Petitionsentwurf: Mehr Demokratie in Unternehmen!

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Im Zusammenhang mit 12062020 Olympia werden bis zum 10.04.2020 Petitionsvorschläge gesammelt. Wir haben dort die kurze Version des hier veröffentlichten Entwurfs zu einer Petition für mehr Demokratie in Unternehmen eingereicht. Die Kurzversion war nötig, da dort im Eingabeformular eine Begrenzung der Zeichenanzahl vorgesehen ist. Allerdings möchten wir unsere Petition ausführlicher formulieren und vor allem begründen. Deshalb haben wir – Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons von der Universität Mannheim und die unternehmensdemokraten – uns entschieden, eine ausführliche Version in Absprache mit dem Organisationsteam von 12062020 Olympia Petition hier zu veröffentlichen. Die Kurzfassung bei 12062020 Olympia findet Ihr hier.

Einleitung

Unsere Petition auf der Plattform von 12062020

Ganz unabhängig von der aktuellen Situation infolge Corona: Stell Dir vor, Du findest in Deinem Briefkasten eine Anweisung, dass Du in zwei Wochen in eine andere Wohnung in einer anderen Stadt ziehen sollst. Außerdem wird Dir noch mitgeteilt, wie Du diese Wohnung einzurichten hättest, welchen Job Du zukünftig machen sollst, wie Du Deine Freizeit demnächst zu gestalten hättest und dass Du zum Ersten des nächsten Monats nur noch im Kostüm oder Anzug durch die Gegend laufen darfst – wie ginge es Dir damit? Würdest Du das akzeptieren? Wir vermuten: Wohl eher nicht. Wenn wir in unserem privaten Leben so viel Wert auf Selbstbestimmung legen, warum nicht bei der Arbeit?

Szenenwechsel: Stell Dir vor, Du kommst morgens zur Arbeit und kannst wählen, wer Dein Chef ist. Du darfst zudem selber entscheiden, mit wem Du an was arbeitest. Es liegt auch in Deiner Macht zu überlegen, wann und von wo Du Deine Arbeit tun möchtest. Und zudem ist, sofern Du das möchtest, sogar Deine Meinung gefragt, wenn es um Deine zukünftigen Kolleg*innen geht und wie Dein Arbeitgeber nachhaltiger werden könnte. Klingt das wie eine Utopie? Ist es nicht!

Viele Unternehmen arbeiten bereits seit vielen Jahren zu unterschiedlichen Graden selbstorganisiert, einige davon sogar in einem sehr umfangreichen Maße, sodass Anspruchsgruppen wie Lieferanten und Kunden bei Entscheidungen einbezogen werden. Aber auch zwischen einer umfangreichen Konsensdemokratie und der aktuellen Situation, in der die meisten Unternehmen überhaupt nicht demokratisch organisiert sind, gibt es viele funktionierende Modelle und Abstufungen teilweiser Selbstorganisation, Partizipation und Unternehmensdemokratie.

Interessanterweise ist die aktuelle Zeit der globalen Pandemie ein Fenster, das einige Dinge möglich und nötig macht, die noch bis vor paar wenigen Wochen – vor dem Lockdown – reine Phantastereien gewesen wären. Paradoxerweise ist es jetzt nicht nur das erste Mal seit dem 2. Weltkrieg, dass wir derart drastische (aber natürlich notwendige) Einschränkungen in unserem Leben akzeptieren müssen, sondern dass auch neue Freiheiten in Lebensbereichen möglich sind, die vorher streng reguliert waren. Die meisten Arbeitgeber sind gezwungen umzudenken. Sie ermöglichen ihren Mitarbeitern zum Beispiel die flexible Arbeit aus dem Homeoffice, oft in der Jogginghose. Und in vielen Fällen wird klar, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeit durchaus gewissenhaft erledigen, auch wenn ihnen keiner dabei auf die Finger schaut. 

Wir hoffen nicht nur, dass diese außergewöhnliche Zeit und ihre Erfahrungen zu einem nachhaltigen Umdenken in Bezug auf selbstbestimmte Arbeit führen, sondern wir finden sogar, dass es Zeit für noch mehr Veränderung ist. Wir glauben fest daran, dass unsere Unternehmen substantiell demokratischer werden sollten und dass das mit vielen positiven Effekten für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und unsere Gesellschaften einhergehen würde.

Begründung

Welche Gründe sprechen dafür, dass Unternehmen demokratischer werden sollten?

Legitimation der Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft: Unternehmen haben eine immer größere Macht und diese erstreckt sich auch auf den politischen Bereich: Unternehmen finanzieren durch ihre Spenden oft wichtige öffentliche Güter (wie Bildung), ohne demokratisch dafür gewählt worden zu sein (Legitimitätsdefizit). Außerdem beeinflussen sie die öffentliche Meinung (Funding von Think Tanks, Medien…). Im politischen Bereich sehen wir Demokratie als wichtige Grundlage unserer Gesellschaft an. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verwunderlich, dass wir in der Governance von Unternehmen nicht mehr Demokratie fordern!

Mitentscheidungsrecht der Anspruchsgruppen: Die Entscheidungsstrukturen in Unternehmen demokratischer zu gestalten, ist auch die logische Konsequenz des “Stakeholder Ansatzes”, den die meisten mittlerweile als sinnvolles Management-Modell akzeptiert haben. Nicht nur das Top Management und die Shareholder haben einen legitimen Anspruch auf Mitentscheidung, sondern auch andere Anspruchsgruppen wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, oder lokale Gemeinden, denn sie sind von den Aktivitäten des Unternehmen (positiv oder negativ) direkt betroffen.

Wohlergehen der Mitarbeiter und Produktivität: Erste Studien zu Demokratie in Unternehmen zeigen, dass Partizipation viele positive Effekte auf die Mitarbeiter*innen hat. Erstens geht es ihnen besser, sie fühlen sich durch mehr Mitbestimmungsrecht wertgeschätzt und erleben weniger emotionalen Stress. Zweitens sind sie aber auch motivierter, etwas zu der Zielerreichung des Unternehmens beizutragen. Das heißt: Mitarbeiter*innen werden nicht nur glücklicher, sondern auch produktiver. Das ist gut für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft!

Bessere Entscheidungen: Durch die vielfältige Informationsbasis, auf der Entscheidungen in der Unternehmensdemokratie getroffen werden, können Unternehmen sozial verantwortlicher und nachhaltiger werden. Während bei Entscheidungen in shareholderorientierten Unternehmen aktuell häufig Profiterwägungen im Vordergrund stehen und andere Auswirkungen nur untergeordnete Beachtung finden, würden demokratischere Strukturen dazu führen, dass die Bedürfnisse und Präferenzen von verschiedenen Anspruchsgruppen mehr Gehör finden.

Positiver Spillover Effekt auf politisches Engagement: Wer regelmäßig bei der Arbeit mitentscheidet und damit erfolgreich den eigenen Arbeitgeber mitgestaltet, entwickelt und pflegt seine demokratische Selbstwirksamkeit. Dies führt zu einem Übertrag ins private Leben in der Form einer erhöhten demokratischen Verantwortungsübernahme, gesteigerter Solidarität und demokratischer Selbstwirksamkeitserwartung. Unternehmensdemokratie wird somit zu einem wichtigen Erfahrungs- und Lernraum für uns als Bürger. Sie kann damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung unserer gesellschaftlichen Demokratie leisten. 

 

Fazit: Demokratie in Unternehmen ist eine längst notwendige Transformation!

 

Wissenschaftlicher Hintergrund

Wir stehen mit diesen Ansichten nicht alleine da, sondern führende europäische Wissenschaftler wie Andrew Crane (Centre for Business, Organisations, and Society; University of Bath), Andreas Georg Scherer (Chair of Foundations of Business Administration and Theories of the Firm, Universität Zürich), oder Wolfgang Weber (Professor für angewandte Psychologie, Universität Innsbruck) argumentieren seit Jahren, dass eine “Internalisierung von Demokratie in Unternehmen” ein unausweichlicher Schritt ist. Das größte Hindernis sieht die Wissenschaft dabei darin, dass die Machthaber in Unternehmen sich natürlich nur ungern Entscheidungshoheit wegnehmen lassen.

Nicht zuletzt ist gerade jetzt im Verlauf und bei der anschließend notwendigen Aufarbeitung der Corona Krise die Demokratisierung der Unternehmen und der Arbeit eine großartige Chance, unsere Gesellschaft zu einem besseren Ort für uns alle zu machen. So, wie es jüngst auch der Baseler Professor Jens Nachtwey im Spiegel schrieb: “Die Regierung wird wahrscheinlich viele Unternehmen retten müssen. Dann kann und sollte man sie allerdings auch demokratisieren.” (Nachtwey 2020)

Petition

Erstens bitten wir die Bundesregierung, erstens Maßnahmen zur Stärkung demokratischer Entscheidungsprozesse in Unternehmen zu diskutieren. Eine ganz konkrete Maßnahme wäre z.B. die Pflicht für Unternehmen einer gewissen Größe, eine Gemeinwohlbilanz im Sinne der Gemeinwohlökonomie zu erstellen. Diese berücksichtigt Aspekte der Partizipation und Demokratie. Dies wäre durch eine einfache Änderung des CSR-RUG (CSR Richtlinien-Umsetzungsgesetz) möglich.

Zweitens schlagen wir ein Förderprogramm* zur Demokratisierung von Arbeit vor. Unternehmen, die sich demokratisieren wollen, stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Diese können sie nur selten aus eigener Kraft stemmen. Um diesen Prozess erfolgreicher zu machen, wäre es hilfreich, wenn der Bund für diese Unternehmen einen gewissen Teil ihrer diesbezüglichen Investitionen übernimmt, so wie dies schon seit Jahren bei verschiedenen Förderprogrammen üblich ist.

Wir freuen uns über Verbesserungsvorschläge und Ideen für Unterstützer*innen unten im Kommentarbereich!

Anmerkungen

*Die unternehmensdemokraten würden sich als Beratungsunternehmen selbstverständlich explizit von einer solchen Förderung ausschließen.

 

Auswahl relevanter wissenschaftlicher Quellen

  1. Crane, A., Matten, D., & Moon, J. (2004). Stakeholders as citizens? Rethinking rights, participation, and democracy. Journal of Business Ethics, 53(1-2), 107-122.
  2. Crane, A., Driver, C., Kaler, J., Parker, M., & Parkinson, J. (2005). Stakeholder democracy: towards a multi‐disciplinary view. Business Ethics: A European Review, 14(1), 67-75.
  3. Harrison, J. S., & Freeman, R. E. (2004). Is organizational democracy worth the effort?. The Academy of Management Executive (1993-2005), 49-53.
  4. Matten, D., & Crane, A. (2005). What is stakeholder democracy? Perspectives and issues. Business Ethics: A European Review, 14(1), 6-13.
  5. Nachtwey, O. (2020): Wenn der Kapitalismus eine Vollbremsung macht. Spiegel Online
  6. Palazzo, G., & Scherer, A. G. (2008). Corporate social responsibility, democracy, and the politicization of the corporation. Academy of Management Review, 33(3), 773-775.
  7. Scherer, A. G., Baumann-Pauly, D., & Schneider, A. (2013). Democratizing corporate governance: Compensating for the democratic deficit of corporate political activity and corporate citizenship. Business & Society, 52(3), 473-514.
  8. Unterrainer, C., Palgi, M., Weber, W. G., Iwanowa, A., & Oesterreich, R. (2011). Structurally anchored organizational democracy. Journal of Personnel Psychology.
  9. Weber, W. G., Unterrainer, C., & Schmid, B. E. (2009). The influence of organizational democracy on employees’ socio‐moral climate and prosocial behavioral orientations. Journal of organizational behavior, 30(8), 1127-1149.
  10. Weber, W.G., Unterrainer, C.  & Höge, T. (2019). Psychological Research on Organisational Democracy: A Meta-Analysis of Individual, Organisational, and Societal Outcomes. Applied Psychology: An International Review, 2019, 0 (0), 1–63

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Randy Colas, via unplash, lizenzfrei

 

Comments (1)

Lieber Andreas Zeuch,
das ist eine sehr wichtige Initiative, ich freue mich dass ihr sie gestartet habt. Die aktuelle Krise zeigt uns ja deutlich, dass wir einiges verändern müssen an unserer Form des Wirtschaftens. Mehr Demokratie wäre für mich ein wichtige Voraussetzung, weil nur so die Intelligenz der Vielfältigkeit genutzt werden kann. Und nicht nur einige, am besten die durchsetzungsstärksten, ihre Macht ausüben und das meiste bestimmen.
Und die Gemeinwohlökonomie und ihre Prinzipien halte ich auch für ein gutes Modell, das Orientierung geben kann.
Ich wünsche euch ganz viel Erfolg und Unterstützung!
Martina Baehr

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