Bescheidenheit: Am 28. April diesen Jahres starb Michael Collins, der dritte Mann von Apollo 11, die 1969 zum Mond flog und die angebliche Vision von John F. Kennedy wahr machte: Die ersten Menschen auf dem Mond, natürlich US Bürger. Collins erlangte nie den Heldenstatus, den seine Kollegen Neil Armstrong und Buzz Aldrin erlangten, weil sie die beiden waren, die von der Kommandokapsel runter zum Erdtrabanten flogen, um dort einen kleinen Schritt zu machen, der laut Armstrong ein großer für die Menschheit war. Collins blieb zurück, umkreiste derweil den Mond und übte sich danach Zeit seines Lebens in beeindruckender Bescheidenheit, von der wir alle lernen können.
Biografische Blitzskizze
Collins wurde am 31. Oktober 1930 in Rom geboren. Sein Vater arbeitete dort damals als Armeeoffizier in der Rolle eines Militärattachés, so wie die männliche Linie insgesamt dem Militär zu Diensten war. 1952 machte er in der Eliteakademie West Point seinen Bachelor of Science in Militärtechnik. Es folgte eine Pilotenausbildung, mehrere Jahre Arbeit als Pilot, Ausbilder und später Testpilot. Es folgte eine Bewerbung für die zweiten Astronautengruppe, mit der er nicht erfolgreich war. Erst mit der zweiten Bewerbung 1963 klappte es und er wurde einer der damals 14 Astronauten.
Ähnlich hakelig ging es weiter: 1965 wurde er als “Ersatzpilot für den Langzeit-Flug von Gemini 7 im Dezember eingeteilt … kam aber nicht zum Einsatz.” (Wikipedia) Erst ein Jahr später wurde er für Gemini 10 der Pilot und war dann auch der erste, der “Astronaut, der während eines Raumfluges zweimal das Raumschiff verließ, und der erste, der sich im Weltraum von einem Flugkörper zu einem anderen bewegte.” (ebnd.) Damit kam etwas mehr Schwung auf, der allerdings danach wieder ausgebremst wurde, da Collins 1968 zwischenzeitlich mit Bandscheibenproblemen im Bereich seiner Halswirbel zu kämpfen hatte. Nach einer Operation und Genesung wurde er dann für die Apollo 11 Kommandokapsel als Pilot nachnominiert. Damit war er letztlich in dem Team gelandet, das Weltruhm erlangen sollte.
Nach Abschluss der erfolgreichen Mission quittierte Collins den Dienst bei der NASA und wurde auf Bitte von Richard Nixon zum Vizeaußenminister, was ihm bezeichnenderweise auf Dauer jedoch nicht zusagte. Nach nur anderthalb Jahren beendete er diese Arbeit, für die sich so manch andere(r) machthungrige(r) Politiker:in zweifelsfrei die Finger geleckt hätte. Statt dessen wurde er Gründungsdirektor beim damals neuen National Air and Space Museum in Washington. Das war denn deutlich passender, war doch eines der wichtigsten Ausstellungsstücke das Kommandomodul, dass er zuvor bei der Apollo 11 Mission flog.
Apollo 11
Bezüglich seiner wohl berühmtesten Arbeitsphase, der Apollo 11 Mission mit der ersten Mondbegehung, zeigte sich der außerordentliche Charakter von Collins. Als eine der vielen Stellvertreterbühnen des Kalten Kriegs wurde das Apollo Programm ins Leben gerufen. Seinen Namen erhielt es vom damaligen Leiter der Raumfahrtprogramme Abe Silverstein, der damit auf Apollon anspielte, den griechischen Gott des Lichts, des Frühlings und der Bogenschützen (und noch einiges mehr, aber das reicht schon an Sympbolkraft). 1961 startete es offiziell mit Kennedys berühmter Rede vor dem US Kongress und wurde bis 1972 betrieben.
Der Aufwand war gewaltig und sollte es auch sein, schließlich musste der kosmische Vorsprung der Russen eingeholt werden. Dafür war nichts zu aufwändig und zu teuer, im Gegenteil, es sollte genau das sein. Das Budget der NASA wurde deshalb um satte 400% erhöht, alles in allem schafften rund 400.000 Menschen für das Programm. Sie mussten teils derart schnell eingestellt werden, “dass viele gar nicht erst groß zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, sondern direkt angeheuert wurden.” (Tagesspiegel 2019) Am Ende bezifferten sich die Kosten auf fast 24 Milliarden US Dollar, kaufkraftbereinigt entspricht das heute rund 120 Milliarden. Bevor es zum Erfolg von Apollo 11 kam, wurden seit 1961 sechs Missionen durchgeführt, die alle der Vorbereitung zum letztlich großen, politisch wichtigen Symbolschritt führten.
Für die Apollo 11 Mission waren dann irgendwann die Karten verteilt: Neil Armstrong war der Kommandant, Buzz Aldrin der Kapitän der Mondlandefähre und Collins der flog die Kommandokapsel. In dieser Rolle war klar, dass er nicht mit auf den Mond käme, sondern in der Zeit, in der Armstrong und Aldrin die Polit-Sympbol-Show inszenierten, mit der Kommandokapsel zuverlässig um den Mond kreiste. Elfmal. Und jedesmal geriet er dabei für 47 Minuten in den Funkschatten des Mondes auf dessen der Erde abgewandten Seite, kaum fassbare 400.000 Km von der Erde entfernt.
In einer von Richard Nixon vorbereiteten Rede für den Fall eines tragischen Ausgangs wurde Collins gar nicht erwähnt. Als Helden gelobt worden wären nur seine beiden Kollegen. Und als die Landung glückte, vergaß der Präsident Collins und gratulierte nur Armstrong und Aldrin. So erhielt Collins seinen Ruf als vergessener Astronaut. Auf der Erde zurück waren vor allem seine Kollegen die Stars. Aber Collins schien derart in sich zu ruhen, dass ihn das nicht weiter störte. Er stellte auf Fragen klar: “Ich habe mich als Teil dessen gefühlt, was auf dem Mond passiert. Die Unternehmung war für drei Männer angelegt und ich sehe mich als genauso notwendig an wie die beiden anderen.” Womit er zweifelsohne vollkommen Recht hatte.
Kosmische Bescheidenheit
Interessanterweise ging es anschließend mit den beiden Helden nicht nur heldenhaft weiter. Am härtesten erwischte es möglicherweise Buzz Aldrin, der in der Zeit nach der erfolgreichen Mission, die fatalerweise zur Vision verklärt wurde, in eine Depression geriet, die er mit Medikamenten und Alkohol Missbrauch verstärkte. Fußnote: Genau hier zeigt sich die zerstörerische Kraft eines zur Vision übersteigerten Ziels. Die Mondlandung war erreich- und messbar. Damit war sie ein Ziel, wenngleich eines mit riesigen Ausmaßen. Und was passiert mit jemandem, der eine solche “Vision” erreicht? Gähnende Leere tut sich auf. Sie muss nicht jeden erwischen, aber bei dem Astronauten Team traf es mindestens ein Drittel, vielleicht auch Armstrong in irgendeiner Weise. Aldrin brauchte jedenfalls rund ein Jahrzehnt für die “Rückkehr zur Erde”, wie eines seiner in der Zeit verfassten Bücher benannt wurde. Danach erholte er sich und kam langsam wieder an und baute sich ein würdiges Leben auf. 2016 setzte er nochmals eine Bestmarke als mit 86 Jahren ältester Mensch am Südpol. Armstrong schien sich ein sinnvolles Leben nach diesem historischen Projekt aufgebaut zu haben, zumindest hatte er keine der sichtbaren Schwierigkeiten wie Aldrin.
Anders verhielt es sich mit Collins. Auch in seiner Rolle als Pilot der Kommandokapsel, weit weg vom aufbrechenden Ruhm der Kollegen, ging es ihm gut: “Vorfreude, Zufriedenheit, Zuversicht, fast Jubel” waren die Worte, mit denen er seine Gefühle während der Mission beschrieb, auch während der einsamen Runden um den Mond. Das Wesentliche aber: Führ ihn war die Raumfahrt mit der Rückkehr abgeschlossen. Angebote für weitere Missionen lehnte er ab, obwohl er auch auf den Mond hätte landen können. Und er hatte wohl keinen weiteren Bedarf, in besonderer Weise exponiert und im Rampenlicht zu stehen, wie oben kurz beleuchtet. Als Direktor des Museums dürfte mensch ein deutlich ruhigeres Leben haben, denn als stellvertretender Außenminister einer Weltmacht.
Er schien zudem eine tiefere Verbindung zu seiner Familie gehabt zu haben, als zur Arbeit. Die ständigen Risiken, die hohe Arbeitsbelastung, die seltenen, unregelmäßigen Kontakte zur Ehefrau und den Kindern, das alles war es ihm nicht mehr wert. Besonders bemerkenswert war aber seine Haltung zum Erfolg der Mission. Wer, wenn nicht die NASA, hatte eine rekordverdächtige Planungsgenauigkeit und -tiefe; jahrelange Vorbereitungen der Astronauten, der Technik, der Prozesse, der Zusammenarbeit, Notfallpläne und so weiter und so fort. Und doch stellte er klar, dass sein Erfolg nur auf 10% kluger Planung und 90% “purem Glück” zu verdanken sei. Und so meinte er augenzwinkernd “Schreiben Sie “LUCKY” auf meinen Grabstein.”
Und heute? Größenwahn und Allmachtsfantasien
Das krasse Gegenteil zu Collins beobachten wir bei so manchem Firmengründer, Männer natürlich. Ich denke an den medial immer wieder heldenhaft inszenierten und gehypten Elon Musk, der sich gerne als Genie zu verkaufen scheint. Stau in Los Angeles? Na klar, statt über den Unsinn des Inidividualverkehrs nachzudenken, gründet der Mann lieber seine Boring Company, egal wie unisnnig das Ganze ist, egal ob die Tunnel am Ende auch wirklich funktionieren. Oder einen Tesla ins All schießen, großartig, das braucht die Menschheit. Oder sein großer Kontrahent in Sachen privater Raumfahrt, Jeff Bezos, der natürlich gleich beim ersten bemannten Flug seiner Firma Blue Origin am 20. Juli diesen Jahres mit ins All will. Es hat den Anschein von pubertären Jungs, denen ihr wirtschaftlicher Erfolg zu Kopf gestiegen ist und die nun auf wenig sublime Weise ihre Männlichkeit vergleichen.
Bescheidenheit und Demut? Wenn dann vielleicht als Spurenelemente. Ja, Bezos hatte eine ganz offensichtlich herausragende Geschäftsidee, war seiner Zeit weit voraus und hatte die Möglichkeiten des Online-Handels wohl besser verstanden als jeder andere Mensch. Und doch hatte auch er Glück bei der Umsetzung und längst nicht alles, was er seit der Gründung von Amazon 1994 geleistet hat, ist nur ihm zuzuschreiben – und damit meine ich jetzt nicht die offensichtlichen Arbeitsleistungen seiner Mitarbeitenden und Führungskräfte. Auf der Amazon Seite über die Geschichte des Unternehmens finden sich statt Bescheidenheit schlichte Übertreibungen wie “Seit 2007 ist mit dem Amazon Kindle jedes Buch auf der ganzen Welt innerhalb von 60 Sekunden verfügbar.” (Amazon Website) Wir alle wissen: Längst nicht jedes Buch gibt es als Kindle-Version. Oder die reichlich fragelich Aussage “Aber auch die Mitarbeiter kommen nicht zu kurz” – weil 2012 “das Weiterbildungsprogramm Career Choice ins Leben gerufen” wurde.
Bei Musk und seinem bisherigen Tesla-Erfolg sieht es nochmals ganz anders aus. Er hat die Firma im Gegensatz zu Bezos nicht mal selber gegründet, sondern stieg zunächst als Aufsichtsratvorsitzender ein und übernahm erst später die Rolle des Vorstandsvorsitzenden. Und heute scheint ihn nur eines zu interessieren: Das Tempo, mit dem Tesla weiterwachsen und die Firmenmission realisieren kann. Als er im Zuge des Baus des Werks in Grünheide auf den extensiven Wasserbrauch angesprochen wurde, anwortete er: “Im Grunde sind wir nicht in einer sehr trockenen Region. Bäume würden nicht wachsen, wenn es kein Wasser gäbe. … Ich meine, wir sind hier ja nicht in der Wüste.” (Kröger 2021) Dumm nur, dass ausgerechnet im Umland von Berlin aktuell aufgrund des Wassermangels durch die letzten weit überdurchschnittlich heißen Sommer die Pegel der Seen zu sinken beginnen. Aber egal: Musk wendet sich einfach direkt an das Oberverwaltungsgericht Berlin und schlägt vor, “das Einspruchsverfahren für umweltfreundliche Produktionsanlagen drastisch zu vereinfachen und die Beteiligung der Bürger einzuschränken.” (Kröger 2021).
Das ist einer der vielen Gründe für die Demokratisierung der Arbeit.
Ich halte es lieber mit Michael Collins.
Und ziehe meinen imaginären Hut vor ihm.
RIP
Herzliche Grüße
Andreas
Literatur
- Kaplan, S. (2021): Michael Collins, Apollo 11 astronaut, dies at 90. Washington Post
- Kröger, M. (2021): Das heuchlerische Gerede Elon Musks. Spiegel Online
- Seidler, C. (2021): Der einsamste Mensch des Universums. Spiegel Online
- Tagesspiegel (2019): Kennedys Rede am 25. Mai 1961. Der Startschuss für ein Rennen zum Mond.
Bildnachweis
- Beitragsbild: NASA, gemeinfrei
- Alle Fotos: NASA, gemeinfrei