Im Schatten von Corona: Stellenabbau in alter Tradition.

Stellenabbau: Vor ziemlich genau drei Jahren veröffentlichte ich hier in unserem Blog meinen Beitrag “Siemens, Robin Hood und Unternehmensdemokratie” über den damaligen Stellenabbau im Bereich Gasturbinen. Seinerzeit führte das recht rabiate Vorgehen zu einem allgemeinen Aufschrei, sowohl in der Gesellschaft als auch bei diversen Politikern. Es ging dabei in Summe um 7000 Stellen weltweit und 3500 hier in Deutschland. Aktuell sieht es noch viel düsterer aus. Reaktionen bleiben jedoch aus.

Abbau von Stellen in Zeiten von Corona

Zum schnellen Überblick erst mal eine alphabetische Auflistung derjenigen Unternehmen, deren Stellenabbau ich in den letzte Wochen Über diverse Medien mitbekommen habe. Ich beziehe mich mit diesem Beitrag nur auf die folgenden Fälle ohne weitere, tiefergehende Recherche zu weiterem Stellenabbau in Deutschland. Das ist auch gar nicht nötig, denn alleine die folgenden Zahlen machen schnell deutlich, dass alleine mit diesen Fällen der Abbau um einiges höher ist der von Siemens in 2017:

Somit wird deutlich: Alleine bei den hier aufgeführten Unternehmen, die in Deutschland Stellen abbauen wollen, reden wir über einen erheblich größeren Umfang als seinerzeit bei Siemens und dabei ist meine Liste nur ein kleiner Ausschnitt. Verglichen mit dem Siemens Abbau von 3500 Stellen ergibt sich eine Steigerung von rund 3283%. Nochmal in Worten: Dreitausend-Zweihundert-Dreiundachtzig Prozent mehr Stellenabbau als bei Siemens 2017! Dabei wurden natürlich auch im letzten Jahr mehr Stellen als bei Siemens abgebaut. Aber alleine der Fall des Münchner Konzerns zeitigte damals erhebliche öffentliche Kritik und löste viel Gegenwind aus. Interessanterweise führen dagegen in diesem Jahr auch Berichte in großen Medien wie der FAZ, dem Spiegel oder der Süddeutschen Zeitung in der Öffentlichkeit zu kaum sichtbarer Reaktion. Offensichtlich haben viele gerade andere Sorgen, als sich hier in irgendeiner Weise zu engagieren. Es gibt kaum  öffentliche Proteste oder Politiker, die sich dazu kritisch äußern.

Stellenabbau ist normal. Fragt sich nur, wie er vollzogen wird. 

Geringer Stellenabbau in der Atomsparte durch SubventionierungDabei vertrete ich nicht eine Sekunde die für mich unsinnige Meinung, dass diese oben kumulierten Arbeitsplätze unbedingt auf Teufel komm raus irgendwie gehalten werden müssten. Für mich ist die künstliche Beatmung von Unternehmen und Wirtschaftszweigen in vielen Fällen gerade gesamtgesellschaftlich äußerst fragwürdig. Ich denke dabei an die subventionierte Kohle- oder Atomenergie, die ohne diese staatlichen Förderungen schlicht und ergreifend unwirtschaftlich wäre (soviel einmal mehr zur Selbstregulation des freien Marktes). Meine Kritik zielt also nicht auf den Abbau an sich.

Problematisch ist das Wie. Bei Siemens wurden die betroffenen Mitarbeiter*innen nicht konzertiert in die Lösungsfindung miteinbezogen, das wär sonst wohl DIE Knallernachricht zu New Work in 2017 und folgende gewesen. Niemand kam auf die Idee, die Belegschaft dazu einzuladen, selber Lösungen zu entwickeln. Die einzelnen Mitarbeitenden durften natürlich ihre Vorstellungen und Wünsche einbringen, wo sie im Konzern wie zukünftig vielleicht unterkommen wollen, aber das war’s dann auch schon. Es gab in den bisherigen Fällen keine kollektive Entwicklung neuer Geschäftsfmodelle, damit verknüpfter MVPs und dergleichen mehr. Und weil es so erschreckend gut passt, zitiere ich jetzt an dieser Stelle ein paar Zeilen meiner Satire über Siemens von 2017. Denn offensichtlich mangelt es den Verantwortlichen immer noch an der Vorstellung, wie sie den Betroffenen einen Raum öffnen könnten, um unternehmerische Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Oder aber sie sind bis in die letzte Zelle von Misstrauen und einem misanthropen Menschenbild durchdrungen:

“Wie soll man sich das vorstellen? 720 Mitarbeiter vom Görlitzer Standort kommen an einem Wochenende in einer Turnhalle zusammen, um gemeinsam Wege aus der Misere zu finden und zwar jenseits des innovativen Instrumentes sozialverträglichen Abbaus? Was würde passieren? Natürlich würden die Mitarbeiter nur an sich selbst denken und weiter für Siemens arbeiten wollen, ohne Umzug selbstredend. Die wären nicht bereit, wie Kaeser den Prügelknaben zu machen und die Wut der Nation in Würde auszuhalten! Man stelle sich vor: Die würden in blumig-verqueren, sektengleichen, sogenannten Open Space Konferenzen dutzende oder hunderte von Ideen entwickeln, wie sie für Siemens das Beste aus der Energiewende rausholen könnten. Offensichtlich hat der ehemalige Musiktherapeut Zeuch zuviel seiner eigenen tranceinduzierenden Entspannungsmusik gelauscht. Das scheint zwar das lose Assoziationsvermögen gestärkt, aber das logische, nüchterne Denken massiv in Mitleidenschaft gezogen zu haben.

Denn was hätte Siemens bitte davon, wenn Belegschaften mehrere Werke neu erfinden, anstatt elegant sozialverträglich abgebaut zu werden? Da müssten Möglichkeitsräume geöffnet und Unsummen investiert werden. Das Ganze hätte Folgekosten, die vermutlich über interne Jobangebote und dergleichen mehr deutlich hinausgehen. Denn der Abbau ist irgendwann erledigt, während die Gestaltung der Energiezukunft so schnell nicht zu beenden ist. Diese Summen können natürlich unmöglich investiert werden, wenn gerade erst ein Rekordgewinn erreicht wurde. Der muss jetzt schließlich für wirklich schlechte Zeiten zurückgelegt werden – DAS ist ein verantwortungsvoller Umgang. Darüberhinaus stellt sich die Frage, was mit dem enormen Gesichtsverlust wäre, wenn Kaeser und sein Vorstand so ein Kindergartenspektakel einer kollektiven Lösungsentwicklung tatsächlich nicht nur billigen sondern sogar fördern würde? Der Mann würde zum Gespött, nicht auszudenken. Und das zu Recht, muss man leider in diesen wirren Zeiten anmerken. Denn mittlerweile kritisieren jetzt auch noch bislang seriöse Zeitungen wie die Süddeutsche die Ideenarmut des Vorstands, wie jüngst der Volkswirt und Journalist Detlef Esslinger (Esslinger 2017). Der behauptet allen Erntes strukturelle Folgen für die Regionen, nur weil ein paar Bäcker ein paar Brötchen weniger verkaufen werden. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.” (Aus: Zeuch, A. (2017): Siemens, Robin Hood und Unternehmensdemokratie).

Am Stellenabbau zeigt sich das wahre Gesicht

TOPS VW-Chef Herbert Diess: Kulturwandel durch neue Boni?
VW-Chef Herbert Diess: Kulturwandel durch neue Boni?

Mit fällt es schwer, so manchem Vorstand das ganze Gerede über New Work, flache Hierarchien, Enthierarchisierung und Agilität zu glauben. Es scheint vielmehr radikal opportunistisch gesteuert: Da, wo es einen Produktivitätssprung verspricht oder mehr Adaptivität an den Markt, da dürfen sich ein paar Agile Coaches, interne und/oder externe Transformationsberater*innen und Organisationsrebellen austoben. Aber sobald es an die Substanz geht, wo der Vorstand die eigene Wahrnehmung, das eigene Denken und Handeln und die eigene Bezahlung ändern müsste, sollen die Probleme in alter Manier gelöst werden. Selbstredend werden dann Regularien zitiert, die den armen Vorstand zum Opfer des Aktiengesetzes machen oder zum Diener der Shareholder, die ihn an der kurzen Leine halten. Aber weil es der Zeitgeist gerade so will, wird allerorten über Transformation geschwafelt, ohne sie überhaupt erst mal vom Begriff “Change” zu differenzieren. Kulturwandel wird kolportiert statt gelebt, die DNA der Unternehmen repliziert sich wie ehedem (VW wird jetzt weltweit größter Autobauer mit Elektro- statt Verbrennungsantrieben).

Dabei wäre das alternative Vorgehen, die betroffenen Mitarbeitenden in die Lösung jenseits (sozialverträglichen) Abbaus einzubeziehen, eine große Chance. Die Unternehmen könnten nicht nur das Desaster des Abbaus abwenden, sondern daraus sogar neue Geschäftsmöglichkeiten entwickeln. Nicht selten sind sehr gut ausgebildete Mitarbeiter*innen betroffen, die durchaus in der Lage wären, sich unternehmerisch zu betätigen und neue Produkt- und Dienstleistungsangebote zu entwickeln. Das sollte dann keineswegs nur sozialromantisch die Betroffenen retten. Stattdessen könnten so nicht nur die Unternehmen gestärkt werden, sondern gleich der gesamte Wirtschaftsstandort Deutschland. Aber nein, in dieser Situation werden wir in der üblichen Weise aufgeklärt: “… dort, wo sich ein Markt strukturell verändert und Verluste einfährt, müssen sie handeln.” (Janina Kugel, ehemalige Personalvorständin bei Siemens am 23.11.2017 in der Tagesschau) – und das meint dann wohl kaum die in diesem Beitrag zum zweiten Mal skizzierte Alternative.

Zu all dem passt dieses Erlebnis im Sommer: Auf einer kleinen Buchveröffentlichungsparty hier in Berlin unterhielt ich mich mit einer Führungskraft eines DAX30 Unternehmens. Ich erzählte dieser Person von einem anderen Gespräch, das ich ein paar Tage vorher mit einem Kollegen aus demselben Unternehmen hatte. Von dem hörte ich leider ziemlich genau das, was ich mir drei Jahre zuvor gedacht hatte, als er seinen Geschäftsführerposten in einem kleinen mittelständischen Betrieb aufgab, um bei diesem Konzern einzusteigen und dort die Transformation voranzutreiben (die meines Erachtens keine ist, so wie wir als unternehmensdemokraten Transformation verstehen). Irgendwie war es dann nicht überraschend, dass mir der Mensch auf der Buchparty sagte: “Ach ja, klar kenn ich den.” Sprach’s und zeigte mir umgehend ein Foto auf seinem Handy mit ihm zusammen. In der Mitte zwischen beiden Führungskräften lächelte Pater Anselm Grün in die Linse. Am Ende des Gesprächs resümmierte er: “Wir leben dort alle irgendwie in einem goldenen Käfig.”

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Literatur

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Lufthansa, @MAN, ©Continental, ©Agentur für Arbeit, Mashup ©Andreas Zeuch
  • Tabelle Stellenabbau: ©Dr. Andreas Zeuch
  • Atomkraftwerk: ©Avda, CC BY-SA 3.0
  • Diess: ©Alexander Migl, CC BY-SA 4.0

 

 

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