Am 20. April 2018 hielt ich bei der Zukunftskonferenz der Fresenius Hochschule Idstein einen Vortrag über Unternehmensdemokratie. Danach kam ich unter anderem mit Gerald Jude ins Gespräch, Geschäftsführer der meerdesguten GmbH in Wiesbaden und Berlin. Wir unterhielten uns schnell angeregt über Selbstorganisation im Allgemeinen und eine mögliche Transformation seines Unternehmens im Besonderen. Das war der Auslöser zum heutigen Blogpost, den ich gemeinsam mit Gerald verfasst habe.
Heute, zweieinhalb Jahre später ist eine Menge bei meerdesguten und den unternehmensdemokraten passiert. Das wir uns gemeinsam auf eine geduldige Reise in Richtung von mehr und besserer Partizipation bei meerdesguten gemacht haben, ist nur ein Aspekt, um den es hier und heute nicht gehen soll. Stattdessen möchten wir den Fokus auf etwas anderes lenken. Etwas, dass uns im Laufe dieser Zeit sehr deutlich wurde:
Vordergründig bieten wir reichlich unterschiedliche Leistungen an. meerdesguten firmiert als Markenberatung und Kreativagentur während wir unternehmensdemokraten im Großen und Ganzen eine Unternehmensberatung sind (wenngleich mit einem klaren Fokus auf Transformation und Selbstorganisation). Ich selbst wäre vor der Begegnung mit Gerald und unserer Zusammenarbeit nicht auf die Idee gekommen, dass diese beiden Leistungsfelder zusammengehören.
Transformation
Unser unternehmensdemokratischer Claim lautet: “Wir begleiten Menschen und Organisationen auf dem Weg zu mehr und besserer Partizipation.” Wir werden also immer dann tätig, wenn es entweder um eine Transformation vom alten Paradigma der Organisationsführung und -gestaltung (Trennung von Denken und Handeln, Planen und Ausführen) hin zu einem neuen geht (Selbstorganisation, Einheit von Denken und Handeln, Planen und Ausführen). Oder wenn eine schon bestehende Selbstorganisation weiterentwickelt werden soll. Deshalb gilt für uns: Transformation ist die Re-Integration von Denken und Handeln. Change ist eine Veränderung innerhalb des alten Paradigmas. Wir könnten auch sagen: Transformation ist die Arbeit am und Change die Arbeit im System (analog zur Unterscheidung von Leadership und Management).
Bei einer Transformation kommt es unserer Erfahrung nach oft zu erheblichen Veränderungen des Selbstverständnisses und Selbstbildes. Wer sind wir, wenn wir uns nicht mehr so organisieren, wie die letzten 10, 20 oder 50 Jahre? Wie verstehen wir uns als als Team, Abteilung, Bereich und Unternehmen, wenn wir die teils Jahrzehnte währenden kulturellen und strukturellen Merkmale loslassen, um sie durch deutlich partizipativere zu ersetzen? Wer sind wir, wenn wir wirklich versuchen, nicht nur metaphorisch sondern durch und durch auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten? Wenn wir beginnen, bei der Erzeugung und dem Vertrieb unserer Produkte und Dienstleistungen so oft wie möglich auch auf das Gemeinwohl achten, auf eine sozial-ökologische Nachhaltigkeit?
Wenn all das passiert, Schritt für Schritt: Wie sehen wir uns dann selbst? Wie wollen wir gesehen werden? Schließlich ändert sich unsere innere Vorstellung, das innere Bild der Organisation im Laufe der Transformation (oder auch schon davor). Das alte Paradigma wird im Organigramm in Form einer Pyramide dargestellt mit einem klaren Oben und Unten. Es hat sich als Archetyp in unseren kollektiven Geist eingegraben und dort im Laufe der Jahrzehnte eine erhebliche Gravitation erreicht. Aber was, wenn dieses Bild nicht mehr stimmt? Wenn die Leitdifferenz Oben-Unten nicht mehr zutrifft. Statt dessen ist jetzt oder in Zukunft vielmehr die Unterscheidung von Innen-Außen für unsere Organisation zutreffend. Etwas, was sich mit einem Kreis viel besser symbolisieren lässt, weil dort ein Oben und Unten viel weniger klar assoziiert wird.
Metaphorisch ist die Transformation vielleicht die Verwandlung von der Maschine hin zum Organismus. Die Bilder der Organisation (Gareth Morgan) ändern sich nicht selten in erheblicher Weise. Die Organisation ist nicht mehr starr, sondern wird fluide, flexibel. Und sie ist nicht mehr trefflich in Businessblau verfasst, sondern vielleicht in einem satten Grün, Gelb, oder Orange … Denn wo früher Nachhaltigkeit vielleicht noch etwas für Ökospinner war oder bestenfalls gleichgültig, wird sie jetzt vielleicht zu einem authentischen Bedürfnis. All das führt keineswegs immer, möglicherweise nicht mal besonders oft, aber zumindest immer wieder auch zu ganz realen Veränderungen der physischen Umgebung. Mir fallen genug Kunden ein, die im Laufe ihrer Transformation angefangen haben, ihre Büros umzubauen, Wände rauszureißen, oder gleich ganz umzuziehen, weil die Umgebung nicht mehr zum neuen in Entwicklung befindlichen Selbstbild passte.
So ist es wenig erstaunlich, dass wir bei diversen Kunden beobachten, dass sie im Laufe einer Transformation und der damit sich verändernden Corporate Identity beginnen, am Corporate Design zu arbeiten. Den sichtbarsten Ausdruck findet das oft in einer neuen Website, die sich so manches mal im grundlegenden Gefühl erheblich von der vorherigen unterscheidet. Ein Berliner Kunde ist mir da besonders im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich noch gut, wie ich zu Beginn unserer Zusammenarbeit über die für mich schräge Ausstrahlung der alten Website gestolpert war. Sie passte für mein Gefühl schon damals nicht und wurde im Laufe der Zeit immer befremdlicher. Die Bildsprache der alten Internetpräsenz wäre im Lauf der Transformation ein grotesker Widerspruch zu der Veränderung geworden.
Kurzum: Wer sich transformiert (in unserem strikten Sinn, nicht als Kosmetik oder zeitgeistiges Buzzwordbingo), verändert die eigene Identität. Und das erfordert oftmals ein neues Corporate Design und eine neue (Marken)Kommunikation im Innen- und Außenverhältnis.
(Unternehmens)Kommunikation
Am Anfang eines Kommunikationsprojektes steht für uns bei meerdesguten die Frage nach dem Charakter, sprich der Identität des Unternehmens. Das hat folgenden Hintergrund: Um authentisch zu kommunizieren, ist es unerlässlich, sich zuerst mit der Identität, den Werten und dem Nutzen einer Organisation zu beschäftigen. Nur auf dieser Grundlage lässt sich authentische, ganzheitliche und nachhaltig wirkungsvolle Kommunikation gestalten. Denn reine Kosmetik nützt weder den Kunden noch deren Stakeholdern. Das Gute dabei: Viele Organisationen bringen schon eine gute Basis hierzu mit, andere wiederum gehen lieber mit uns gemeinsam in den (Selbstfindungs-) bzw. Erkenntnisprozess.
Eins haben die Projekte, zu denen wir gerufen werden, aber gemeinsam. Hinter dem Wunsch nach einem neuen Corporate Design, einer Markenstrategie oder auch einer aufmerksamkeitsstarken Maßnahme steckt immer auch der Wunsch nach Veränderung oder Weiterentwicklung. Das wird uns meist schon in den ersten Schritten der Zusammenarbeit klar, egal ob in Vorgesprächen, Workshops, in Umfragen oder konzeptionellen Diskussionen mit der Geschäftsleitung oder dem Vorstand. Ob der Veränderungswunsch auch tatsächlich mit Veränderungsmut einhergeht, lässt sich ganz gut mit der Infragestellung von etablierten Symbolen testen. Die Frage “Steht das Logo auch zur Disposition?” fungiert hier nicht selten als “Mutmesser” und liefert zuverlässig ungefilterte und emotionale, authentische Reaktionen 😉
Worauf es mir aber ganz besonders ankommt: Wie bei vielen Menschen geht auch in Organisationen der Wunsch nach Veränderung, Klarheit oder Weiterentwicklung mit dem Impuls einher, damit auch das Äußere zu verändern. Und wie so oft wird dieser gestalterische Veränderungsimpuls zuerst gespürt, bevor es an der Wurzel zur Erkenntnis des bewussten Wollens und somit zur inneren Veränderung kommt. Das ist auch komplett schlüssig, denn Veränderung ohne Veränderung der Umgebungsparameter funktioniert fast nie.
Zeichen setzen
Auch Andreas hat das vorher schon erwähnt. Veränderung geht oft mit dem Akt des “Wänderausreißens” einher und das ist – wie Andreas schon beschrieben hat – ein passendes Bild für den Wunsch nach der sichtbaren Inszenierung der Veränderung. In diesem Sinne ist auch die kommunikative und multimediale Begleitung der Veränderungsprozesse, Manifestation, Erinnerung, Verstärkung oder Bestätigung geeignet, Veränderung zu beschleunigen und stärker zu implementieren. Doch auch hier geht es uns nicht nur um den “funktional” begleitenden Charakter der Kommunikationsmaßnahmen. Um eine Organisation zu entwickeln, zu verändern oder zusammenzuhalten, braucht es eine Sinnkopplung, eine gemeinsame Zukunftsvision.
Zukunft gestalten
So besteht unsere Arbeit eben nicht darin, Produkte anzupreisen und diese möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Der wichtigste Aspekt unserer Tätigkeit ist der Dreiklang aus Beratung, Konzeption und Umsetzung der Maßnahmen. Das heißt, wir wollen die Organisation dabei unterstützen, über ihren gesellschaftlichen Sinn und Wert zu sprechen. Wollen etwas über ihre erwünschte Zukunft und die Wege dorthin erfahren und mit all dem ein authentisches und inspirierendes Story- und Futuretelling gestalten. Für uns geht es in der Markenkommunikation darum, mit den Menschen in der Organisation Erzählenswertes zu entdecken, daraus wahrhaftige Geschichten (ich hasse das Wort Heldenreise inzwischen) hervorzubringen und mit allen, die daran interessiert sind, das Erzählen zu erlernen und als wichtigen Bestandteil der Organisationskultur zu entwickeln.
Denn Erzählen hält die Wertediskussion lebendig und auch hier gilt: Storytelling ist kein Mittel zum Zweck und soll nicht zur Bewahrung alter, vielleicht überholter Vorstellungen und Prinzipien dienen, wenngleich genau das regelmäßig passiert. Unsere Geschichten sind Werkzeuge zur Reflexion – und auf dieser Basis entwickeln sich nicht nur Geschichten, sondern auch das Unternehmen als Ganzes. Dauerhaft. Spannend. Attraktiv.
Gerade in einem Transformationsprozess lassen sich neben der eigentlichen Sinn-Story einer Organisation eben genau die Geschichten heben, die attraktiv für Mitarbeitende oder andere Anspruchsgruppen sind. So finden sich hier die typischen Elemente der klassischen Heldenreise, für viele ja das Schweizer-Taschenmesser des Storytellings: Es geht um Aufbruch, Mut, Freiheit, Verantwortung, Bewältigung, Erkenntnis und Erneuerung. Und am Ende? Steht die Verwandlung des Helden in einen Weisen und Wissenden. Zugegeben, das ist groß, aber meist auch im Kleinen spannend und so bietet es sich für Organisationen an, Transformation konsequent nach innen und außen zu kommunizieren, zu erzählen, zu inszenieren. Den jede Marke entfaltet ihren Reiz erst dann, wenn sie ihren “Anhängern” einen Schritt voraus ist und damit einen Sog auslösen kann. Und was ist anziehender, als mit einem “Kenner der neuen Welt” in Beziehung zu treten und als Kunde oder Mitarbeiter Teil einer bewegenden Heldengeschichte zu werden?
Quintessenz
Transformation und (Marken)Kommunikation gehören also zusammen und bedingen sich in einem fortlaufenden Kreislauf gegenseitig:
- Transformation verändert die Identität und erfordert somit eine neue (Marken)Kommunikation
- Eine neue Identität und (Marken)Kommunikation (Corporate Identity/Design) führt zu einer Veränderung, manchmal zu einer Transformation
Wer in diesem Zusammenhang A sagt muss sicherlich nicht immer auch B sagen. Ratsam wäre indes, im jeweiligen Fall zu prüfen, ob und inwiefern der eine Prozess den anderen erforderlich macht oder beflügelt.
Willst Du nun erfahren, wie dieses Zusammenspiel am besten in Euer Transformationsvorhaben passt und integriert werden kann? Dann sprich uns einfach an. Wir gehen gerne mit Euch in eine gemeinsame erste Reflexion.
Herzliche Grüße
Gerald & Andreas
Bildnachweis
- Beitragsbild: ©Chris Lawton, unspleash, lizenzfrei
- Gerald & Andreas: ©meerdesguten
- Dreiecks-Transformation: ©meerdesguten
- Elefant: ©meerdesguten