Sprache ist wichtiger als Scrum und Slack

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Vor nicht all zu langer Zeit erschien in managerseminare ein kleiner Artikel von mir: Persönliche Reife ist kein Maßstab für Selbstorganisationskompetenz. Dort entfaltete ich kurz fünf Argumente, warum es widersprüchlich und fragwürdig ist, persönliche Reife als Vorbedingung von Selbstorganisation einzufordern. Nachdem ich die Veröffentlichung bei LinkedIn postete, gab es einige spannende Reaktionen. Unter anderem eine kritische von Svenja Hofert: „Ich mag Spiral Dynamics, auch wenn es Gedöns ist. Wir agieren ständig mit Gedöns, schon Sprache ist Gedöns.“ Das regt bei mir Widerspruch.

Sprache ist fundamental, Methode nicht

Dieser Vergleich von Methode und Sprache als “Gedöns” legt zumindest nahe, dass Svenja Hofert ein entwicklugspsychologisches Modell (im Sinne einer Bewusstseinsentwicklung) wie Spiral Dynamics mit Sprache gleichstellt. Das ist ein unzulässiger Vergleich. Er entbehrt jeglicher Grundlage. Denn das eine ist ein hochspezifisches Modell, dessen Nutzen nicht objektivierbar ist, während das andere eine der wichtigsten Grundlagen unseres Mensch-Seins ist, ohne die wir niemals unsere heutige Welt hätten erschaffen können, was keine subjektive Annahme ist. Mal abgesehen davon, was eigentlich “Gedöns” genau bedeuten soll, denn das Wort meint im allgemeinen Sprachgebrauch nicht zwingend Notwendiges und deshalb Entbehrliches. Was für Sprache wohl kaum zutrifft. Pointiert lässt sich festhalten:

Keine (agile) Methode ohne Sprache. Aber Sprache braucht keine (agile) Methode. Das eine ist die fundamentale Grundlage des Anderen.

Damit ist im Kern sofort klar, wieviel wirkmächtiger Sprache ist. Es geht dabei vor allem um eine Verhältnismäßigkeit von hippen Methoden und Instrumenten wie Scrum oder Slack einerseits und Sprache andererseits. Oft genug ist mir in den letzten Jahren die verständliche aber absurde Sehnsucht entgegengeschlagen, die Transformation doch bitte über ein Ausrollen von Methoden und Tools zu wuppen, ohne im Unternehmen auch nur ansatzweise ein gemeinsames, partizipatives Verständnis von der auslösenden Problemlage zu haben und was eigentlich genau erreicht werden soll.

Dabei ist klar: Keine Organisation, egal aus welchem menschlichen Zeitalter, wäre ohne Sprache auch nur denkbar gewesen. Unsere Sprache ist der immaterielle Stoff, aus dem wir unserer Organisationen erst denken, dann besprechen und letztlich verwirklichen. Sprache ist wirksam über Jahrhunderte menschlicher Kulturen, sie ist die zeitlose Brücke zwischen uns Menschen, unseren Wahrnehmungen, unserem Denken und Handeln. Überall, wo wir die jeweilige Sprache nicht sprechen, stoßen wir ganz schnell an die Grenzen unserer Kommunikations- und Handlungsfähigkeit. Das dürften die meisten von uns irgendwann mal im Urlaub erlebt haben. Klar, Muddling Through im Lokal oder dem Supermarkt geht schon irgendwie, aber einen grandiosen Witz reißen, oder eine berührende Geschichte erzählen oder dem Arzt im Krankenhaus das Schmerzerleben erklären? Fehlanzeige.

Mangelnde professionelle Präzision

Ein Slack Workspace
Ein Slack Workspace. ©Andreas Zeuch

Die Bedeutung von Sprache wird zudem durch ihrem unpräzisen Gebrauch klar. Ohne Unterlass werden die Buzzwords der neuen Arbeitswelt durch alle möglichen On- und Offline Redaktionen geprügelt, in Social Media Diskursen bis zur Unkenntlichkeit trivialisiert und synonymisiert, dass es bald unmöglich ist, noch irgendeinen Gehalt damit zu verbinden. Da wird jeder stinknormale Change, in dem das tayloristische Paradigma der Trennung von Denken und Handeln nicht im Mindesten angerührt wird, plötzlich zur Transformation. Wobei ich nicht das Geringste gegen Change habe, also Veränderungsprozesse innerhalb diesen alten Paradigmas. Es ist lediglich etwas vollkommen anderes. Und deshalb unterscheiden wir unternehmensdemokraten zum Beispiel die Begriffe Transformation und Change sehr klar. 

Ebenso höre und lese ich immer wieder Begriffe wie „hierarchielos“ im Kontext von Kapitalgesellschaften. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ist dies in fast allen Fällen sachlich unhaltbar. Die Geschäftsführerin steht hierarchisch natürlich über ihrer Belegschaft, auch wenn sie sich noch so ehrlich um „Augenhöhe“ bemüht. Sie ist weisungsbefugt und wenn sie zudem noch Inhaberin ist, kann sie obendrein die Bude verkaufen wie es ihr beliebt. Sie macht sich nicht strafbar, wenn sie vorher ihre Belegschaft nicht um Zustimmung oder auch nur ihre Meinung bittet. Die immer noch gültige juristische Kodifizierung in Form unseres Gesellschaftsrechts spricht hier ebenfalls eine sehr eindeutige – Sprache.

So mögen die beiden hochkomplexen Fachgebiete der Juristerei sowie Medizin als Beispiele herhalten: Beide haben eine je spezifische Fachsprache hervorgebracht, die nur über einen langen Zeitraum gemeistert werden kann. Und ohne diese Sprache wären beide Fächer nicht denkbar. Ohne je hippe Arbeitsmethoden sehr wohl. Die Methoden haben sich über die Jahrhunderte geändert, die Sprache auch. Aber keineswegs das Verhältnis von Sprache zu Methoden. Denn der Zusammenhang reicht noch viel tiefer: Ohne Sprache kein Denken. Wir denken keineswegs nur, aber unbedingt auch in Sprache.

Und so beobachte ich eine ausgesprochen gefährliche Entwicklung: Methoden und Instrumente sollen die Transformation rocken, während gleichzeitig eine babylonische Sprachverwirrung herrscht. Die neuesten Buzzwords werden als semantische Säue durchs Managementdorf getrieben und sollen Bewegung suggerieren, Entwicklung, mithin: Fortschritt. Zu selten bemühen sich die Sprecher*innen und Autor*innen um Präzision, sondern reproduzieren nur die aktuelle Begriffsmode. In der Folge ist oftmals nicht klar, was genau gemeint ist. Jemand nutzt einen Begriff und geht fälschlicherweise davon aus, dass die Empfänger*innen der Botschaft schon verstehen, was der/die Sender*in gemeint hat. Das führt schnell zu Missverständnissen, denn es gilt:

Das eigentlich Missverständliche ist das scheinbar Selbstverständliche.

Ein kleines Fallbeispiel aus unserer Praxis möge das illustrieren: Vor einigen Jahren gingen wir in die Auftragsklärung mit einem neuen Kunden. Im ersten Gespräch bekam ich zu hören: “Wir wollen hierarchielos werden.” Meine erste Reaktion war: “Vergessen Sie bitte den Begriff hierarchielos.” Denn selbst wenn formal-fixierte Hierarchien, also die damit verbundene Aufbauorganisation mit fixen Stellen und dem zugehörigen Disziplinarrecht abgeschafft werden, entstehen schnell informelle Hierarchien, wie uns die Organisationsforschung lehrt. Sprich: Eine Organisation kann sich gar nicht jeglicher Form von Hierarchie entledigen. Die mit der Transformation verbundene Zielsetzung wäre also von Anfang an zum Scheitern verurteilt, was natürlich erhebliche Frustrationen zur Folge hätte, wenn mal wieder ein Veränderungsprozess misslingt. Formal-fixierte Hierarchien können indes durchaus bis zu einem gewissen Grade aufgelöst werden, aber das ist etwas anderes, als völlige Hierarchiefreiheit auszurufen.

Sprache ist das Fundament unserer Arbeit

Geld - ein weiterer Komplexbegriff unserer Sprache
Geld. Scheinbar klar – aber was verbinden Mitarbeiter*innen eigentlich damit?

In der aktuellen New Work Debatte um New Pay verhält es sich mit dem Begriff des Geldes ähnlich. Wir alle nutzen dieses Wort mit der allergrößten Selbstverständlichkeit, so wie der Fisch das Wasser, in dem er schwimmt – und es nicht als zentrales Medium seines Lebens wahrnimmt. Was genau bedeutet Geld für uns? Was für die einzelnen Mitarbeiter*innen eines Unternehmens? Und gibt es ein kollektives Verständnis, was Geld für die Organisation bedeutet, in der neue Gehaltsmodelle entwickelt und etabliert werden sollen? Anders gewendet: Wie kann überhaupt ein nachhaltiges alternatives Gehaltsmodell entwickelt und gepflegt werden, wenn den meisten der Angestellten nicht mal klar ist, was Geld für sie bedeutet, welche Haltung sie dazu haben, woher ihre Glaubenssätze dazu stammen? Und wie können wir diese Lücke schließen? Durch Sprache. Ausschließlich.

Aber wir müssen nicht mal derart spezifisch werden, um zu erkennen, dass Sprache das zentrale Werkzeug unseres professionellen Handelns ist. Wie würden wir uns schon im normalen Arbeitsalltag organisieren und verständigen ohne Sprache? Wie Ziele erarbeiten, setzen und kontrollieren, wenn wir nicht über sie reden oder schreiben würden? Wie würden wir Konflikte auflösen, wenn wir uns nicht gegenseitig erklären könnten? Wie ein neues Produkt präsentieren und verkaufen ohne Sprache? Was wäre der Inhalt von Slack et al., ohne Sprache – Katzenfotos? Wer fragt, der führt heißt: durch die eigenen Fragen wird das Denken und Sprechen der Antwortenden in die inhaltliche Umlaufbahn dieser Fragen gelenkt. Aber das geht nur mit Sprache.

Das wichtigste Mittel, um mit den Fragen, Sorgen, Ängsten und Nöten oder der Wut bei Veränderungsprozessen umzugehen, ist genauso unsere Sprache. Wir können – und sollten – immer wieder auch nonverbale Methoden wie systemische Aufstellungen nutzen. Ich bin als diplomierter Musiktherapeut ein großer Freund dieser Verfahren jenseits unserer Sprache. Aber sie wären nutzlos, wenn wir nicht vorher und hinterher wieder miteinander reden würden. Und das, was da an individueller und sozialer emotionaler Dynamik entfacht wird, wenn es zu einer Fusion kommt, zur Standortschließung, Entlassungswelle oder eben zum Abbau formal-fixierter Hierarchie, all das muss bearbeitet, also: besprochen werden. Ansonsten entsteht schnell eine destruktive Dynamik.

All dessenthalben bemühen wir unternehmensdemokraten uns um eine möglichst präzise Nutzung von Begriffen wie Hierarchie, Transformation, Selbstorganisation und dergleichen mehr. Und haben begonnen, ein Glossar aufzubauen, in dem wir im Laufe der Zeit immer mehr Begriffe definieren werden, die für unsere Arbeit eine wichtige Rolle spielen. Aktuell diskutieren wir dazu intensiv den Begriff der Selbstorganisation in Abgrenzung zur Unternehmensdemokratie. Was wiederum zu einem neuen Vortrag führt, um unsere Begriffe als zentrale Arbeitsinstrumente verständlich zu machen. Und all das ist Sprache. So viel wichtiger als Scrum und Slack.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Antenna, unsplash, lizenzfrei
  • Slack: ©Andreas Zeuch
  • Geld: ©Omid Armin, unsplash, lizenzfrei

 

Comments (6)

Vielen Dank Andreas Zeuch für diese wunderbaren Zeilen – als Dialogfanatikerin freue ich mich sehr über Ihre Haltung und teile viele Ihrer Ansichten, hätte sie nur nicht so gut formulieren können.
Jeannette Partner

Liebe Frau Partner,

Danke für den positiven Kommentar, freut mich! Da haben wir mit unserer Begeisterung für die Dialog-Methode (haha, da kommen dann Sprache und Methode zusammen) wohl eine Gemeinsamkeit. Bei LinkedIn gibt es übrigens noch eine kleine Diskussion dazu.

3 zusätzliche Anmerkungen:
1. Der unpräzisen Sprache geht meist schludriges Denken voraus.
2. Es fehlt oft eine ernsthafte Überprüfung der – tatsächlichen – eigenen Einstellung / inneren Haltung zu folgenden Themen: Machtverlust, Transparenz, Teilung von Wissen und Erfolg, Übernahme von Verantwortung, Bedeutung von Kontrolle und Sicherheit.
3. Vieles scheinbar Neues ist bei Licht betrachtet ‘neuer Wein in alten Schläuchen’. Seit Jahrzehnten geht es in der Unternehmensfortbildung um ‘Win-Win’, um Wertschätzung, Augenhöhe, flache Hierarchien, …
Anstatt immer neue Methoden zu erfinden, sollten wir uns vielleicht zuerst fragen: Weshalb hat es bisher nicht funktioniert? #Führung #flacheHierarchie #Scrum

Liebe Frau Fontaine,

Danke für Ihren Kommentar. Dazu Folgendes:

Sie schreiben, der Sprache gehe oft schludriges Denken voraus. Da frage ich mich: Wie trennen Sie Denken und Sprache? Liest sich für mich so, als wäre das eine die kausale Ursache des anderen in einer chronologischen Einbahnstraße, also immer erst das Denken, dann die Sprache. Aus meiner Sicht haben wir es mit einem wechselseitigen Kreislauf zu tun: Unreflektierte, ungeschärfte Begriffe, dann eigentlich vielmehr bloße Worte ohne konzeptuelle Durchdringung (“hierarchielos”), prägen das weitere Denken (und Wahrnehmen und Handeln). Und das wiederum beeinflusst den weiteren Sprachgebrauch.

Die mangelnde Überprüfung eigener Einstelllungen etc. nehme ich exakt so wahr. Das dürfte einer der Gründe sein, warum wir all das hohle Transformationsgelaber so vieler CEOs von DAX30 Unternehmen ertragen dürfen: Diese Herren stehen über der Transformation: Vieles und Viele müssen sich ändern, gefälligst, nur sie selbst nicht. Sie sind ja die Leiter des Experiments, die am äußeren Es rumlaborieren, an Entitäten, die völlig von ihnen selbst entkoppelt sind. Dumm nur, dass diese Haltung selbst im physikalischen Labor schon längst widerlegt ist.

Und ja: Alter Wein in neuen Schläuchen. Aber mitunter ändern sich die Rahmenbedingungen. Nehmen Sie mal den Begriff der Unternehmens- oder Organisationsdemokratie. Diese Termini gab es nicht erst seit den 1980ern oder 70ern, wie mir naseweise Kritiker vorhalten, um mir damit zu sagen, dass ich ja nichts Neues sagen würde (um sich dann dem verstaubten Taylor zuzuwenden). Unabhängig von der Frage, warum dadurch etwas unbrauchbar werden soll (siehe Taylor), stimmt dies so nicht. Das erste Mal tauchte der Begriff mindestens bereits 1898 auf: “Industrial Democracy” von Webb und Webb. Allerdings hat sich seit 1898 einiges geändert, sogar seit den 1980ern: Heute haben wir nämlich das technologische Rückgrat, ohne das eine Unternehmensdemokratie in größeren Betrieben bis dahin nur sehr schwer realisierbar war. Heute könnte VW oder Foxconn die gesamte Belegschaft in Entscheidungsprozesse miteinbeziehen. Und das ist EINER der Gründe, warum UD bislang nicht funktioniert hat. Wobei es noch weitere, schwerer aufzulösende Probleme gibt, wie den organisationalen Archetyp der formal-hierarchischen Organisation.

Lieber Andreas,
vielen Dank für den tollen Beitrag.
Die Sache mit der sprachlichen Ungenauigkeit bzw. mangelnde professionelle Präzision fällt mir auch zunehmend auf. Manche Vorträge und Blogbeiträge arten diesbezüglich in eine regelrechte “Phrasendrescherei” aus.
Ein “Wieselbegriff” (C W.Lotter) jagt den anderen – und alles wird agil: vom agilen Mindset bis zum “agilen Zuhören” (sic!).

Ein zweites Dankeschön auch für den Impuls mit dem Glossar. Ich habe mich auch getraut, und auf meiner Webseite eines eingerichtet. Fokus: Positive Psychologie, Positive Leadership, eudaimonic wellbeing.

Schöne Grüße aus Wien
Gottfried

PS: Falls Ihr einen Tipp für ein WordPress Plugin braucht:
“WP Glossary – Encyclopedia / Lexicon / Knowledge Base / Wiki / Dictionary”

Lieber Gottfried,

danke für Deine Rückmeldung – das Glossar Plugin schauen wir uns an, sieht schick aus bei Dir, Gratulation!

Herzliche Grüße nach Wien
Andreas

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