Wenn in einer Gruppe unterschiedliche Interessen vorliegen, führt das zu besseren Ergebnissen, als wenn zu viel Einigkeit herrscht. Das mag viele überraschen. Denn Streit ist vorprogrammiert, man verschwendet Zeit mit ärgerlichen Verhandlungen darüber, was wichtig und richtig ist. Wie kann das zu einer besseren Entscheidung führen? Die Antwort haben Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin und der London School of Economics (LSE) herausgefunden. Und zwar an verschiedenen Gruppen von Erdmännchen. Die Ergebnisse sind zunächst wider den gesunden Menschenverstand, aber nach kurzem Mit-Denken durchweg logisch und nachvollziehbar.
Diversität, Fehler & Entscheidung
Die Forscher stellten generell fest, dass Ziele in einer Gruppe am erfolgreichsten erreicht werden, wenn es in der Gruppe unterschiedliche Interessen gibt, selbst dann, wenn dies zu Streit und Fehlern führt. Es gibt allerdings eine wichtige Voraussetzung dafür: Die Tiere müssen ein gemeinsames Hauptziel verfolgen. In ihrem Fall waren solche gemeinsamen Ziele beispielsweise die Futter- oder Schutzsuche.
Mit einem Entscheidungsmodell, dass die Wissenschaftler im Zusammenhang mit dieser Studie entwickelten, konnte gezeigt werden, wie es zu den besseren Ergebnissen kommt: Jede Gruppe, egal ob mit gleichen, ähnlichen oder sehr unterschiedlichen Interessen macht Fehler. Wenn sich eine Gruppe jedoch zu einig ist, häufen sich sehr ähnliche oder gleiche Fehler, summieren sich und führen somit zu einer ungünstigen Fehlerquote. Wenn die Mitglieder einer Gruppe unterschiedliche Ansichten vertreten, entstehen unterschiedliche Fehler. Und die gleichen einander aus.
Etwas genauer fassten sie am Ende ihrer Studie folgende Ergebnisse zusammen: “The underlying mechanism is a fundamental and general one: animals with conflicting goals make decision choice errors more independently, so that those errors more frequently cancel out. Thus, a large, balanced, and diverse mixture of decision makers with different (conflicting) small-scale goals is often best, even from the point of view of a selfish animal. This suggests that conflict, far from hampering information pooling and effective decision making, can even improve the situation for all stakeholders, as long as they share large-scale goals. Thus, it provides a strong argument in the interest of all stakeholders for including other (e.g., minority) factions in collective decisions.” (Conradt, L. et al. (2013): 604, Kursiv: AZ)
Professor Christian List von der LSE bringt das so auf den Punkt: „Gemeinsame Entscheidungen in Gruppen basieren auf kleineren Meinungsverschiedenheiten, die Fehler ausgleichen. Dies heißt, dass sich die Qualität einer Gruppenentscheidung durch die Anzahl der unterschiedlichen Entscheidungsträger verbessern kann.”
Gelten die Ergebnisse auch für menschliche Entscheidungen?
Die Studienleiterin Dr. Larissa Conradt, wissenschaftliche Expertin für tierisches Gruppenverhalten am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, merkt vornehm vorsichtig an, dass es wohl möglich sei, diese Ergebnisse auf menschliche Gruppenentscheidungen anzuwenden. Aus meiner Sicht ist die Anwendbarkeit “augenscheinvalide”, also auch nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten relativ offensichtlich. Denn menschliche Gruppen neigen, wenn sie ein einheitliches Meinungsspektrum haben, im Gegensatz zu den Ergebnissen der hier vorgestellten Studie zum sogenannten “Gruppendenken“. Sprich: Es entsteht schnell eine fehlerhafte Entscheidung aufgrund zu einheitlicher Perspektiven. Abweichende Meinungen werden unterdrückt und es entsteht häufig eine überhebliche Annahme, gemeinsam eine erfolgreiche Entscheidung gefunden zu haben (vgl. dazu: “Alle Macht für niemand”: S. 227 – 230).
Wir können also umgekehrt mit einer gewissen Sicherheit davon ausgehen, dass unterschiedliche, voneinander abweichende Interessen bei einem geteilten Hauptziel auch bei Menschen die Qualität einer Entscheidung verbessert. Der dahinterliegende Mechanismus der Fehlerelimination versus Aufschaukeln von Fehlern ist ein äußerst plausibles Erklärungsmodell. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass selbst egoistische Ziele zu einer besseren Entscheidung beitragen, solange sie einem gemeinsamen Hauptziel untergeordnet sind. Last not least stellt die Studie neben dem Wert auch abweichender Meinungen und Ziele damit die Bedeutung einer geteilten Vision und Mission heraus. Denn die war in Form des übergeordneten Hauptziels bei den Erdmännchen die Voraussetzung, um die Unterschiede fruchtbar zu nutzen.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Weiterführende Literatur
Conradt, L., List, C. und Roper, T. (2013): Swarm Intelligence: When uncertainty meets Conflict. The American Naturalist, Vol. 182, No. 5: 592-610
Bildnachweis
- Beitragsbild:
- Erdmännchen: Sara, Joachim und Mebe, CC BY-SA 2.0
- Studie: Screenshot der ersten Seite der Studie von Larissa Conradt et al.
Meine Zustimmung aufgrund eigener Empirie und durch das Studium des Viable System Models könnte nicht größer sein. Kybernetisch gesprochen erhöht sich durch die Diversität der Interessen die Fähigkeit, Komplexität zu absorbieren (= Ashbys Law of Requisite Variety). Außerdem geht aus dem VSM hervor, dass ein lebensfähiges System nicht ohne ein gemeinsames “Hauptziel” (oder Zweck) existieren kann. Und wenn das Hauptziel fehlt, dann ist die Organisation evtl. schon tot (obgleich diese vielleicht noch nicht zu Ende gestorben ist oder durch Subventionen am Leben erhalten wird).
Zurück zur Diversität: Das gilt ja auch für Ökosysteme, die eindeutig stabiler sind, wenn die Diversität hoch ist. Und welcher nach Erkenntnis strebender Mensch will so blind sein, die über einen sehr langen Zeitraum erprobten Strategien der Natur zu ignorieren? Ganz abgesehen von den ethischen Fragen, die mit dem Thema Diversität, Partizipation und “Welt-Gestaltung” zusammenhängen.
Danke, Mark, für den Kommentar. Die Ergänzung um die erforderliche Varietät begrüße ich sehr, ist sie doch aus systemtheoretischer Sicht eines der Hauptargumente, warum wir endlich die Einfalt homogener Einzel- oder Kleingruppenentscheidungen durch die Vielfalt von Großgruppenentscheidungen ersetzen sollten, um der wachsenden Dynexity im Umfeld der Organisationen gerecht zu werden.
Lieber Andreas, vielen Dank dafür, dass Du immer wieder wissenschaftliche Erkenntnisse in die Diskussion um (neue und alte) Arbeit einbringst. Das fehlt mir oft. Also, weiter so! 🙂 Schöne Grüße, Lydia
Liebe Lydia,
Danke für die Rückmeldung und Ermutigung! Ich werde so weitermachen – jetzt erst recht!
HG
Andreas