denn hier entstehen Innovation und Zukunft. Es sind geschützte Räume ähnlich denen eines Think Tanks im Konzern.
Nur wenn diese Räume zu Lasten anderer ausgenutzt werden oder nicht mit den übrigen Räumen des Unternehmens interagieren und kommunizieren – dann entsteht neuer Regelungsbedarf.
Fazit
Wenn wir uns diesen Prozess der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Arbeitsrechts immer wieder vor Augen halten, wenn wir uns vor allem selbst als Akteure und Mitgestalter dieses Rechtsraums begreifen, dann ist Arbeitsrecht total kreativ.
Können wir uns darauf einigen?
Mich würde es sehr freuen – denn dann ist meine Rolle zwischen HR und agiler Anwältin doch absolut perfekt für diese neue Arbeitswelt, die ich so mag!
Herzliche Grüße
Britta
Britta bietet über unseren VirtSpace zwei VirtShops an:
Neue Arbeitswelt: Mit Arbeitsrecht kreativ gestalten. (Nächster Termin: 25.02.21)
Agile Mitbestimmung: Wird der Betriebsrat zum Scrummaster? (Nächster Termin: 25.03.21)
Alle Infos findet Ihr auf der VirtSpace Seite “Recht”.
Quellen
- Haufe Online Redaktion, Alle relevanten HR-Themen zum Jahreswechsel 2020-2021; https://www.haufe.de/personal/jahreswechsel-alle-hr-relevanten-aenderungen_48_430364.html
- Redmann, Britta: Ein Recht auf Nichterreichbarkeit; https://www.britta-redmann.de/ein-recht-auf-nichterreichbarkeit/
- Redmann, Britta; Wintermann, Birgit: New Work: Potentiale nutzen – Stolpersteine vermeiden; Ein Leitfaden zu regulatorischen Grenzen und Chancen, Bertelsmann Stiftung, https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/new-work-potentiale-nutzen-stolpersteine-vermeiden-all
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