Wie schon in dem Beitrag “Unternehmensdemokratie im Möchtegern-Diskurs” beschrieben, sind immer wieder äußerst skurrile Versuche zu beobachten, nachweisliche Erfolge demokratisch geführter Unternehmen wegreden zu wollen. Neulich wurde ich auf ein Beispiel aufmerksam gemacht, in dem ein Professor zunächst auf einen erfolgreichen Fall von Unternehmensdemokratie verwies, um dann mit einem erfundenen Fallbeispiel das Konzept demokratischer Steuerung als dysfunktional entlarven zu wollen. Neuerdings besteht also ein rational-kritischer Diskurs darin, real Existierendes durch Erfundenes widerlegen zu wollen. Unabhängig von diesen Diskursblüten ist die zentrale Frage, wieso Partizipation überhaupt wichtig ist, in der sich langsam aufheizenden Diskussion zweifelsfrei sinnvoll. Im Post erläutere ich fünf Gründe, die für die Entwicklung einer starken Partizipation sprechen.
Höhere Anpassungsfähigkeit
In der Auseinandersetzung mit der Forderung nach einem dualen System aus gleichzeitiger dynamischer, kontextabhängiger Hierarchie und Netzwerkstrukturen hatte ich auf Ashbys Law verwiesen: “Je größer die Varietät eines Systems ist, desto mehr kann es die Varietät seiner Umwelt durch Steuerung vermindern.” (Wikipedia) Anders gesagt: Ein (soziales) System muss über ein ausreichendes Maß an Komplexität verfügen, um in einem gegebenen Maß an Komplexität der Umwelt erfolgreich handeln zu können. Da sich die Umwelt von Unternehmen in der Folge steigender Dynamik und Komplexität (Dynaxity) zunehmend schneller verändert, gewinnt die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen an Bedeutung.
Der Erfolg der demokratisch geführten Unternehmen, die ich in “Alle Macht für niemand” beschreibe, könnte möglicherweise unter anderem durch eine gesteigerte Anpassungsfähigkeit erklärt werden. Denn sobald Mitarbeiter mehr Entscheidungsrechte bekommen, steigt erstens die Komplexität der Entscheidungsprozesse. Zweitens können Unternehmen an den Berührungspunkten mit dem Markt, wie beispielsweise Support-Center, schneller entscheiden, schließlich muss niemand dem Kunden erst klarmachen, dass er die notwendige Entscheidung nicht treffen darf und deshalb erst mit dem Vorgesetzten reden muss, der die Entscheidung dann am besten weiter zu seinem Chef durchreicht.
Größere Krisenrobustheit
Mit steigender Dynaxity nimmt die Gefahr von Systeminstabilitäten zu. Durch die hohe, globale Vernetzung können auch kleine Krisen schnell systemrelevant werden oder relativ unscheinbare weitere Ereignisse zur Verschärfung einer Krise beitragen. Dies war unter anderem in der Finanzkrise 2007/2008 der Fall. Aber selbst wenn die Anzahl und Intensität der Krisen nicht zunehmen würde oder durch welche trickreichen Interventionen auch immer begrenzt werden könnte, so bliebe es immer noch nützlich, wenn ein Unternehmen in Krisen robust bleibt und nicht beim ersten kleinen Marktbeben wie ein Kartenhaus zusammenbricht.
Wie robust ein Unternehmen wiederum auf Krisen reagiert, hängt von seiner Adaptivität ab. Krisen bedeuten immer deutliche bis zu katastrophalen Veränderungen des Marktes und des Umfelds. Um diese Veränderungen aufzufangen, kann eben eine angemessene Anpassungsfähigkeit in manchen Fällen sogar überlebensnotwendig sein. Ein immer noch recht aktuelles Beispiel ist der Niedergang von Nokia. Das Unternehmen war ganz offensichtlich nicht in der Lage, auf die Marktveränderungen einzugehen und sich erfolgreich anzupassen. Ein weiterer Hinweis dafür, dass eine zentralistische top-dwon Steuerung kein Garant für Unternehmenserfolg ist.
Steigerung der Innovationsfähigkeit
Die Selbstdarstellung von Unternehmen als innovativ dürfte mittlerweile eine der inflationärsten Marketingbehauptungen sein. Man muss schon mit der Lupe suchen, um ein Unternehmen zu finden, dass dies nicht von sich behauptet. Das mag daran liegen, dass die Halbwertszeit von Innovationen abzunehmen scheint, das auf alle Fälle jedoch Innovationen durch teils illegale Kopien schnell an Wert verlieren. Dann muss die nächste Innovation her. Schließlich hat nicht jedes Unternehmen ausreichend viel Geld zur Verfügung, um erstens die eigene Innovationskraft durch erfolgreiches Marketing herbeizuschwafeln und zweitens Konkurrenten in endlose Patentkriege zu verwickeln.
Also ist es nötig, innovativer zu werden. Genau das kann durch die Demokratisierung von Unternehmen erreicht werden. Wenn Ideen nicht mehr im Vorschlagswesen untergehen und Innovationen zentral tot gemanaged werden, sondern MitarbeiterInnen eigenverantwortlich kreativ werden dürfen, dann hat das einen positiven Einfluss auf die Innovationskraft. Das zeigen längst bekannte, demokratische Unternehmen wie W.L. Gore genauso, wie eines meiner Fallbeispiele im Buch.
Senkung von Personalkosten
Die in traditionell geführten Unternehmen immer wieder und leider oft torpedierte intrinsische Motivation der MitarbeiterInnen führt zu negativen Folgeeffekten: Krankenstand und Fluktuation. Im ersten Kapitel von “Alle Macht für niemand” beziehe ich insgesamt fünf jeweils repräsentative Studien aufeinander und zeige, dass es starke Hinweise dafür gibt, dass die mangelnde Partizipation einen direkten Einfluss auf Personalkosten hat.
Das Bindeglied zwischen Partizipation einerseits und den erwähnten Folgekosten in Form von erhöhtem Krankenstand und Fluktuation ist dabei die jeweils vorliegende Arbeitsmotivation. Interessanterweise zeigt sich bei den voneinander vollkommen unabhängigen Studien, dass es drei verschieden starke Arbeitsmotivationen gibt. Die MitarbeiterInnen sind hoch, mittel oder niedrig motiviert. Das entspricht beispielsweise beim Gallup Engangement Index seit 2003 der Typologie “starke positive emotionale Bindung an das Unternehmen”, “Dienst nach Vorschrift” und “innere Kündigung”. Bei einer der DGB Studien “Gute Arbeit, schlechte Arbeit” sind dies die Typologien “gute Arbeit”, “mittelmäßige Arbeit” und “schlechte Arbeit”. Im Grunde sind die Ergebnisse nicht allzu überraschend. Jeder kann sich selber fragen, wann er mit mehr Engagement arbeitet: Wenn er oder sie Freude bei der Arbeit hat und sie als sinnvoll erlebt, oder wenn es morgens eine Qual ist, zur Arbeit zu gehen, weil sie einen frustriert oder ärgert und sie als sinnlos erlebt wird.
Spill-Over-Effekt
Über die direkten wirtschaftlichen Gründe, warum Partizipation wichtig ist, gibt es noch eine gesellschaftlichen Grund. Unternehmen sind grundsätzlich in die sie umgebende Gesellschaft eingebettet. Da wir in der “westlichen Welt” in Demokratien leben, stellt sich die naheliegende Frage nach einem möglichen Zusammenhang von Unternehmensdemokratien und der sie umgebenden gesellschaftlichen Demokratie. Hat Unternehmensdemokratie einen Effekt auf die gesellschaftliche Demokratie?
Dieser Frage sind eine Vielzahl von Wissenschaftlern bereits seit den 1970ern nachgegangen. Es konnte tatsächlich immer wieder ein solcher positiver Zusammenhang gezeigt werden, der unter dem Begriff Spill-Over-Effekt zusammengefasst wurde. Verdichtet lässt sich feststellen, dass es eine proportionale Funktion gibt: Je demokratischer ein Unternehmen ist, desto stärker sind die positiven Effekte auf das demokratische Verhalten der Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit.
Zusammenfassung
Damit gibt es also in Summe fünf verschieden Gründe, warum Partizipation wichtig ist:
- Höhere Anpassungsfähigkeit (Adaptivität)
- Größere Krisenrobustheit
- Stärkere Innovationskraft
- Senkung von Personalkosten
- Spill-Over Effekt
Das sollte zumindest reichen, um eine ernsthafte, seriöse und vor allem unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Unternehmensdemokratie zu führen.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Eine ergänzende Perspektive auf die Frage, wieso Partizipation wichtig ist, hat unsere Autorin Daniela Röcker verfasst: https://unternehmensdemokraten.de/warum-ist-partizipation-wichtig/
Bildnachweis
- Beitragsbild Papiertischdecke: Sebastian u, CC BY-SA 3.0
- Massenandrang: Bundesarchiv, Bild 102-12023 / Georg Pahl, CC-BY-SA 3.0
- Relief von Amarna: Wilhelmy, CC BY-SA 3.0