Im Dialog: New Work und Feminismus

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New Work und Feminismus: Mitte Mai 2019 erhielt ich eine weitere Vernetzungsanfrage bei LinkedIn. Wie üblich fragte ich. nach dem Grund. Und so ergab sich sehr schnell das Thema dieses Dialogs,  nachdem ich Joana fragte, ob Sie “eigentlich im Kontext von New Work spezifische Frauenthemen sähe?” Ihre Antwort ebnete dann den Weg zu unserem Gespräch: “Was für eine schöne Frage.” Also ab dafür, es bedarf wohl keiner weiteren Einleitung.

Andreas: Joana, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast für unser Gespräch zu diesem wichtigen Thema New Work und Feminismus. Zu Beginn wäre es gut, wenn Du Dich kurz in diesem Zusammenhang vorstellst: Wer bist Du, woher kommst Du und wohin gehst Du?

Joana: Ein schöner Einstieg, vielen Dank. Ich bin 42 Jahre alt, Mutter eines Sohnes und lebe mit meiner Familie in Dresden. Als Wirtschaftsinformatikerin habe ich viele Jahre in der IT Branche als Projektmanagerin gearbeitet. Ein wesentliches Thema, das sich wie ein roter Faden durch meine gesamte Berufspraxis zieht, ist das Thema Menschlichkeit und Ethik in der Arbeitswelt. Es entspricht meiner inneren Überzeugung, dass das Miteinander der Menschen über jeglichen unternehmerischen Erfolg entscheidet. Daher habe ich immer auch zusätzliche Aufgaben übernommen, die auf den Teil der Organisationsentwicklung einzahlen, der lange Zeit im Schatten von Strategien und Prozessen stand: der Unternehmenskultur. Ich wollte ein Arbeitsumfeld einschl. Strukturen mitgestalten, in der jede*r Einzelne wirksam werden kann und eine positive Grunddynamik das alltägliche Miteinander prägt. Kurz: Macht ein Unternehmen seine Mitarbeiter*innen erfolgreich, dann wird es selbst erfolgreich. Über verschiedene Stationen habe ich mich zum systemischen Organisationscoach weiterentwickelt und bin seit 2018 als Coach und Mentorin selbstständig mit Fokus auf Frauen in Männerdomänen und der Begleitung von Unternehmen auf dem Weg zu einer diversifizierten Arbeitskultur.

Feminismus: Neue Haltungen & Rollenbilder

Andreas: Ok, vielen Dank – eine spannende Biografie und tolle Kombination von Ausbildung und Themen. Zu unserem Dialog: Erläutere doch erst mal Deinen Rollenbegriff. Denn gerade im Zusammenhang mit agilen Organisationen oder bei solchen, die mit Holacracy als Organisationsmodell arbeiten, ist der Begriff der Rolle wichtig und vieldiskutiert. Aber ich glaube, es geht hier um mehr, als nur die übliche Rollendiskussion nach der Abschaffung von Hierarchiestufen, besonders, wenn wir New Work und Feminismus in Beziehung setzen, oder?

New Work und Feminismus - Im Dialog mit Joana PratherJoana: Genau. Die Bestrebungen in Richtung einer neuen Arbeitswelt bergen auch eine gesellschaftliche Aufgabe mit einer Geschlechter-spezifischen Facette. Es bedarf grundsätzlich der Entwicklung einer neuen Haltung bzw. eines neuen Mindsets. Wir – Männer wie auch Frauen – sind nach wie vor durch ‚alte’ Rollen(vor)bilder in Bezug auf das Können und Möglichkeiten unserer Geschlechter sozialisiert. Wir wurden unbewusst von den Erwartungen und dem Verhalten unseres Umfeldes und unserer Familien geprägt. Das anerzogene Rollenverständnis lebt in uns als Erwachsene weiter und spiegelt sich auch in unserer Arbeit wieder. So beschreiben wir Rollen oft vollkommen rationalisiert. Für mich sind das funktionale Hüllen mit Eigenschaftsempfehlungen. Doch besetzt werden sie gemäß einer uns mitgegebenen Beurteilungsschematik (zu jung/alt für die Stelle, Mann/Frau/divers, …). Dort setze ich mit meiner Arbeit an, denn aus meiner Sicht bedarf neue Arbeit auch neuer Mindsets – sowohl bei Männern als auch Frauen. 

Männer wie Frauen haben oft noch althergebrachte Erwartungshaltungen an das jeweils andere Geschlecht. Der Grad der Veränderungsbereitschaft diesbezüglich ist sehr unterschiedlich. Frauen haben bereits heute einen sehr hohen Leidensdruck. Sie können und wollen beruflich gern mehr leisten, müssen sich den Raum dafür jedoch oft erst erschließen. Hier geht es darum, Karriere machen zu “dürfen” und zwar auf die eigene Art. Für Männer ist das oft gar kein Thema. Es gilt als selbstverständlich, dass ihnen diese Möglichkeiten offen stehen. Gleichzeitig fühlen sie sich teilweise durch ihr persönliches Umfeld geradezu genötigt, Karriere machen zu müssen. Daher geht es mir um die gesellschaftlich relevante Rollenfrage, die besonders im Bereich der Unternehmenskultur meist unentdeckt erhebliche Störungen verursacht: nämlich die der Geschlechter.

Im Unternehmenskontext werden Rollen funktional beschrieben, um reibungslose Übergabepunkte und Klarheit über Verantwortungsbereiche zu schaffen. Doch reichen diese Rollen in der Organisation m.E. nach nicht aus, um die unternehmerische Zielstellung zu erreichen. Offizielle Rollenbescheibungen gaukeln Chancengleichheit in der Geschlechterfrage vor. Die Diskussion um Frauenquoten zeigt u.a., dass dem noch nicht so ist. Die Rollenbeschreibungen enthalten nicht personifizierte Eigenschaften und funktionale Aufgaben, die später einer beliebigen Person mit entsprechenden Qualifikationen wie ein Kleidungsstück übergezogen werden sollen. Ich bleibe kurz in dem Bild eines Kleidungsstücks. Hier sehe ich zwei Themen. 

  1. Nicht jeder Mensch passt in jedes Outfit. Manchmal braucht es Arbeit am persönlichen Mindset, womit wir im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung wären.
  2. Oft werden Outfits vorsortiert gemäß “Das steht dir sowieso nicht”. Hier bewegen wir uns schnell im Bereich von Diversitätsfragen.

Meine Vision einer neuen Arbeitswelt enthält somit nicht nur soziale und fachliche Kompetenzen, sondern auch die Transformation unserer Mindsets. Eine Kultur der Augenhöhe entsteht nicht automatisch durch flache Hierarchien, Quoten, einheitliche Gehälter, bunte Büros oder flexible Arbeitsmodelle. Es bedarf einer Haltung von echtem Miteinander, Gleichrangigkeit, Respekt, Offenheit und Wertschätzung – auch dem anderen Geschlecht gegenüber – und das von beiden Seiten. Hier liegt meines Erachtens wirtschaftlich viel Potential brach. Das Mindset jedes einzelnen Mitarbeiters bildet in Summe das kollektive Mindset und damit die Kultur des Unternehmens. 

New Work, Feminismus & Beurteilungsschemata

Andreas: Das ist ja mal eine Steilvorlage. Ich versuche, mich auf drei Punkte zu konzentrieren: Erstens sagst Du, dass wir Rollen rational beschreiben würden, sie aber entlang einer gegebenenen Beurteilungsschematik besetzen würden, gerade auch im Zusammenhang mit Feminismus. Da hänge ich noch. Denn natürlich müssen wir beurteilen, ob wer auch immer gut zu einer Rolle passt und sie kompetent und motiviert ausfüllen wird. Wie soll das ohne Beurteilung gehen? Das diese Beurteilung wiederum unter anderem durch Vorurteile etc. beeinflusst werden, lässt sich kaum vermeiden. Zweitens ist klar, dass nicht jeder Mensch in jede Rolle passt. Siehst Du das Problem hier wiederum in den bestehenden Vorurteilen, die dann wiederum häufig eine Diskriminierung von Frauen mitbringen? Und zur Transformation des Mindsets möchte ich nur kurz anmerken: Da bin ich voll bei Dir, deshalb mache ich meinen Kunden immer klar, dass sie mit einer Scrumisierung ihres Unternehmens allein nicht die Probleme in den Griff bekommen, die sie damit lösen wollten.

Joana Prather über Feminismus im Kontext New WorkJoana: Zur Beurteilungsschematik: Ich gebe dir vollkommen Recht, wenn es um die fachliche Seite geht. Selbstredend ist das KnowHow der erste Entscheidungspunkt. Der Fakt, der mich weit mehr bewegt, ist der Einfluss unserer Prägungen bzgl. der Geschlechterthematik. Solange Frauen trotz gleicher und teilweise besserer Qualifikation eine Stelle nicht bekommen, haben wir hier ein Thema zu lösen. Zur Diskriminierung: Aus meiner eigenen Berufspraxis und denen meiner Klient*innen habe keine bewusste Diskriminierung von Frauen wahrgenommen, eher eine unbewusste, die sich mehr als eine Benachteiligung offenbart und mit unserer eben genannten Beurteilungsschematik zusammenhängt. 

So werden fachlich gleichwertig geeignete Kandidat*innen für eine Stelle/Rolle zusätzlich nach Kriterien beurteilt, die durchaus auch mit dem Geschlecht zu tun haben. Wer glauben wir, ist flexibler einsetzbar, leistungsbereiter und verfügbarer für die Firma? Frauen, die sich gemäß des aktuellen Gesellschaftsbildes neben dem Beruf auch um die Kinder zu kümmern haben oder Männer, die sich als die Familienversorger beruflich stärker engagieren? Diese Art von impliziten, gesellschaftlich begründeten Einstellungen bzgl. unserer Geschlechter führen dazu, dass obwohl es jede Menge qualifizierte Frauen gibt, dennoch wenig gleichwertig durchmischte Teams zustande kommen. Dadurch ist die Perspektivvielfalt eingeschränkt, was sich wiederum auch auf die Gestaltung der Lösungen auswirkt, die von den Unternehmen auf den Markt gebracht werden. Leider schließt sich hier ein Kreislauf, denn durch die mangelnde Perspektivvielfalt der Lösungen wird unser Gesellschaftsbild wiederum verstärkt. Ich frage mich, wie die Welt aussähe, wenn wir in allen Professionen eine grundsätzliche Verteilung von Frauen und Männern von 50% hätten. Nicht nur bezogen auf Top Management Ebene, sondern überall. Wenn es keine Frauen- und Männerdomänen gäbe und stattdessen jeder Mensch egal welchen Geschlechts in jeglichem Beruf und fachlicher Rolle die gleiche Akzeptanz erfahren würde. 

Ich möchte gern eine absurde Situation aus meiner Zeit in der Halbleiterei als Beispiel bringen. Es wurde ein neues Fabriksteuerungssystem eingeführt, ein Millionenprojekt. Die Chefarchitektin des Systems, eine hochintelligente Frau, bekam unter anderem ein indisches Entwicklerteam zur Unterstützung an die Seite gestellt, alles Männer. Diese verweigerten sich kulturell begründet den Anweisungen einer Frau, so dass letztlich ein StrohMANN eingesetzt werden musste, um die Arbeitsaufgaben zu verteilen. Ähnliches geht auch in unserer Kultur vor sich, nur nicht so offensichtlich. In Entscheidungsrunden scheint es gleichberechtigt zuzugehen. Doch werden Frauen hier ebenfalls weniger ernst genommen als ihre männlichen Kollegen, wenn sie in der Minderheit sind. Obwohl sie durchaus bereits wichtige Rollen innehaben, Expertinnen auf ihrem Gebiet sind, werden sie subtil überhört oder übergangen. Hier entsteht Firmen, die geeignete Expertinnen einsetzen, durchaus auch ein wirtschaftlicher Schaden, da ihr Potenzial nicht wirksam abgerufen werden kann. Daher halte ich es für wichtig, im Rahmen von New Work neben den fachlichen und hierarchischen Rollen und Strukturen auch die dahinter liegenden gesellschaftlichen Rollenbilder mitzuentwickeln.

Andreas: Was eine Story, der helle Wahnsinn. Mir ist jüngst aus meinem engsten Umfeld folgende Geschichte von einer Betroffenen erzählt worden, die eine wichtige Frage zum Feminismus aufwirft. Eine gestandene Frau mittleren Alters beginnt in einer Organisation gegen die dort laufenden sexuellen Diskriminierungen und verbalen Übergriffe gegen ihre Kolleginnen vorzugehen. Sie wurde mit den Verbalattacken nicht selbst direkt angegangen, fühlte sich aber als Frau natürlich auch diskriminiert. Abgesehen davon, dass sie beim Abteilungsleiter auf taube Ohren stieß, wurde sie – und ich drück das jetzt bewusst so drastisch aus – von fast allen Kolleginnen verraten. Gerade die, die persönlich attackiert wurden, weigerten sich, gemeinsam als Gruppe viel stärker für die gemeinsamen Rechte aufzustehen und zu kämpfen. Am Ende stand diese Bekannte von mir mehr oder minder alleine auf weiter Flur. Das es immer noch viel zu viele altvordere, sexistische, frauenfeindliche Männer gibt ist fraglos. Dagegen sollten wir gemeinsam vorgehen. Aber was mir in Zeiten von MeToo nicht in den Kopf geht, dass sich gut ausgebildete, eigenständige Frauen in Deutschland einfach wegducken. Und dann noch eine Kollegin, die für die gemeinsamen Rechte kämpft, einfach auflaufen lassen. Für mich entbehrt dieses Verhalten einer ausreichenden Selbstverantwortung und ist Lichtjahre von selbstbestimmter Arbeit und Feminismus entfernt. Hast Du schon Ähnliches erlebt und vor allem: Was denkst Du darüber?

System- und Eigenverantwortung

Feminismus und Patriarchat
©Lindsey LaMont

Joana: Was für ein bezeichnendes Beispiel. Ich kenne das Problem deiner Bekannten sehr gut und beobachte dies nicht nur in Fragen von Sexismus. Mir ist dies häufig selbst passiert, wenn auch in fachlichen Themenbereichen. Wie du bereits richtig sagst: Es ist ein Thema der Selbstverantwortung. Zu seinen Ideen, Worten und Taten zu stehen erfordert ein gewisses Maß an persönlicher Reife. Wer diese bereits hat, stellt sich offen gegen Ungerechtigkeit oder steht für eine Idee ein, die nicht der Norm entspricht.

Um bei deiner Bekannten zu bleiben: Dieses Beispiel sagt viel über die Kultur des o.g. Unternehmens aus. Diese Kultur lässt einen toxischen Umgang der Mitarbeiter*innen in Worten und Taten zu. Es besteht wenig Solidarität unter den Kolleg*innen. Auch die männlichen Kollegen hätten hier das Wort für die betroffenen Frauen ergreifen können, wenn sie grundsätzlich der Meinung wären, dass diese Art des Umgangs miteinander unangebracht ist. Vielleicht traut sich in diesem Umfeld niemand, diese heiklen Themen anzusprechen. Ich kann in diesem Zusammenhang auch die Frauen verstehen, die zwar betroffen waren, aber nicht den Mut hatten, öffentlich darüber zu reden. Vielleicht haben sie wenig andere berufliche Alternativen, sind jedoch auf den Job angewiesen. Vielleicht haben sie in der Vergangenheit schon einmal versucht, sich zu wehren und haben keine Besserung erfahren. Es wäre zu einfach zu sagen “Dafür müssen sie doch selbst einstehen.” Ich bewundere den Mut deiner Bekannten, offen Stellung zu beziehen in dem vollen Bewusstsein, dass sie sich damit angreifbar macht. Sie hat es dennoch getan, was für mich für eine starke Persönlichkeit spricht. Unternehmenskultur ist ein kollektives Phänomen und auch deine Bekannte ist ein Teil davon. Sie hat etwas getan, was anderen ggf. ein Vorbild ist. Diese Menschen mögen es im Moment noch nicht selbst schaffen, Stellung zu beziehen, doch wer sich entwickeln will schaut auf zu denen, die bereits das können, was man selbst können will. Daher glaube ich, würde man diesen Faden im Unternehmen aufnehmen, könnte man an einem Wandel arbeiten. Und wie du siehst: Work hat auch eine geschlechterspezifische Facette und New Work sollte hier Vorreiter für einen neuen Umgang sein.

Andreas: Da häng ich noch etwas. Natürlich hätten auch Männer etwas dagegen unternehmen können – und um es klar zu sagen: Sie hätten es auch tun müssen. Allerdings geht es hier um die Rechte der Frauen, es geht um Feminismus. Oder sollen nun doch wieder Männer beschützend einspringen und damit Öl aufs Feuer einer alten Rollendynamik gießen? Ich kann das übrigens auch von der Geschlechterfrage trennen. Denn es ging ja darum, dass JEMAND nicht für SEINE oder IHRE Rechte eingetreten ist. Das würde ich genauso sehen, wenn irgendein Mann von einer Kollegin diskriminiert wird und selbst nichts dagegen unternimmt (sowas in der Art ist mir sogar selber passiert). Natürlich könnten wir dann auch sagen, dass dessen Kolleginnen ja auch etwas dagegen unternehmen könnten. Könnten Sie, sollten sie. Ich sehe es aber umgekehrt: Die Verantwortung auf eine abstrakte Organisation zu verschieben, finde ich nicht zielführend, in Deinen Worten: Das ist mir zu einfach. Am Ende handeln konkrete Menschen und keine Organisationen. Genau darum geht es – am Ende müssen wir auch für uns selbst einstehen. Damit wird für mich etwas Wesentliches in dem Zusammenhang von New Work und Feminismus deutlich: 

Der zentrale Kern von New Work und Feminismus ist Selbstbestimmung und Eigenverantwortung! (Andreas Zeuch)

In dem von mir beschriebenen Fall war sogar klar, dass die verbalen Übergriffe nicht nur geschmacklos oder politisch ein klein wenig unkorrekt waren – nein, die waren unzweifelhaft durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz abgedeckt. Und da wird es meines Erachtens spannend. Die einzelnen Kolleginnen müssen sich derart isoliert gefühlt haben, dass sie nicht mehr gemerkt haben, dass sie im Rahmen eines gemeinsamen Einstehens für Ihre Rechte nicht sanktioniert werden können, das wäre sogar bei einer Person schwierig geworden. Obendrein hätte ja niemand mehr alleine aufstehen müssen. Da stand schon längst jemand und hat lautstark klargemacht, dass es so nicht geht! Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie die Geschichte ausging: Der Abteilungsleiter hat am Ende meiner Bekannten vollumfänglich zugestimmt und den Machohampelmann abgemahnt. Siehe da: Eine Frau bekommt alleine hin, wovor sich alle anderen fürchten. Sie hat eigenverantwortlich und selbstbestimmt gehandelt. Der Rest im Team hat sich schnell unsichtbar gemacht. Mit New Work hat das für mich so ziemlich rein gar nichts zu tun. Und mit Emanzipation und Feminismus auch nicht.

Feminismus, Joana PratherJoana: Ich würde das Knäuel gerne etwas entfilzen. Ich fange mal bei der Frage an, was dein Beispiel für mich mit New Work zu tun hat. Ob New Work gelingt, hängt maßgeblich vom Umgang und der Haltung der Menschen ab. Eine reife Organisation, sie Selbstorganisation lebt, braucht reife Menschen. “Am Ende müssen wir für uns selbst einstehen” – genau das meine ich mit persönlicher Reife, die es braucht. Hier braucht es die Persönlichkeitsentwicklung jeder*s Einzelnen.

Nun zum Thema Feminismus: auch das ist für mich Haltung und ich bin davon überzeugt, dass sich auch Männer für Frauen engagieren müssen, damit sich etwas in diesem Thema bewegt. Und das tun sie vermehrt wie Initiativen wie die He4She der UN zeigen. Sich für einen fairen Umgang miteinander einzusetzen (egal in welchem Thema) ist unser aller Aufgabe. Dazu gehört für mich ebenso, sich unter Kollegen solidarisch zu zeigen. Ich halte zudem die Analogie des Kämpfens für überholt. Solange wir sprachlich von Kampf reden, wird suggeriert, es gäbe für jemanden etwas zu verlieren. Meiner Ansicht nach gibt es für Frauen und Männer eher etwas zu gewinnen, wenn beide in ihr volles Potenzial kommen und die Vielfalt ihrer unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen. 

Wenn wir ganz ehrlich sind, ist ein Unternehmen nur an dem Teil der Menschen interessiert, der einen Wert schafft. Noch scheint mir der Teil der Kultur und des menschlichen Miteinanders eher ein add on als ein must. Dabei gibt es aus meiner Sicht gerade in dem Kulturaspekt viel ungenutztes Potenzial für Unternehmen, das Wert schaffen könnte. Zum einen schafft Diversität Perspektivvielfalt und damit Lösungen, die näher an echten Kund*innen sind, was sich wiederum auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Und zum anderen erhöht es die Mitarbeiterbindung, wenn sich die Menschen im Unternehmen angenommen und beteiligt fühlen. Das betrifft ja nicht nur Frauen. Vielfalt im Sinne von Diversity ist ein viel umfänglicheres Konzept und sehr relevant für New Work.

Andreas: Da kann ich nur abnicken. Natürlich sollten wir uns unbedingt solidarisch zeigen und auch füreinander einstehen – hatte ich ja auch gesagt. Ich finde es im Zusammenhang mit Feminismus und New Work nur von zentraler Bedeutung, dass wir auch für uns aufstehen und einstehen. Das ist für mich eine ganz wesentliche und grundsätzliche Frage. Denn wenn ich nicht die Verantwortung für mich und mein Leben übernehme, kann ich trefflich andere für meine Misere verantwortlich machen, was ja oft genug auch ein Teil der Wahrheit ist. Das hilft aber nicht, denn dieses Vorgehen macht mich ohnmächtig, weil ich dann immer darauf warte, dass jemand anderes für mich tätig wird. 

Interessanter Fakt nebenbei: In meinem letzten Buch “Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten” habe ich auch über einige Ergebnisse der empirischen Organisationsforschung zur Unternehmensdemokratie berichtet. Es zeigte sich, dass die Mitarbeiter*innen eher demokratische Organisationen signifikant solidarischer sind, als in Organisationen mit klassischer Aufbauorganisation. Somit ist auch das für mich ein Argument, warum es zutiefst sinnvoll ist, unsere Arbeit zukünftig viel partizipativer zu organisieren. 

Girl Power
©Arièle Bonte

Was die Kampfmetapher angeht, stimme ich Dir ebenfalls zu. Darüber hatte ich vor geraumer Zeit sogar einen Blogbeitrag geschrieben: WarWording. Ich würde auch nicht sagen, dass es nur und ausschließlich um Kampf geht. Beileibe nicht. Allerdings gibt es Situationen, in denen mir “Kampf” eine angemessene Beschreibung zu sein scheint: Kampf im Sinne einer harten Auseinandersetzung. Du hattest ja selbst gesagt, dass es manchmal darum geht, sich den Raum zu erkämpfen. Meines Erachtens sollten wir gemeinsam versuchen, so oft wie möglich nicht zu kämpfen – aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Und dann sollten wir uns eben nicht wegducken. Und im übrigen: Ich glaube sehr wohl, dass es natürlich für bestimmte Männer etwas zu verlieren gibt: Nämlich deren ganze patriarchale Annehmlichkeiten. Mit anderen Worten: Weitreichende gesellschaftliche Transformationen laufen niemals ohne Schmerz für bestimmte Personengruppen ab. Das hatte schon Harald Welzer sehr schön in seinem Buch “Transformationsdesign für eine Moderne” gezeigt. Als das Sklaventum oder die Kinderarbeit abgeschafft wurden, hatte das natürlich schmerzhafte Folgen für all jene, die Sklaven und Kinder ausbeuteten. Deren Unternehmen sind teilweise einfach zu Grunde gegangen, wenngleich ja perverserweise die Sklavenhalter seinerzeit massiv entschädigt wurden und nicht die Sklaven (vgl. Piketty “Kapitalismus und Ideologie”). Ich glaube nicht an einen tiefgreifenden Wandel, bei dem alle immer nur schöne neue Aspekte des Daseins erleben. Ist bei New Work nicht anders. Natürlich haben neue Arbeitsformen auch ihren Preis. Und der ist nicht zu unterschätzen. Wie siehst du das?

New Work, Gemeinwohl und Möglichkeitsräume

Joana: Du gehst ganz schön in die Vollen. Ich weiß nicht, was an dieser Stelle zu weit führt und was nicht. Ich mach mal einen Vorstoß in eine etwas ungewöhnliche Richtung zum Thema Kampf, Schmerz und Verlust. Manchmal glaube ich, uns Menschen fehlt es eher an Fantasie, groß zu denken und neue Gestaltungsräume aufzumachen. Nicht das Gestalten der Welt verursacht Schmerz, sondern das Festhalten am Alten. Das Leben allgemein ist stets in Veränderung. Unser Körper, unser Geist, unsere Arbeit, die Unternehmen, der Markt.. einfach alles verändert sich. Es ist “schmerzfreier”, sich in diesem Strom mitzubewegen, als sich dagegen zu stellen. Dennoch bleiben Menschen oft stehen und “kämpfen” gegen etwas an, weil sie sich nicht verändern wollen, nicht können oder ihnen die Vorstellungskraft für die Potenziale fehlt. Du sagst es selbst: Manche Männer meinen Annehmlichkeiten zu verlieren. 

Sie ruhen sich auf etwas aus und hören auf sich zu verändern. Natürlich neigen diese Menschen zu der Angst, etwas zu verlieren. Grundlage des Ganzen ist eine egozentrische Einstellung, lediglich auf sich selbst und seinen eigenen Vorteil zu achten. Diese Einstellung hat für mich wenig mit dem Mindset zu tun hat, das ich mit New Work verbinde. Dazu gleich mehr. An dieser Stelle noch kurz der Einwurf, dass Angst nur ein Konstrukt unseres Geistes ist. 

In der Vergangenheit sahen Unternehmen oft mit Angst auf Märkte. Sie dachten “Oh, das wird eng, wir müssen gegen XYZ ankämpfen, um unser Stück vom Markt zu sichern…” Wenn du mich fragst, zeigt das nur ihren Mangel an Fantasie. Allein die Verfügbarkeit des Internet hat mit einem Mal eine Vielzahl neuer Märkte eröffnet, die sich zuvor kaum einer vorstellen konnte. Plötzlich konnte man ganz neue Kunden gewinnen – so denn Veränderungsbereitschaft da war. Viele Firmen, die sich ausgeruht haben und dachten das geht vorbei (siehe Lexika wie Brockhaus) oder die mit gerichtlichen Mitteln die Veränderung aufhalten wollten (siehe Musikindustrie) haben lange schmerzhaft gekämpft und teilweise alles verloren. Krieg und Kampf sind für mich Machtspiele aus dunkleren Zeitaltern. Was wurde dadurch gewonnen und zu welchem Preis? Wohingegen es friedliche Zeiten gab und gibt, in denen die Wirtschaft floriert und Gesellschaften prosperieren. Bis einer daher kommt, der seine Angst nicht im Griff hat oder gierig wird und diese Atmosphäre zerstört und die Gesellschaft um viele Jahre in ihrer Entwicklung zurückwirft. 

Wir stehen an einem Scheideweg der Wirtschaft. NEW Work nennt sich neu, weil sie etwas neu machen will. Ich interpretiere dieses Neue als eine Form des Wirtschaftens zum gemeinsamen Wohle mit einem Mindset, das auf Möglichkeiten fokussiert. Da ist für mich kein Platz mehr im Kopf für Kämpfen, Schmerzen und Fokus auf Defizite. (Joana Prather)

Das hier noch nicht alle mitgehen (können), ist mir klar. Es ist ja auch ein radikales Umdenken von Wettbewerb & Verlustangst hin zu Miteinander & Vertrauen, das erst mal verinnerlicht werden will. Für mich gehört eine ordentliche Portion Persönlichkeitsentwicklung dazu, Menschen in all ihrer Vielfalt anzuerkennen, ob nun Geschlecht oder in anderer Hinsicht und uns zu fördern statt zu bekämpfen. Die Entwicklung dieser Haltung wird schließlich auch die Gesellschaft mit verändern. Heute im Kleinen mit einem, der anfängt, morgen mit zwei weiteren, die sich haben inspirieren lassen und irgendwann im großen Umfang.

Schweife ich zu sehr ab? Lass uns mal versuchen, das Thema abzurunden. Für mich ist das schon ein gutes Fazit dessen, worum es mir in der Kultur- und Persönlichkeitsentwicklung geht. Andreas, was ist dein Fazit zum Thema?

Andreas: Wie Du schon meinst – das ist ein gutes Fazit, dem ich mich voll und ganz anschließen kann, Joana! Somit herzlichen Dank für Deine Zeit und Gedanken zu neuen Rollenbildern bei Männern und Frauen im Kontext neuer Arbeit.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Samantha Sophia, unsplash, lizenzfrei
  • Fotos Joana:
  • Smash the patriarchy: ©Lindsey LaMont, unsplash, lizenzfrei
  • Grl Pwr: ©Arièle Bonte, unsplash, lizenzfrei

 

Comments (1)

[…] Ein interessanter Artikel zu einem Dialog zwischen einer Dame und einem Herren bezüglich der Fragestellung füreinander einzustehen in einem Arbeitskontext. Wir „Männer“ neigen dazu eine Pflicht / ein Prinzip zum Füreinander-Eintreten zu propagieren, während die „Frau“ mehr auf persönliche Reife abstellt. Dieses Thema ist für mich bewegend gewesen, da etwa 20% der Mitbürger*Innen Soziopathen*Innen, etwa 60% Oportunisten*Innen und die übrigen 20% als egoistisch-empathisch in Entscheidungssituationen im WG-Zusammenleben und Freundschaften waren: der häufigste Fall war das Sich-Raushalten als „unterlassene Hilfeleistung“. Vielleicht eine wichtige Debatte auch für Unternehmen: New Work und Feminismus. […]

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