Neue Arbeit dürfte neben der digitalen Transformation eines der häufigsten aktuellen Berufs-Buzzwords sein. Meine Google Suche präsentiert mir nach einer halben Ewigkeit von 0,64 Sekunden 1.120.000 Treffer. Neben diesem vielleicht bereits inflationären Gebrauch des Begriffs kommt noch hinzu, dass es auf Seiten von Berufseinsteigern oder noch jungen Berufstätigen ein großes Interesse an Arbeitgebern gibt, die sich Neue Arbeit – oder irgendeinen der verwandten Begriffe – auf die Fahnen schreiben. Dumm nur, dass es dann hie und da zu einer Lücke zwischen Wollen und Können kommt. So manche stellen sich Neue Arbeit irgendwie viel verheißend vor, lässig und inspirierend; sich Miete und Brötchen verdienen zwischen Arbeiten im Lieblingscafe, Tischfussball und ebenso kurzweiligen wie effektiven Meetings in einem coolen Loft mit großartigen KollegInnen, die eher schon Freunde sind. Allerdings ist dabei wohl nicht immer klar, was es für Kompetenzen erfordert, um selbstbestimmt zu arbeiten. Zeit für ein Zwischenresüme gemeinsam mit Markus Väth, der umgekehrt bereits gestern auf seinem Blog ein Gespräch mit mir veröffentlicht hat.
Andreas: Markus, was verstehst Du eigentlich unter Neuer Arbeit? Hast Du den Begriff für Dich definiert? Und welche anderen Begriffe zählen für Dich zu einer Tag-Wolke um Neue Arbeit herum? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es?
Markus: Ich will immer wissen, woher bestimmte Begriffe kommen, was die Quelle, die Wurzel ist. Und da beginnt Neue Arbeit oder New Work für mich in den 1980ern mit Frithjof Bergmann und seiner Kritik am Kapitalismus und am Lohnarbeitssystem. Auch die Frage nach einer individuell sinnvollen Arbeit und die Vision einer durchtechnisierten Ökonomie, der fabricator economy, hat er damals bereits skizziert. In diesem Sinne ist die Frage nach einer veränderten Arbeitsorganisation, wie sie viele New Worker heute stellen, eine wichtige, sinnvolle Ergänzung. Das konnte Bergmann damals noch gar nicht auf dem Schirm haben. Ich würde aber nicht sagen, dass Neue Arbeit tatsächlich ein neues Konzept ist. Wenn du mich nach maßgeblichen Schlagworten fragst, die die Neue Arbeit heute beschreiben, würde ich sagen: Sinnvolle Arbeit, Ökologie und Nachhaltigkeit, Entgrenzung der Arbeitswelt, Digitalisierung, Demokratisierung und Teilhabe sowie Dezentralisierung in der Organisationsentwicklung.
Ich sage in Diskussionen immer gern: Es geht um mehr als Organisationsentwicklung. Es geht ums Ganze. Wir müssen Arbeit völlig neu denken. Das war damals der radikale Impuls der Gruppe um Bergmann, und das sollte er auch heute sein. Wenn du nicht so radikal denkst, dann fingerst du immer innerhalb des Systems herum, du stellst das System als Ganzes nicht in Frage. Das müssen wir aber, schon allein aus Gründen des ökonomischen Überlebens und des sozialen Friedens: Wie wollen wir in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben? Wie schaffen wir einen maßvollen Kapitalismus? Wie erhalten wir den sozialen Frieden, wenn fast die Hälfte der Deutschen kein Vermögen hat oder Ersparnisse für schlechte Zeiten? 10 Prozent aller Haushalte gelten bereits als überschuldet – Tendenz steigend.
Was Neue Arbeit angeht, bin ich ein Freund der präzisen Begriffe. Und da stelle ich in der öffentlichen Diskussion fest, dass man den Begriff zunehmend unscharf und inflationär verwendet. Ich habe das vor einigen Jahren schon in der Burnout-Diskussion erlebt. Damals hatte ich dazu ein Buch über die strukturellen und gesellschaftlichen Ursachen von Burnout veröffentlicht und bei Gesprächspartnern, Kunden, aber auch Journalisten gemerkt: Hoppla, die haben davon ja höchstens eine rudimentäre Ahnung. Aber gleich mal mit wilden Statements um sich werfen. Das Gleiche passiert heute mit dem Phänomen Neue Arbeit.
Andreas: Es wird viel über Neue Arbeit geredet und geschrieben. Aber wie sieht es denn im Arbeitsalltag aus? Was sind Deine Erfahrungen? Zeichnet sich eine Veränderung der Arbeitswelt ab oder ist der Hype eine trügerische Blase, schillernd an der Oberfläche und substanzlos im Kern?
Markus: Ich würde mal sagen: Viele Unternehmen wollen, aber nur ganz wenige können. Ich halte das für normal. Es weiß ja im Grunde jeder, dass es in der Arbeitswelt nicht so weitergehen kann wie bisher. Jedes Unternehmen, jeder Geschäftsführer, jede Führungskraft bestätigt mir das unter der Hand. Aber es fehlt an persönlichem Mut, an Vorbildern oder an der Unternehmenskrise, die schließlich zu einer Veränderung zwingt. So wählt man eben den change by desaster und nicht den change by design. Im Grunde steuern viele Unternehmen auf eine Verwaltung des Mangels zu: Mangel an Sinn und an einer durchdachten Strategie, Mangel an geeignetem Personal und Mangel an geeigneter Organisation. Das ist wie bei der Gesundheit: Nach dem Herzinfarkt stellst du keine Fragen mehr. Aber davor bist du davon überzeugt, dass es alle treffen kann – nur nicht dich.
Neue Arbeit ist zur Zeit tatsächlich eine Mode, ein Hype. Aber das ist ja nicht nur schlecht. Die Öffentlichkeit und auch die Entscheider in Unternehmen gewöhnen sich so an bestimmte Debatten, buzzwords und Denkmodelle: an den Paradigmenwechsel in der Motivationspsychologie von Theorie X zu Y beispielsweise, an demokratische Entscheidungsmodelle oder ein Grundeinkommen. Diese Normalisierung, diese Gewöhnung an bestimmte Reizwörter darf man nicht unterschätzen. Am Schluss steht vielleicht ein Vertrauen durch Vertrautheit: Was man kennt, kann man leichter akzeptieren.
Womit ich eher ein Problem habe, ist die filter bubble der New Work – Szene. Da müssen wir echt aufpassen, dass wir keine Märchenschlösser bauen, uns einsperren und den Schlüssel wegschmeißen. Wir müssen, wie es so schön in der Politik heißt, anschlussfähig bleiben: in unseren Begriffen, in unserer Argumentation und vor allem in unserer Bereitschaft, der Wirtschaft keinen regime change aufzwingen zu wollen, sondern ihre Sorgen ernst zu nehmen und Geduld zu haben. Es ist eben leichter, sich auf Open Spaces der Branche gegenseitig den Nacken zu kraulen als rauszugehen und anstrengende Debatten zu führen.
Andreas: Was sind für Dich die größten Chancen und Risiken der Neukonfiguration von Arbeit?
Markus: Ich glaube, dass die ökonomische Wertschöpfung durch eine Person allein auf einen historischen Endpunkt zusteuert. Wichtiger werden die Wertschöpfung durch Maschinen oder durch die Zusammenarbeit mehrerer Menschen. Neue Arbeit muss das Hauptziel haben, diese Zusammenarbeit, diese Kollaboration durch neue Ansätze zur intelligenten Vernetzung zu ermöglichen und zu verbessern. Darin liegt ein – rein ökonomischer – Hauptnutzen für Unternehmen. Ich bin übrigens erstaunt, wie wenig dieser Aspekt in der Argumentation für Neue Arbeit Beachtung findet. Dabei wäre dies ein Türöffner zu so manchem Unternehmen.
Eine weitere große Chance von Neuer Arbeit liegt nicht, wie bei bisherigen Modellen, in der Quantität der Arbeit, sondern in deren Qualität. Nicht mehr die Frage “Wie viele Arbeitsplätze schaffen wir?” steht im Mittelpunkt, sondern die Frage: “Wie verbessern wir das Wesen der Arbeit für den Einzelnen und die Gesellschaft?” Auf der einen Seite kann diese Frage einen mächtigen innovatorischen Schub, einen Paradigmenwechsel auslösen. Auf der anderen Seite ist genau deshalb Neue Arbeit nicht für alle Arbeitsgesellschaften geeignet. Ein Staat muss sich bis zu einem bestimmten Punkt technologisch, wirtschaftlich und sozial entwickelt haben, damit Neue Arbeit greifen kann. Das ist in der westlichen Welt größtenteils der Fall, in Ländern wie Indien oder China vielleicht in fünfzehn Jahren. In Afrika beispielsweise sind wir davon noch mindestens eine Generation entfernt.
Eine große Gefahr sehe ich beispielsweise gar nicht in der Arbeitswelt selbst, sondern in unserem Bildungssystem. Ich persönlich sehe die Ausbildungsstätten nicht im Ansatz auf die technologischen und sozialen Herausforderungen der Zukunft vorbereitet. Stichworte sind hier: selbstorganisiertes Lernen, digitalisierte Klassenzimmer, Integration der Flüchtlingskinder oder die Herzens- und Charakterbildung. Ohne eine Neuaufstellung des Bildungssystems wird der Übergang zu einer neuen Arbeitsgesellschaft scheitern und Deutschland langfristig in die ökonomisch und technologische Bedeutungslosigkeit abrutschen lassen.
Andreas: Markus, vielen Dank für Deine ergänzenden und bereichernden Perspektiven!
Herzliche Grüße
Andreas
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