Am 02. Oktober 2019, eine gefühlte Ewigkeit her, lernte ich – mensch mag es kaum glauben – auf einer echten Konferenz von Angesicht zu Angesicht mit echten Büffets und Workshopräumen Volker Nürnberg kennen. Wir unterhielten uns dort das erste mal beim gemeinsamen Mittagessen und sind seit dem in lockerem Kontakt geblieben. In diesem Beitrag fokussieren wir gemeinsam auf Volkers Kernthema Human Resource Management.
Andreas: Danke Volker, dass Du Dir die Zeit für diesen Dialog genommen hast. Auch bei Dir wie bei den meisten anderen Dialogpartnern erst mal zu Dir und Deiner Person: Wer bist Du, woher kommst Du wohin gehst Du?
Volker: Ich bin Volker Nürnberg, ehemaliger Personalleiter und davor Analytiker mit einem Diplom in Statistik. Ich komme aus dem Sauerland und wohne jetzt in Berlin. Im 7. Jahr bin ich jetzt selbstständig, berate Unternehmen und trainiere deren Mitarbeiter. Personalabteilungen möchte ich helfen, sichtbarer zu werden und den Beitrag ihrer Arbeit zum Unternehmenserfolg sichtbar zu machen. Mein Leben lief nie 0-8-15, war und ist voller Überraschungen. Beständig ist meine vielfältige Neugierde und Offenheit für menschliche Vielfalt, sowie meine unbeirrbar positive Grundeinstellung.
Andreas: Fein, Danke. Zum Einstieg: Was denkst Du denn eigentlich über den Begriff des Human Ressource Management?
Volker: ich mag den Begriff nicht besonders, er ist mir zu mechanisch – tayloristisch. In den angelsächsischen Ländern sind mittlerweile andere Begriffe üblich, die ich besser finde, wie z.B. People (-engagement / -enthusement) Management.
Andreas: Prima vielen Dank. Dann steige wir jetzt noch tiefer ein, Volker: Inwieweit denkst du, hat das Personalmanagement “dans l’ensemble” überhaupt geliefert in den vergangenen Jahren?
Volker: Das ist eine gute Frage Andreas, insgesamt muss ich (für eine ehemaligen “Amtsinhaber” unisono und leider) zugeben – eher wenig. Personalarbeit war in der Vergangenheit eher ‘Anweisung’ als ‘Dienstleistung’ – das muss sich ändern!
Andreas: Kannst Du dazu noch ausführlicher werden bitte!
Volker: Viele Verantwortliche in den Personalabteilungen haben ein Selbstverständnis als Richtliniengeber und Berater der Führungskräfte. Optimiert wurde oft nur mit Blick auf die interne Effizienz und um Kosten zu sparen. Die Mitarbeiter wurden dabei nicht als „Kunden“ gesehen. Mitarbeiter ihrerseits empfinden die Angebote und Leistungen der Personalabteilung eher als zusätzliche Administration als hilfreich bei der Arbeit. Viele Studien, wie beispielsweise »Benchmark: Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit« der Arbeits- und Organisations- psychologin Svenja Schumacher (2018) – zeigen, dass Mitarbeiter und Führungskräfte nicht sehr glücklich mit der Leistung der Personaler sind.
Das ist umso bedauerlicher, als die überwiegende Mehrheit der Personaler sich ‘eigentlich’ viel mehr um die Mitarbeiter kümmern wollen, ihnen dies aber durch umfangreiche Administration und ‘dringender” Themen oft unmöglich gemacht wird. Manchmal frage ich Personalverantwortliche nach einer Selbsteinschätzung. Die Frage lautet: »Wie viele Prozent Ihrer Arbeitszeit, nutzen Sie – gefühlsmäßig – aus Sicht Ihrer Kunden richtig und wirksam?« Überraschenderweise lautet die Antworten meistens: »So knapp 50 Prozent der gesamten Arbeitszeit«. – Ich bin jedes Mal ein wenig erschrocken, wenn ich diese Antworten höre. Und in vielen Unternehmen ist es tatsächlich so, dass das Personalmanagement nicht den besten Ruf hat. Es steht im Verdacht nicht die Qualität zu liefern, die es liefern könnte. Auch diese Fremdwahrnehmung mag in der wenig freundlichen Selbstwahrnehmung den subjektiven Erfahrungen entspringen. Jedoch sind auch diese Erfahrungen Wahrnehmungen, die nicht einfach beiseite gewischt werden können.
Andreas: Das ist ja eine interessante Situation. Einerseits sehen sich, wie Du berichtest, viele Verantwortliche in den Personalabteilungen als Richtliniengeber und Berater der Führungskräfte. Andererseits sind Personaler*innen der Auffassung, nur 50% ihrer Arbeitszeit im Sinne ihrer internen Kunden zu nutzen. Gibt es da einen Zusammenhang? Und wie kam es zu der umfangreichen Administration? Könnte es da weiterhelfen, sowohl die Inhalte als auch Prozesse der Personalabteilungen mal gründlich auf den Prüfstand zu stellen?
Volker: Die bestehenden Inhalte und Prozesse in der Personalabteilung wurden optimiert – oft dabei mit dem Ziel, Kosten zu sparen. Die Administration konnte dabei nur teilweise verringert werden. Manchmal lag das an zu mächtigen Systemen (wie z.B. SAP HR), in anderen Fällen daran, dass bei der Optimierung oft nicht ‘ausgemistet” wurde und der bisherige Status Quo in Frage gestellt werden. Die Berichte aus der Personalabteilung sind ein gutes Beispiel. Im Laufe der Zeit haben sich da so einige Berichte zum Headcount, zum Krankenstand, etc. ‘eingebürgert”, deren Erstellung nicht selten aufwändig ist und über deren Nutzwert man sich mindestens streiten kann. Wir haben mal bei Coca-Cola alle Berichte ‘eingestellt’ und nur auf Anforderung (über ein Formblatt das unter anderem nach dem Verwendungsziel und den minimal notwendigen Informationen darin fragte) wieder produziert.
Es stellte sich dabei heraus, dass fast 70% der Berichte entweder gar nicht oder nicht so umfangreich benötigt wurden. Volker Nürnberg
Das ist in anderen Personalbereichen oft ähnlich, die Personaler sind oft sehr administrativ tätig und kommen dann nicht so recht zu den Themen die wichtig sind (aus Sicht deren ‘Kunden’), wie zum Beispiel
- bekommen unsere Führungskräfte gute Unterstützung?
- wird in geeigneter Weise im Unternehmen kommuniziert?
- kennen und fördern wir die Talente in unserem Unternehmen?
- sind wir nach außen attraktiv als Arbeitgeber und gelingt es uns, freie Stellen schnell und hochwertig zu besetzen?
- ist unser Weiterbildungsbudget optimal eingesetzt und fördert dieses effizient sowohl die digitale (oder anderweitige) Transformation für die Zukunft – als auch – andererseits – die individuellen Karrieren Einzelner?
Dazu gibt es viele Punkte – in denen Personaler selbst mit ihrem Arbeitsergebnis unzufrieden sind (“zu wenig Zeit, zu wenig Ressourcen, ….”) und viele Mitarbeiter auch. Manche ‘einfache’ Mitarbeiter empfinden die Personalabteilung eher als hinderlich als förderlich. Sehr kompetent werden Personaler seitens der Mitarbeiter nicht selten vor allem im Bereich Arbeitsrecht und im betrieblichen Gesundheitsmanagement angesehen, dort wo die Personalarbeit sichtbar wird. Sind das aber die für die Zukunft der Unternehmen entscheidenden Bereiche?
Andreas: Schönes Beispiel mit Coca-Cola! Das deckt sich vermutlich nicht nur mit meiner mehr oder minder intuitiven Einschätzung über den Nutzen eines unternehmerischen Berichtswesens. Das hat dann ja auch noch einen negativen Effekt auf diejenigen, die diese Berichte erstellen. Denn wenn sie keinen wirklichen internen Mehrwert erzeugen, dürfte auch das Sinnerleben darunter leiden. Wer will schon seine Lebenszeit damit verbringen, Dokumente zu erzeugen, die am Ende niemanden wirklich interessieren. Es scheint jedenfalls leider genug Menschen zu geben, die genau darunter leiden, wenn wir David Graebers Darstellung in seinem Buch “Bullshitjobs” glauben dürfen. Was er schreibt erscheint mir ziemlich plausibel.
Jetzt zu Deiner Frage am Schluss Deiner letzten Antwort: Sind das die in der Zukunft entscheidende Bereiche? Was denkst Du über Arbeitsrecht und betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)? Und welche Entwicklungen gibt es im Bereich BGM, was findest Du da sinnvoll, was nicht?
Volker: Für das derzeitige Arbeitsrecht ist Arbeit 4.0 mit allen damit einhergehenden Anforderungen an flexible Arbeitszeiten, Arbeit aus unterschiedlichen Orten und neuen Arbeitsformen, wie Gigwork und Crowdwork, eine große Herausforderung. Es zeigt sich allerdings aktuell in Zeiten der äußeren Bedrohung durch das Corona-Virus, dass doch vieles – trotz des recht starren Arbeitsrechts funktioniert, wenn gemeinsame Überzeugung und Handlungsdruck entsteht. Was ich persönlich gut finde, ist die betriebliche Mitbestimmung hierzulande, die viele Dinge auch vereinfacht, wenn es gelingt, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern herzustellen.
Ich halte regelmäßig Seminare zusammen mit Arbeitsrichtern. Deren Erfahrung ist es, dass die Dinge vor Gericht landen, wenn sie nicht funktionieren. Insofern bringt das Recht allein, auch wenn es gut definiert ist, die Unternehmen nicht weiter bei den derzeitigen Herausforderungen. Es ist immer besser, gute Führung und Kommunikationsprozesse im Unternehmen zu etablieren, von denen alle profitieren und Auseinandersetzungen rechtlicher Art möglichst zu vermeiden.
Was das betriebliche Gesundheitsmanagement betrifft: In den psychischen Erkrankungen zeigen sich die Schwächen von Führung, suboptimaler Arbeitsplanung und -organisation und von optimierbaren Kommunikationskaskaden. Die Statistiken der Krankenkassen sagen, dass 17% der betrieblichen Ausfallzeiten direkt auf psychischen Erkrankungen beruhen. Etwa gleich hohe Ausfallzeiten fallen an durch zum Teil gravierenden Nebenerscheinungen, wie Allgemeinschmerzen, Rückenschmerzen, erhöhter vegetativer Dystonie, Herz‐und Kreislaufproblemen, Angst etc., die auch von Medizinern nicht behandelt werden konnten: sogenannte funktionelle Störungen ohne „körperliches Korrelat“. Hier besteht also großer Handlungsbedarf und der Gesetzgeber verlangt seit Ende 2013 auch im Arbeitsschutzgesetz explizit die Berücksichtigung der psychischen Belastung in der Gefährdungsbeurteilung. Man könnte dort gezielt ansetzen und strukturiert die Ergebnisse der psychischen Gefahrenbeurteilung nutzen, neben regelmäßiger Kommunikation mit den Mitarbeitern im Unternehmen, um mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement das Unternehmen weiter zu entwickeln. Das sehe ich aber kaum in den Unternehmen. Betriebliches Gesundheitsmanagement bezieht sich oft auf Angebote zu Fitness und Ernährung, klammert aber die Themen Verbesserung der Arbeitsplanung, Führung und Kommunikation, die größeres Potential zu mehr “Gesundheit” bieten, oft aus.
Andreas: Das ist auch meine Wahrnehmung, wo ich das mitbekomme. Deshalb fand ich ja die Entwicklung des BGM bei ehemals Thyssenkrupp Rasselstein so interessant, über die ich in meinem letzten Buch berichtet hatte. Vor allem glaube ich, dass bei der Konzeptionierung eines für das Unternehmen passenden BGM eine partizipative Vorgehensweise keine Kür sonder Pflicht ist. Denn erstens wissen die Betroffenen meist sowieso am besten, wo der Schuh drückt. Und zweitens hat es wenig mit einem aktuellen Gesundheitsverständnis zu tun, wenn Gesundheit indirekt durch ein fremdbestimmt entwickeltes BGM gesichert und gefördert werden soll. Denn letztlich ist Gesundheit immer und zwangsläufig eine höchst subjektive Angelegenheit. Schließlich können uns Arzt*innen außer im akuten Notfall, in dem unser Bewusstsein ausgeknipst ist, sowieso nicht zu irgendeiner Behandlung zwingen.
Wie siehst Du das durch Deine spezielle HR Brille? Was denkst Du über die partizipative Entwicklung von BGM? Und Welche Erfahrungen hast Du denn diesbezüglich mit den Mitarbeiter*innen von Personalabteilungen gemacht? Hast Du die Entwicklung von BGM selber miterlebt oder sogar begleitet?
Volker: Ein gutes BGM ist immer partizipativ und zwar bezüglich der Mitarbeiter und Führungskräfte wie auch der Sozialpartner, sowie aller sonstigen betrieblichen Stakeholder (wie Betriebsärzte, Sicherheitsfachkräfte, Ersthelfer, etc.). Die Mitarbeiter der Personalabteilung müssen für eine erfolgreiche Implementation “raus aus dem Schneckenhaus”. Wie das gelingen kann und sich dann oft erfolgreiche “Gesundheitsteams” bilden, habe ich sowohl als Personalleiter in einem Produktionswerk der Sandoz gesehen, als auch bei anderen Unternehmen, die darüber extern berichtet haben, wie z.B. einem Spielkartenhersteller in Thüringen.
Andreas: Das ist höchst interessant – kannst Du zusammenfassen, was da die drei bis fünf wichtigsten Punkte waren, um ein partizipatives BGM erfolgreich zu entwickeln?
Volker: Dein letzter Halbsatz ist eine gute Vorlage! Im Einklang mit der Literatur gibt es aus meiner Sicht vier Säulen für ein erfolgreiches BGM, von denen Du den ersten Punkt schon vorweg genommen hast:
- es ist aktiv gelebt und bindet alle Stakeholder im Unternehmen ein,
- attraktive Unternehmenswerte sind postuliert und werden gelebt,
- die Arbeits- und Beziehungsorganisation ist gesund formuliert und konstituiert (im Wesentlichen dass eine gute Balance von Zielen/Forderungen und Möglichkeiten definiert ist) und schließlich:
- Mitarbeiter und Führungskräfte mit positivem Selbstbild, die sich aktiv in diesem Beziehungs-Ökosystem einbringen und Selbst- sowie Führungsverantwortung wahrnehmen.
Ich möchte diese Punkte in einer Grafik zusammenfassen, die sich inhaltlich im Einklang mit dem Buch “Gesundheitskultur: Entwicklung und Verankerung im Personalmanagement” von Anna Osterspey (2018) befindet, ergänzt um kleine eigene Ergänzungen und die ich in Seminaren verwende.
Außerdem möchte ich in der nachfolgenden Grafik ein Formulierungsbeispiel für attraktive Unternehmenswerte geben. Diese müssen natürlich in einem Unternehmen partizipativ entwickelt und eingeführt werden, um nicht nur ‘Papiertiger’ zu sein.
Andreas, wir haben jetzt von der Frage, ob das HR Management noch relevant ist, den Weg zu (nur) einem Aspekt der umfangreichen Aufgaben eines Personalverantwortlichen gefunden. Vielleicht kann man meine Antwort auf Deine Eingangsfrage darauf aufbauend wie folgt formulieren: “Das HR-Management ist wichtiger denn je – besonders auch im Rahmen der aktuell notwendigen Veränderungen! Allerdings müssen die HR-Verantwortlichen ‘raus aus dem Schneckenhaus’. Personalarbeit muss viel partizipativer durch aktiven Dialog werden, Mitarbeiter und Bewerber zu Kunden werden”. Insgesamt muss aus meiner Sicht ein Paradigmenwechsel stattfinden, von der effizienten Leistungserbringung zu einer agilen Anpassungsfähigkeit, die partizipative Prozesse im Unternehmen ermöglicht und fördert.
Andreas: Das ist doch ein passendes Schlusswort! Volker, vielen Dank für Deine Zeit und Deine Gedanken, Volker.
Herzliche Grüße
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Dito! Lieber @Andeas (XING-Du). Ähnliches hatte ich schon in meinem letzten Impuls meiner 14-teiligen Mäusestrategie zur Coronakrise geschrieben. Ja, Personal oder besser HRM verändert sich von Produktivitätsanalyse der Mitarbeiter hin zu Arbeitsleben 4.0 und “Enterprise Architecture Design(EA)” für Kunde und Mitarbeiter. Endlich! https://mueller-christine.de/2020/04/14/human-ressources-14-impuls-zukunftssicht/