Corporate Political Responsibility

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Corporate Political Responsibility: Seit der Veröffentlichung der Xinjiang Police Files #XPF in der Kalenderwoche 21 ist der Aufschrei groß. Entsetzen. Forderungen nach Konsequenzen. So geht es nicht weiter Rufe. Dabei stellt sich die Frage: Ist irgendetwas von dem, was nun unwiderruflich belegt ist, eine Überraschung?

Wohl kaum. Schon lange vor den #XPF gab es Kritik an den wirtschaftlichen Beziehungen über China hinaus (zB Amann et al. 2017, Balser & Dörries 2018, Behrendt et al. 2007, Klawitter 2021, Koschyk 2018, luea/imhm & lin 2017). Aber bis zu dieser Veröffentlichung eines weiteren Verbrechens gegen die Menschlichkeit trieben westliche Wirtschaftsmächte und deren Unternehmen Handel mit Ländern und Unternehmen, von denen wir längst wissen, das dort Menschen ausgebeutet, misshandelt und getötet werden.

Es scheint, als ob das Offensichtliche und Faktische immer erst derart präsent werden muss, dass wirklich niemand mehr so tun kann, als würde er oder sie es nicht sehen; als wäre das Ausmaß dann doch überraschend, erschütternd, schockierend. Es ist ein beinahe Oscar verdächtiges Schauspiel: Es vermittelt den Eindruck, das längst Bekannte springe urplötzlich aus dem Gebüsch und zeige seine diktatorische Fratze. Glücklicherweise scheine ich nicht der einzige zu sein, der diesen Mummenschanz ärgerlich findet. Achim Bendler vom Bayerischen Rundfunk konnte bei den Tagesthemen vom 24.05. seine Meinung äußern. Und das tat er mit Nachdruck, in der Stimme hörbare Wut über die jahrelang aufgehübschte Fassade vom Wandel durch Handel:

„Der Schock ist unbegründet. Was wir heute aus China sehen, ist in der Sache schon lange bekannt. Das chinesische Regime foltert … erniedrigt … Das Problem unserer … Wirtschaft ist nicht, das das alles heute bekannt geworden wäre. Ihr Problem ist, das lässt sich jetzt nicht mehr verdrängen.“ (Wendler 2022)

Wirtschaft und Unternehmen waren schon immer politisch (mit)verantwortlich

Es dürfte überflüssig sein, die diktatorische Unterdrückung von Hongkong näher auszuführen oder noch weiter zurückzugehen bis zu den Tian’anmen-Protesten von 1989. Nach aller Toleranz zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil hatte im März 2021 die “EU … erstmals seit mehr als 30 Jahren wieder Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen in China verhängt” (dpa/AFP 2021). Danach ging es natürlich trotzdem weiter mit dem Selbst- und Fremdbetrug. Volkswagen CEO Herbert Diess behauptete unmissverständlich am 21.04.2021, dass er nichts von der Unterdrückung der Uiguren wisse, obwohl VW in Xinjiang ein Werk betreibt. Selbst auf das beharrliche Nachfragen des britischen BBC Korrespondenten Robin Brant gab er vor laufender Kamera zum Besten, dass er sich dessen nicht bewusst sei:

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Statt damit transparent und selbstkritisch umzugehen, betont Diess die Schaffung von Arbeitsplätzen und stellt in den Vordergrund, dass sie sehr stolz darauf sind und es für nützlich halten. Auf zweimalige Nachfrage tut der Vorstandsvorsitzende eines der größten Autobauer weltweit so, als wüsste er nichts von all dem Leid und Elend. Meine Name ist Hase, ich weiß von nix. Das ist eine mehr als fragwürdige Praxis, vor allem vor dem Hintergrund von rund 90.000 Beschäftigten in China und dem Werk in Ürümqi, der Hauptstadt von Xingjiang. Aber offensichtlich bislang absolut salonfähig. Denn außer VW sind natürlich auch noch andere deutsche Global Player wie BASF, Deutsche Post oder Siemens in China tätig und mussten schon früher auf unbequeme Fragen ausweichende Antworten konstruieren (Kunz et al. 2019).

Das, was nun ach so erschreckend und überraschend scheint, ist schon immer eine Wirklichkeit gewesen. Etwas das wirkt. Unternehmen befinden sich erstens in einem politischen Umfeld und nehmen zweitens in vielfältiger Weise Einfluss auf die Politik und Gesellschaft. Sie sind per se immer auch politische Institutionen. Je größer, desto wirkmächtiger, desto mehr in der politischen Verantwortung. Alle Unternehmen greifen immer und grundsätzlich auf (Infra)Strukturen zurück, ohne die sie nicht existieren könnten und die durch den Staat und seine Politik erst geschaffen und aufrecht erhalten werden [1]. Sie betreiben Lobbying, beeinflussen die Legislative, spenden an Parteien (wie jüngst Jägermeister und Small Improvements) und dergleichen mehr. Wirtschaft und ihre Unternehmen beeinflussen unsere Gemeingüter in massiver Weise, sie extrahieren Millionen Tonnen von Rohstoffen, verwandeln sie in mehr oder minder sinnvolle Produkte [2] und sind während der Herstellung und Verteilung für Millionen Tonnen von Emissionen verantwortlich.

Corporate Political Responsibility

Auf gut deutsch

Corporate Political ResponsibilityInfolge dieser unübersehbaren Verflechtung wurde In den letzten Jahren Corporate Political Responsibility in Anlehnung an Corporate Social Responsibility entwickelt. In Deutschland treibt vor allem der promovierte Politikwissenschaftler und Berater Johannes Bohnen das CPR Konzept voran. 2015 veröffentlichte er dazu seinen ersten Beitrag in der Zeitschrift für politische Beratung: Corporate Political Responsibility. Warum Unternehmen sich offen politisch positionieren müssen. Dort klärt er zunächst den Begriff des Politischen: “Zum einen bezieht er sich auf die Formulierung und Durchsetzung von verbindlichen Regeln in einem Gemeinwesen und zum anderen auf die Produktion und Verteilung von kollektiven Gütern.” (a.a.O.: 56) Dabei stellt er völlig zu Recht fest, dass die “… strikte Trennung zwischen „der Politik“, „der Wirtschaft“ und „der Gesellschaft“ hinsichtlich der Governance eines Gemeinwesens … noch nie der Wirklichkeit [entsprach].” (ebnd.) So macht es alleine schon deshalb Sinn, eine CPR zu fordern.

Fünf Jahre später veröffentlichte er das zunehmend ausdifferenzierte Konzept in seinem Buch Corporate Political Responsibility. Wie Unternehmen die Demokratie und damit sich selbst stärken. (Bohnen 2020). Dort bringt er nochmals gut auf den Punkt, warum wir die systematisierte unternehmerische politische Verantwortung brauchen. Es geht darum, die gegenseitige systemische Relevanz zu erkennen und anzuerkennen. Die Wirtschaft brauchte den Staat und umgekehrt. Es kann weder das eine noch das andere ohne den jeweils symbiotischen Partner geben. Beide Seite müssen zum eigenen und gegenseitigen Überleben am Wohlergehen aller interessiert sein. Zu diesem Zwecke wäre es gut, wenn “Unternehmen den Kreis ihres politischen Handelns weiter zögen – in Richtung demokratischer Grundlagenarbeit …Dafür wäre es hilfreich, wenn Unternehmen sich als Bürger oder Teil der Bürgerschaft verstünden – allerdings mit einer im Vergleich zum Einzelbürger deutlich größeren Reichweite. Letztlich ist eine Unternehmung nichts anderes als ein interessengeleiteter Zusammenschluss von Bürgern. Diese bleiben Bürger, auch wenn das Unternehmen eine Wirtschaftsleistung erbringt. [3]” (a.a.O.: Position 537)

Der Untertitel von Bohnens Buch macht die Nähe zur Unternehmensdemokratie (UD) klar und er positioniert sich und sein Konzeptverständnis deutlich: “Keinesfalls soll mit CPR dem Kapern des Staates durch unternehmerische Gewinninteressen Vorschub geleistet werden. Vielmehr geht es darum, Grenzen nicht künstlich zu betonen, um bequeme politische Zurückhaltung von Unternehmen zu rechtfertigen.” (a.a.O.: Position 594) Wenn wir CPR und UD vor dem Hintergrund der #XPF zusammen denken, wird sofort klar, das beide keine Luxusthemen für Prenzlberger Hipsterbuden sind, sondern ganz offensichtlich zunehmend relevant werden für mehr als eine ethisch integre Unternehmensführung. Denn die “Ahnung, dass wir unsere Art zu leben und zu arbeiten kritisch hinterfragen müssen, wird die Bedeutung des CPR-Ansatzes stärken.” (a.a.O.: Position 556). Es geht schlicht ums Überleben nicht nur der Unternehmen sondern von uns allen. Wer das übertrieben findet, kann aktuell in Indien vorbeischauen und dort ein paar Tage Freiluft-Biosauna genießen bei Temperaturen bis zu 50 Grad und darauf wetten, wieviel Vögel in der nächsten Stunde vom Himmel fallen. Oder ganz einfach nicht wie Diess so tun, als wäre die Unterdrückung der Uiguren etwas völlig Unbekanntes.

CPR in den USA

Corporate Political Responsibility in den USA
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Einen ziemlich anderen Beweggrund für die etwa zeitgleiche Entwicklung von CPR bietet Tom Lyon, Dow Professor of Sustainable Science, Technology and Commerce an der University of Michigan zusammen mit seinen Mitautor:innen: “But while corporate political actions such as lobbying can have a greater impact on environmental quality, they are ignored in most current sustainability metrics. It is time for these metrics to be expanded to critically assess firms based on the sustainability impacts of their public policy positions. To enable such assessments, firms must become as transparent about their corporate political responsibility (CPR) as their corporate social responsibility (CSR).” (Lyon et al. 2018: 1) Und so erläutern die Autor:innen anhand mehrerer US amerikanischer Beispiele die Bedeutsamkeit unternehmerischer Einflussnahme auf die öffentliche Politik, die hier für uns weniger relevant ist.

Gegen Ende ihres Beitrags schlagen sie drei Maßnahmen und Verhaltensweisen vor, die durchaus auch für deutsche Unternehmen sinnvoll sein dürften: Erstens sollten Unternehmen ihre politischen Aktivitäten vollkommen offenlegen. Zweitens sollten die politischen Aktivitäten mit öffentlichen Kundgebungen und CSR Maßnahmen in Einklang gebracht werden. Drittens sollten Staatstätigkeiten unterstützt werden, die ihrerseits den privaten Sektor befähigen, Nachhaltigkeitsanstrengungen (besser) zu verfolgen. Würden diese drei Punkte umgesetzt, dürfte schon einiges gewonnen sein hinsichtlich der Corporate Political Social Responsibility.

Ob zukünftig CPR die ältere CSR ersetzen sollte oder wird, kann ich noch nicht einschätzen. Aktuell neige ich dazu, weder den Begriff des Sozialen dem des Politischen unterzuordnen noch umgekehrt. Vielleicht wäre eine CPSR das sinnvollere Konstrukt. Eine unternehmerische Verantwortung für das Politische und Soziale, auch wenn beide Sphären wohl immer miteinander verbunden bleiben werden.

Umgang mit der Vergangenheit

Je älter ein Unternehmen ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass früher etwas ganz und gar nicht integer lief, geschweige denn das Gemeinwohl unterstützt wurde. Gerade wir in Deutschland haben, wenn wir es positiv deuten, exzellente Chancen, mit einer selbstkritischen Vergangenheitsbewältigung zu glänzen. Allerdings scheinen das die Verantwortlichen der betroffenen Firmen anders zu sehen. Da wird eher auf Druck hin aufgearbeitet, aber nicht, weil es ein wirkliches Anliegen zu sein scheint, ein tiefgreifendes Verständnis einer Corporate Political Responsibility mit eben jener gegenseitigen Abhängigkeit von Unternehmen und Staat, die Bohnen so trefflich auf den Punkt gebracht hat.

So geht Corporate Political Responsibility nicht. Vor kurzem erschien im Spiegel ein Interview mit dem Autoren David de Jong, dessen aktuelles Buch Braunes Erbe: Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien Anfang Mai 2022 erschien: “Wie Ferry Porsche die Geschichte verdrehte, ist unglaublich” (Lörchner 2022). Der Teasertext des Interviews macht die Probleme sofort klar: “Mit Zwangsarbeit und »Arisierung« bauten Dynastien wie Quandt, Flick und Oetker im Nationalsozialismus ihre Imperien aus. Autor David de Jong ist empört, dass Konzerne sogar Charity im Namen von NS-Profiteuren betreiben.” (ebnd.) Dabei ging es den damaligen Industriellen Quandt, von Finck, Flick und anderen mehr nicht darum, das Naziregime unterstützen zu wollen, weil sie davon überzeugt waren. Nach der wirtschaftlichen Verunsicherung in der Weimarer Republik handelten sie eher opportunistisch. Allerdings um einen hohen Preis, wie wir heute wissen. De Jong meinte im Interview, sie hätten keine Probleme damit gehabt, “die deutsche Demokratie zu verkaufen.” (ebnd.)

Und wie gehen die betroffenen Unternehmen, beziehungsweise die verantwortlichen Eigentümer:innen damit heute um? Nicht gerade vorbildlich: So finanziert laut de Jong die Ferry-Porsche-Stiftung eine Professur für Unternehmensgeschichte an der Universität Stuttgart. Und die hat ein Motto: “Zukunft braucht Herkunft.” Für de Jong eine “Pervertierung der Geschichte. Denn die Porsche-Familie hat sich niemals ausgesprochen über die Verantwortung von Ferdinand Porsche als Geschäftsführer des Volkswagenwerks in Fallersleben … wo sich mehrere eingezäunte und bewachte Werks- und KZ-Außenlager für Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge befanden, die unter furchtbaren Bedingungen schuften mussten und starben.” (ebnd.) Das würde ich nicht unter CPR verstehen. Und es ist kein Ausnahmefall.

Im selben Interview verweist de Jong auf weitere Fälle, wie den der BMW Foundation Herbert Quandt: “Das Buch habe ich geschrieben, weil große Marken wie BMW und Porsche heute durch globale Wohltätigkeit über ihre Stiftungen ihre Geschichte reinwaschen. So betreibt BMW seit 2016 Philanthropie im Namen von Herbert Quandt [4]… Was sie verschweigen: dass [er] ein KZ-Außenlager in Polen mit aufgebaut hat und verantwortlich war für den Personalbereich in den AFA- und Pertrix-Batteriefabriken in Berlin, wo Tausende Zwangsarbeiter und Frauen aus Konzentrationslagern arbeiten mussten. Die Stiftung schreibt auf ihrer Website, sie inspiriere »Führungspersönlichkeiten weltweit, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und sich als Responsible Leaders für eine friedliche, gerechte und nachhaltige Zukunft einzusetzen«. Das ist pervers – man kann nicht nur wirtschaftlichen Erfolg zelebrieren, aber NS-Verbrechen ignorieren.” (ebnd.)

Und weiter: “2011 hat der Historiker Joachim Scholtyseck eine gute Untersuchung über den Aufstieg der Quandts vorgelegt. Aber wie kann es sein, dass die BMW-Quandt-Erben ein Jahrzehnt danach noch immer eine reingewaschene Biografie von Herbert Quandt auf ihrer Medienpreis-Website veröffentlichen? Die Ergebnisse einer solchen Studie müssen transparent gemacht werden, alles andere ist beleidigend für die Historiker nach ihrer jahrelangen Arbeit. Und warum werden diese Studien nicht in andere Sprachen übersetzt? Die meisten Opfer und Nachfahren der NS-Verbrechen leben im Ausland.” (ebnd.) Das spricht für sich. Es ist das genaue Gegenteil wirklicher politischer Verantwortungsübernahme.

Wir alle sind der Staat, auch hier stimme ich Bohnen zu. Wir alle gestalten ihn durch das, was wir tun und nicht tun. Unterlassungen wirken ebenfalls. Und diktatorische Verfehlungen wie sie die Xinjiang Police Files #XPF nun belegen, brauchen unser aller Engagement. Aber besonders das der Wirtschaft. Letztlich dürfte gelten, was der Tagesthemen Moderator Ingo Zamperoni in eben jener Sendung vom 24.05.2022 sagte, bevor der oben zitierte Achim Bendler vom Bayerischen Rundfunk seine Meinung zu den #XPF äußerte:

„Echte Konsequenzen wird es ohne die Mithilfe der Wirtschaft nicht geben … die Verflechtungen sind einfach zu enorm.“ Ingo Zamperoni

In diesem Sinne: Lasst uns die Corporate Political Responsibility thematisieren und gemeinsam konstruktiv zum Wohle aller weiter entwickeln.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Fußnoten

[1] Umso dreister ist die neoliberale Behauptung, der Staat wäre erstens ineffizienter als Unternehmen, würde zweitens durch seine Regulation die Selbstorganisation des freien Marktes behindern, drittens die Freiheit der Bürger:innen ungebührlich einschränken und müsse deshalb viertens auf ein Minimum beschränkt werden. Glücklicherweise scheint seit den deregulativen Sternstunden durch Reagan/Thatcher in den 1980ern und später Clinton (Aufhebung des Glass-Steagall-Act 1999) und anderen mehr zunehmend deutlicher zu werden, dass das eine reichlich verkürzte und oftmals falsche Darstellung der Tatsachen ist. So sind originär staatliche Versorgungsleistungen durch Privatisierungen keineswegs besser, sondern teils deutlich schlechter geworden. Der Markt regelt bei weitem nicht alles mit seiner unsichtbaren Hand (Wirtschaftskrise 2007/2008) und Unternehmen sind auf eine funktionierende Demokratie und ein lebendiges Gemeinwesen angewiesen, in denen nicht alles marktlichen Kriterien unterworfen wird (vlg. Brown 2015, Crouch 2008, Mazzucato 2021, Sandel 2020 u.a.m.)

[2] Ich denke dabei an so etwas wie Tamagotchis oder gleich ganze Branchenphänomene wie Fast Fashion. Jüngst berichtete die NZZ in einer ebenso sehenswerten wie erschütternden Dokumentation über Slow/Fast Fashion. Es ist immer wieder erfrischend, wenn ich mir nach solchen Sendungen naiv vorkomme. Denn mir war nicht klar, dass ein nicht unerheblicher Teil der eben produzierten Kleidung umgehend verbrannt statt verkauft wird. Bislang war mir bekannt, dass Retouren neuer Waren vor allem bei Amazon vernichtet werden. Das finde ich schon pervers, aber die waren immerhin noch im Verkauf. Nur um es nochmals kurz vor Augen zu führen: Da wird in umweltzerstörender Weise Baumwolle produziert und geerntet (siehe NZZ), dann wird der Rohstoff zumindest Teils unter ausbeuterischen Bedingungen in Kleidung verwandelt, um sie anschließend zu vernichten statt zu verkaufen. Ich kann mir gerade keinen größeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wahnsinn vorstellen.

[3] Was ein heikler Punkt ist. Wenn sich Unternehmen als Bürger:innen verstehen, kann das enorme Folgen haben. Wie in dem vor kurzen veröffentlichten Beitrag über Unternehmensdiktatur skizziert, erinnere ich hier an “die 2010 getroffene Grundsatzentscheidung des US Supreme Court im Fall Citizens United vs. Federal Election Commission: Die Finanzierung von TV-Sendungen zur Beeinflussung von Wahlkämpfen durch alle möglichen Organisationen (Unternehmen, NGO und NPO) wurde als politische Rede eingestuft und damit diesem Recht  natürlicher Personen gleichgestellt. Dass indes Unternehmen wie Amazon, Apple oder WalMart alleine aufgrund der Kapitalausstattung nicht dasselbe sind wie Max Mustermann, dürfte hoffentlich jedem klar sein. [Denn es gibt keine absolute Obergrenze, wieviel Geld US Unternehmen als Audruck ihrer politischen Rede für politische Zwecke spenden dürfen, vgl. Lyon et al. 2018: 6] Mit Demokratie hat ein solches letztinstanzliches Urteil nicht viel zu tun. Es ist vielmehr die systematische Aushöhlung derselben zugunsten der Eigentümer dieser Firmen. One man, one vote stimmt zwar noch formal, aber die freie Rede ist damit höchstrichterlich einer krassen Assymmetrie zum Opfer gefallen (Vgl.: Brown 2015: Kapitel 5, Gesetzgebung und gesetzgeberische Vernunft. Alleine für dieses Kapitel ist Browns Buch überaus lohnenswert).” (Zeuch 2022) Etwas Vergleichbares sollte bei uns unbedingt vermieden werden.

[4] Er war der Sohn des Großindustriellen Günther Quandt, einer von dem Goebbels 1931 schrieb: “…alter Mann. Aber klug, energisch, brutaler Kapitalist.“ (Fröhlich 2004: 169)

Literatur

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Malcolm Brown, CC BY-SA 2.0
  • CPR Buchcover: Screenshot
  • CPR Artikel: Screenshot

 

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