Im Allgemeinen verhalten sich Berater:innen im öffentlichen Raum und gegenüber ihren Kunden politisch neutral. Das ist hinsichtlich parteipolitischer Fragen bislang relativ unproblematisch gewesen und in mancherlei Hinsicht auch richtig so. Allerdings ändert sich in den letzten Jahren die Situation zunehmend. Die AfD mit ihrer rechtspopulistischen und teils -extremen Politik und dem Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke, der seit dem Beschluss des Verwaltungsgericht Meiningen 2019 offiziell als “Faschist” bezeichnet werden darf, gewinnt zunehmend an politischer Kraft. Es wird auch für den Berufsstand der Berater:innen Zeit, dagegen eine klare Stellung zu beziehen [1].
Die beiden gesellschaftlichen Sektoren Wirtschaft und Staat mit seinem Regierungsapparat sind typischerweise getrennte Sektoren. Unternehmen halten sich im Allgemeinen aus dem (partei-)politischen Diskurs heraus. Allerdings wird diese Sichtweise zunehmend fraglicher, auch ohne die im Teaser kurz angedeutete Verschiebung der politischen Machtverhältnisse und der Normalisierung rechtspopulistischer und -extremer Positionen in den letzten Jahren. Im Mai 2022 publizierte ich hier im Blog einen Beitrag über “Corporate Political Responsibility” und erläuterte darin, dass Unternehmen schon immer eine politische Verantwortung hatten. Das hat verschiedene Gründe:
- Unternehmen brauchen stabile gesellschaftliche Verhältnisse, um ihrem Geschäft erfolgreich nachgehen zu können.
- Sie brauchen einen funktionierenden, starken Staat, um Rechtssicherheit für Ihre täglichen Geschäfte nutzen zu können.
- Last but least sind sie mit zunehmender Größe politisch wirkmächtige Institutionen auch und gerade durch ihr Lobbying.
So entstand der Begriff der politischen unternehmerischen Verantwortung wie in dem erwähnten Blogbeitrag erläutert. Nun ändert sich aber zudem die politische Situation in Deutschland, und zwar zunehmend. Die anfänglich eher marginale AfD hat es seit Ihrer Gründung vor ziemlich genau einer Dekade 2013 geschafft, aktuell in vier Bundesländern über 10% zu ergattern und in weiteren vier sogar teils deutlich über 20% bei sich zu versammeln [2]. Die Umfragen für 2024 sehen noch düsterer aus. In Thüringen könnte sie gut 30% erlangen und zur stärksten Fraktion werden. Daraus folgt zwar längst nicht zwangsläufig, dass sie den Ministerpräsidenten stellen wird. “Alles andere als unwahrscheinlich ist aber, dass ihr ein anderes Amt zufallen wird, eines über das viel weniger gesprochen wird: das der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten.” (von Achenbach & Steinbeis 2023). In ihrem Beitrag skizzieren von Achenbach und Steinbeis eindrücklich, welche Wirkungen eine AfD Landtagspräsidentin (oder ihr männliches Pendant) entfalten könnte (der Beitrag ist rundum empfehlenswert). Bei der nächsten Bundestagswahl könnte sie je nach Umfrageinstitut 19-23% erhalten, also rund doppelt so viel wie bei der Bundestagswahl 2021 (10,3%).
Aktuell zeigt sich, dass sich die meisten Unternehmen, insbesondere große mit einer entsprechenden medialen Reichweite, weiterhin so tun, als würde sie diese immer bedrohlichere Situation nicht im Geringsten angehen. Das Handelsblatt, nicht gerade für besonders linke Positionen bekannt, brachte es auf den Punkt: “Die Wahl- und Umfrageerfolge der AfD schrecken ausländische Fachkräfte ab und gefährden Zukunftstechnologien. Trotzdem zeigt die Wirtschaft kaum Haltung.” (Keine Autor:innenngabe, deshalb hier der Link zum Artikel) Die mit diesem Artikel verknüpfte Umfrage unter 40 DAX-Unternehmen zeigte, dass nur 12,5% die Fragen ausführlich beantworteten (Beiersdorf, Covestro, Hannover Rück, Henkel und MTU) während 27,5% gar keine Reaktion zeigten. Es hat also nicht einmal zur Teilnahme an einer Umfrage gereicht, um Stellung zur und gegen die AfD zu beziehen (Bartz 2023a). Mittelständische (Familien)Unternehmen reagierten ebenfalls kaum. Eines der wenigen positiven, bekannten Beispiele ist die Jenoptik AG mit ihren rund 4.500 Beschäftigten. Das Unternehmen startete die erfolgreiche Kampagne “Bleib offen”, bei der sich auch und gerade die Mitarbeitenden klar gegen Rassismus, Diskriminierung etc. öffentlich sichtbar positionieren. Stefan Traeger, Vorstandsvorsitzender des Unternehmens kommentiert: “Die [Mitarbeitenden, A.Z.] waren sofort Feuer und Flamme, das beeindruckt mich sehr. Es gehört schon etwas dazu, sich auf riesigen Plakaten von zehn mal fünf Metern zu zeigen, gerade auch für Mitarbeiter mit Migrationshintergrund.” (Bartz 2023b). Wohl war. Aber es zeigt: Es geht!
Soweit zu den Unternehmen. Und wie steht es um uns Berater:innen? Sollen wir die Füße stillhalten? Weggucken und -ducken? Während wir uns im Privatleben als gute Bürger:innen gegenüber unseren Freund:innen, Bekannten, Nachbar:innen und dergleichen mehr präsentieren? Ach so demokratisch, vielleicht sogar auf Demonstrationen gehen und Petitionen unterschreiben? “Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps” könnte die passende Parole lauten. Dabei können wir klare Kante zeigen. Hier nur einige Beispiele
- Auf der eigenen Website zum Beispiel im Blog Position beziehen, so wie mit diesem Beitrag
- Keine Mandate von Unternehmen wie die Molkerei Alois Müller GmbH & Co. KG (Müller Milch), deren Eigentümer:innen sich für die AfD interessieren
- Bei Bestandskunden die Problematik thematisieren und von Positivbeispielen wie Jenoptik erzählen
- Im selben Kundenkreis anregen, sich auf der eigenen Website klar gegen rechts zu positionieren
- Diversity-Projekte nutzen, um sich über die üblichen Schritte hinaus öffentlich zu äußern
- Den Zusammenhang von partizipativer Führung und Demokratie thematisieren
Kurzum: Als Berater:innen haben wir durchaus Möglichkeiten, kollektiv die politische Stimmung im Land mit zu beeinflussen. Und genau das sollten wir als “gute Bürger:innen” auch tun. Der politische Raum hört keineswegs außerhalb der zivilgesellschaftlichen Sphäre auf. Die Unternehmen im Land sind eine zentrale Institution unserer Gesellschaft und mit verantwortlich für die politische und damit demokratische Entwicklung. Und sie sind maßgeblich mitverantwortlich, um die globale Ökokrise einzudämmen. Das geht aber nur mit Parteien, die diese Ökokrise anerkennen und bereit sind, grundsätzlich dagegen vorzugehen. Selbst wenn die aktuellen politischen Bemühungen nicht im Geringsten ausreichen, wie es der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 gegen das Klimaschutzgesetz ebenso belegte wie aktueller die Verurteilung der Bundesregierung durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG), Sofortprogramme für mehr Klimaschutz im Verkehr und bei Gebäuden aufzulegen.
Eine zukunftsfähige, enkeltaugliche Politik braucht alle Akteure.
Herzliche Grüße
Andreas
Fußnoten
[1] Dieser Beitrag ist inspiriert von Melissa Pirouzkar, die mich auf das für mich wichtige aktuelle Werk des deutschen Sozialphilosophen Axel Honneth aufmerksam machte: “Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit“. Ich hatte es glatt übersehen. Durch unsere Auseinandersetzung zur Frage der demokratischen Verantwortung von Unternehmen und der Bedeutung von Arbeit für unsere Demokratie kam ich auf die Idee dieses Beitrags.
[2] Über 10% in Bayern (2023), Hessen (2023), Mecklenburg-Vorpommern (2021) und Niedersachsen (2022). Über 20% erreichte sie in Brandenburg (2019), Sachsen (2019), Sachsen-Anhalt (2021) und Thüringen (2019).
Literatur
- Bartz, T. (2023a): Alle Müller, oder was? Spiegel Online
- Bartz, T. (2023b): »Ich will hier ja leben, in einem offenen Land«. Spiegel Online
- Delhaes, D.; Neuerer, D. (2023): Politiker fordern von Unternehmen klare Haltung gegen die AfD. Handelsblatt
- von Achenbach, J.; Steinbeis, M. (2023): Was droht, wenn die AfD im Landtag den Chefsessel bekommt? Spiegel Online
Bildnachweis
- Beitragsbild: ©adil-photos, pixabay lizenzfrei
- Website Kampagne Bleib offen: ©Jenoptik
Danke Dir für den interessanten Beitrag @Andreas!
Gerade im Kontext von Coaching und Mediation ist einiges in Bewegung, wenn es um die ethische und zugleich klientenzentrierte Begleitung geht (#Climate Coaching, Joint Global Statement on Climate Change etc.) – was “dürfen” wir und was nicht, um den Blick auf die globalen Verknüpfungen zu unterstützen und darin die sozialen Ungerechtigkeiten, Radikalisierung und eben Ausschluss auch vonseiten der Klient:innen reflektieren zu helfen. Ein heißes Thema (vgl. Sally Weintrobe 2021).
Zudem und während sich viele darum bemühen, DEI (Diversity, Equity and Inclusion) zu etablieren, erheben sich erste Stimmen, die durch Fokussierung der Unterschiede den umgekehrten zum erwünschten Effekt sehen (wollen). Wir können nur darauf hoffen, dass Verantwortlichkeiten vonseiten der Unternehmer:innen ernst genommen werden (vgl. David Cooperrider & Audrey Selian 2022).
Beste Grüße, Katarzyna
Danke Katarzyna für diesen wichtigen Kommentar.
Könntest Du das noch ausführen, verstehe ich noch nicht: “Zudem und während sich viele darum bemühen, DEI (Diversity, Equity and Inclusion) zu etablieren, erheben sich erste Stimmen, die durch Fokussierung der Unterschiede den umgekehrten zum erwünschten Effekt sehen (wollen).”
Und falls Du noch Nerv/Lust hast, die Literaturangaben auszuführen, dann wäre das für alle Interessierten hilfreich, damit sie sich das Material besorgen können.
HGA
Eine besondere Verantwortung liegt besonders in der fachlichen Expertise. Hierzu gehören auch solide rechtliche Kenntnisse. Das kann ich sagen aus meinen Erfahrungen in der Arbeitsrecht Beratung.
Hallo Frau/Herr Lebowsky,
vielen Dank für den Hinweis. Zweifelsfrei ist einem Rechtsstaat juristische Expertise immer hilfreich. Auf was genau beziehen Sie sich im Kontext meines Beitrags? Das verstehe ich noch nicht.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch