14. Loccumer Procedere-Partizipations-Innovations-Camp

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Letztes Jahre machte mich Dr. Andreas Schiel auf das Loccumer Partizipations-Innovations-Camp aufmerksam. So ergab sich dort meine erste Teilnahme mit einer Session zu Unternehmensdemokratie. Dieses Jahr kam der Organisator Dr. Raban Daniel Fuhrmann auf mich zu und lud mich zu einer erneuten Teilgabe ein. Daraus ergab sich meine diesjährige Session zur Arbeit als Demokratielabor. Anbei mein Bericht dieser inspirierenden Veranstaltung, die ich allen empfehlen kann, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mitgestalten wollen.

Die Veranstaltung ist ein Barcamp über drei Tage mit einem schönen Mix aus kuratierten Workshops, Podiumsdiskussionen und typischerweise selbstorganisierten Barcampsessions. Bislang fand sie in der evangelischen Akademie Loccum statt und ist dort mittlerweile ein fester Bestandteil des jährlichen Programms geworden. Das Camps passt denn auch perfekt zum Selbstverständnis der Akademie: “In christlicher Verantwortung gestalten wir einen Ort gesellschaftspolitischer Debatten, um kritische Begegnung, Demokratie und Frieden zu fördern.” Und genau dazu trägt das Procedere-Partizipations-Innovations-Camp bei.

Fokus 2021: Krisen gemeinsam meistern

Teaser

“Jetzt erst recht! Wie so vieles, stand wegen Corona auch die seit 13 Jahren stattfindende Procedere-Loccum Werkstatttagung für gute Beteiligung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mehrfach auf der Kippe. Doch aufgrund der Relevanz und Resonanz, die gerade jetzt Partizipation zur Stärkung  gesellschaftlicher als auch institutioneller Resilienz gewinnt, werden wir uns dem Thema des Meisterns von Krisen durch Beteiligung jetzt erst recht widmen

Aufhänger ist dabei die Frage nach Post-Corona: Einerseits, weil wir gemeinsam schnell und gut endlich Corona hinter uns lassen wollen. Andererseits ahnen wir, daß das Danach von der Corona-Krise belastet sein wird – vielerlei wird sich verschoben haben, einiges droht gar ins Rutschen zu kommen. Aber zugleich tuen sich bei manch anderem auch verheißungsvolle Chancen auf.

Wie müssen wir uns gemeinsam ausrichten und einstellen, um die noch drängende Corona-Krise zu meistern und wie das dann dräuende Post-Corona nachhaltig zum Besseren gestalten? Redesigning Post-Corona-Democracy ist darum die Agenda hinter der Agenda an der wir die diversen Module, der diesmal modular aufgeteilten Werkstatt-Tagung ausrichten.”

Programm

Mittwoch, 24.03.2021

  • Wie können Krisen gemeinsam gemeistert werden. Grundlagen der Krisengovernance. (Dazu später mehr, ich war dabei)
  • Welchen Herausforderungen werden wir uns Post-Corona stellen müssen.

Donnerstag, 25.03.2021

  • Was sind Dreh- und Angelpunkte für eine Post-Corona-Politik?
  • Was sollten wir wie anpacken?

Freitag, 26.03.2021

eCamp mit folgenden Sessionangeboten der Teilgeber*innen:

  • Wolfgang Himmel: Neue Technologie für die Demokratie?,
  • Andreas von Zadow: Community Planning Digital?!
  • Dr. Andreas Schiel: Von der Partizipation zur Co-Creation?
  • Dr. Raban Daniel Fuhrmann: Agenda Demokratiepolitik
  • Peter Bauer: Mitwirkung und Mitgestaltung in Kommunalverwaltungen
  • Prof. Dr. Christiane Dienel: Bürgerräte
  • Dr. Andreas Zeuch: Arbeit als Demokratielabor
  • Andreas Paust: Neue Wege der Beteiligung in/durch die Krise
  • Jan Osenberg: Pulse of Europe – EU-Hausparlamente unter Corona

Erfahrungsbericht

Selbstverständlich kann ich nur über das berichten, was ich selbst erlebt habe. Insofern verstehe ich den folgenden Erfahrungsbericht nur als sehr holzschnittartige, subjektive Schilderung ohne den geringsten Anspruch an Vollständigkeit.

Krisen gemeinsam meistern. Grundlagen der Krisengovernance

Download “Krisengovernance etablieren”

Der Initiator und Macher dieses Camps, Dr. Raban Daniel Fuhrmann, stellte in diesem Workshop sein Konzept der Krisengovernance vor. Ich werde es aus zwei Gründen hier nicht näher vorstellen: Erstens würde der dicht gepackte Inhalt dieses dreistündigen Workshops diesen Veranstaltungsbericht sprengen. Und zweitens werde ich mit Raban einen Dialog über den Zusammenhang von Unternehmensdemokratie und Krisengovernance führen. Denn eines höre ich immer wieder als standardisiertes Instantargument gegen Unternehmensdemokratie: Sie sei eine Schönwetterveranstaltung. In stürmischen Zeiten brauche es die klare, starke Hand, um schnelle Entscheidungen zu treffen. Wie sinnvoll das in Zeiten von Corona ist, kann sich jeder selber ausmalen. Ich jedenfalls glaube trotz der wahwitzigen Irrlichterei unserer Ministerpräsidentenkonferenz nicht an die Fähigkeit eines einzelnen Menschen, eine derart hyperkomplexe Krise alleine oder über einen konsultativen Einzelentscheid sinnvoll zu meistern.

Insofern ist das Spannende an dem Ansatz der Krisengovernance ihr zutiefst partizipativer Charakter, der auf die kollektive Intelligenz der Beteiligten setzt. Dabei hat Raban dieses Konzept nicht theoretisch konstruiert, wie er sich eine partizipative Lösung vorstellen würde, sondern vielmehr bisherige dynamische und komplexe (dynaxe) Krisen und deren gelungene wie gescheiterte Behandlung analysiert und die Ergebnisse ins Konzept eingebracht. Wer schon vor unserem Dialog mehr darüber erfahren will, kann sich das Paper “Krisengovernance etablieren” kostenlos herunterladen. Allen Geschäftsführer*innen und Vorständen kann ich das Konzept nur ans Herz legen, schließlich ist Corona noch längst nicht vorbei. Und selbst wenn wir das endlich hinter uns haben: Die nächste dynaxe Krise kommt mit Sicherheit.

Arbeit als Demokratielabor

Download des Handouts zum Input meiner Session

Am Freitag ging es dann morgens mit meiner eigenen Session im Rahmen des eigentlichen Barcamps weiter. Am Anfang stand ein kurzer Impuls von mir, in dem ich die Ausgangssituation unserer “halbierten Demokratie” darlegte und danach kurz meine Idee skizzierte, wie wir unsere Organisationen nutzen könnten, um zwischen der Mikroebene der einzelnen Bürger*innen einerseits und der Makroebene unserer Gesellschaft andererseits zu vermitteln, indem wir Demokratiekompetenzen in der täglichen Arbeit entwickeln. Denn wenn wir Organisationen “agilisieren” oder Selbstorganisation einführen, dann lernen die Mitarbeiter*innen zunehmend mehr über eine grundlegende tolerante demokratische Haltung und die damit verbundenen Prozesse. Und die gelangen über den empirisch erforschten Spill-Over Effekt anschließend in die Zivilgesellschaft. Wer sich das genauer anschauen will, findet den Impuls hier zum Download.

Danach haben wir uns über eigene Erfahrungen, Chancen und Risiken dieser Idee sowie damit verbundene Fragen ausgetauscht. Der persönliche Erfahrungshorizont reichte dabei von der Feststellung, noch nie darüber nachgedacht zu haben, wie demokratisch eigentlich unsere Organisationen sind bis hin zu sehr guten Erfahrungen mit demokratischer Bildung schon in der Schule, die dazu führten, später im eigenen Unternehmen die Belegschaft demokratisch einzubinden. Im Verlauf der Diskussion wurde bei aller Sympathie für die Idee wieder deutlich, dass sie selbst bei demokratisch hochengagierten Menschen keine Selbstverständlichkeit ist und dass es eine Menge Klärungsbedarf gibt, wie beispielsweise die Frage, bei was die Belegschaft eigentlich mitreden soll. Aus meiner Sicht und Erfahrung der letzten Jahre gibt es hier eine klare Systematik der Partizipationsreichweite von operativen über taktische bis hin zu strategischen Entscheidungen, die alle prinzipiell der Belegschaft offen stehen – und was auch längst praktisch von Unternehmen umgesetzt wird, bis hin zu gemeinsamen Strategieprozessen. Einig waren wir uns vor allem in zwei Punkten: Erstens kann Unternehmensdemokratie wirklich einen wertvollen Beitrag zu unserer Demokratieentwicklung leisten und zweitens haben wir heutzutage im Vergleich zu früheren Anläufen die Technologie dafür. Ein für mich wichtiges Ergebnis besteht darin, zukünftig regelmäßig Meetups oder ähnliches zu dem Thema für alle Interessierten anzubieten. Das hatte ich zuvor so weder angedacht, geschweige den geplant. Wer also zukünftig Interesse hat, die Idee der Arbeit als Demokratielabor weiterzuentwickeln, kann uns einfach formlos eine Email senden, damit wir Euch auf dem Laufenden halten können.

Neue Technologie für Demokratie?

Direkt nach meiner Session konnte ich an der Session von Wolfgang Himmel, Stephan J. Meier und Luisa Axtmann teilnehmen: “Corona verstärkt den Digitalisierungsschub. Wie gelingt es mit großangelegter, digitaler Partizipation Tausende zu informieren, zu beteiligen, gleichzeitig den Austausch zu fördern und dabei von Schwarmintelligenz zu profitieren? Anhand von Beispielen möchten wir mit euch nachdenken, wie mit solch großen Datenmengen umgegangen werden kann, wie kollektive Intelligenz funktioniert und welche Chancen sich durch die Nutzung von Artificial Intelligence (AI) zur Analyse der von den Bürger:innen eingespeister Daten ergeben. Außerdem möchten wir einen Blick auf mögliche Barrieren und Hemmschwellen werfen, denn Ziel ist es, auch die “stillen Gruppen” anzusprechen und einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft zu involvieren.”

Die drei von der eKairos GmbH (in Gründung) stellten ein durch und durch faszinierendes Instrument vor, das künstliche Intelligenz nutzt, um kollektive Intelligenz über Sprachbarrieren hinweg auch und gerade im Rahmen inter- und transnationaler Projekte nutzbar zu machen. Alleine das Eingaben in anderen, mir fremden Sprachen beispielsweise für mich automatisiert ins Deutsche übersetzt werden, um Kollaboration zu erleichtern, hat enormes Potential. Das zumal sich auch die Übersetzungstechnologie natürlich in den nächsten Jahren weiter erheblich verbessern wird. Wo bislang Sprachbarrieren waren, wird jetzt gemeinsame Gestaltung sehr viel leichter möglich. Aber die Software kann noch viel mehr, wie – wenn ich es richtig verstanden habe – semantische Analyse einschließlich ihrer inhaltlichen Zusammenhänge, die anschließend grafisch aufbereitet sehr ansprechend hinsichtlich verschiedener Dimensionen dargestellt werden. Nach der Vorstellung dachten wir gemeinsam darüber nach, wie dieses digitale Werkzeug noch genutzt werden könnte, als in bisherigen Beteiligungsprozessen. Mir selbst kam sofort die Idee, dass es wunderbar geeignet wäre, um progressiven Unternehmen eine Zusammenarbeit zu verschiedenen brennenden Themen wie Erderwärmung (euphemistisch “Klimawandel”) zu ermöglichen. Hier könnte gerade durch die Vielzahl der Mitarbeiter*innen ein enormer Netzwerkeffekt ausgelöst werden. Zweifelsfrei entstehen durch derartige Technologien völlig neue Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung und selbstorganisierter Demokratie(Entwicklung).

Agenda Demokratiepolitik

Nach der Mittagspause war ich wieder bei einem Angebot von Raban. Sein Teaser brachte für mich das Thema gut auf den Punkt: “Wir müssen uns mehr um unsere Demokratie kümmern! Für alles mögliche haben wir eigene Politikfelder, aber nicht für die Voraussetzung daß dies gelingt. Demokratiepolitik kümmert sich um das Gelingen und Verbessern, wie wir gesellschaftliche Probleme erkennen und lösen. Sie fokussiert sich dabei auf das Kümmern um das Personal (öffentliche Personalentwicklung) und das Kümmern um die Prozesse, wie diese zusammenwirken (Demokratieentwicklung). Wie kann dies professionell gelingen, verstetigt und zu kontinuierlicher Politik werden? Basierend auf meiner Arbeit als Sachverständiger in der Enquete III will ich dies insbesondere im Hinblick auf Post-Corona durchspielen und nächste Schritte hin zu einer demokratiepolitischen Agendapolitik besprechen.”

Ich bin zwar nach wie vor von dem Begriff der Demokratiepolitik noch nicht wirklich überzeugt, aber umso mehr von der Notwendigkeit dessen, was sich dahinter verbirgt. Ich habe mich beispielsweise schon lange gefragt, warum zum Beispiel Bundestagsdebatten methodisch immer noch so geführt werden wie vor 50 Jahren. Dabei haben wir längst eine Menge an viel effektiveren und effizienteren Methoden, wie diverse Großgruppenverfahren und vieles mehr auch für kleinere Runden. Hier könnte, so meine Sicht seit geraumer Zeit, die Politik einiges aus der freien Wirtschaft lernen, wo derartige Methoden und Prozesse schon lange Gang und Gebe sind. Ebenso wichtig ist der Aspekt der (öffentlichen) Personalentwicklung – denn wer sich demokratisch in Institutionen (formal) engagiert und das gar zum Beruf macht, hat noch längst nicht automatisch die nötigen Kompetenzen dafür. Umso erfreulicher, dass Raban als Sachverständiger diese Idee in der Enquete III platzieren konnte. Auch wenn (natürlich) nicht alles davon auf fruchtbaren Boden fiel, aber der Anfang ist gemacht. Und das wiederum macht Mut.

Intersektorale Governance – welche Kompetenzen sind notwendig

Dies war die letzte Session, an der ich teilnahm. Sie wurde geleitet von Prof. Dr. Monika Gonser, die diesen Studiengang mit aufbaut und leitet: “Intersektorale Kooperationen sind immer auch ein Zusammenspiel von verschiedenen Menschen aus öffentlicher Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Intersectoral School of Governance Baden-Württemberg (ISoG BW) an der Dualen Hochschule Ba-Wü bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte aus den drei Sektoren an, die an intersektoralen Schnittstellen arbeiten. In der angebotenen Session soll der Ansatz der ISoG BW kurz vorgestellt werden. Im Anschluss daran würde ich gerne aufbauend auf den Diskussionen der Tagung reflektieren, welche Kompetenzen sich in der intersektoralen Kooperation als besonders relevant erweisen und in welchen Formaten diese sinnvoll vermittelt werden können.”

Für mich war es alleine schon interessant und wertvoll zu erfahren, dass es diesen neuen Studiengang gibt und das damit diesem wichtigen Thema der intersektoralen Governance Rechnung getragen wird. Mein Eindruck war, dass ich damit nicht alleine war, sondern dass diese Idee und die Umsetzung dieses Konzepts auch bei allen anderen Session Teilnehmer*innen gut ankam. Schade war indes, dass Vertreter*innen von Unternehmen bislang, so ich es richtig mitbekommen habe, noch eher zurückhaltend bei der Einschreibung zu diesem neuen Studiengang waren. Interessant, wenn wir davon ausgehen, dass Unternehmen beziehungsweise Unternehmer*innen doch gerne immer wieder die Behäbigkeit von Behörden und staatlichen Institutionen bemängeln. Womit sie teils richtig liegen – aber das wäre nun eine gute Möglichkeit, diese intersektorale Zusammenarbeit auf ein neues Niveau zu heben.

Zusammenfassung

Insgesamt bin ich durch und durch positiv berührt, was es aktuell alles an Bewegung in unserem Land gibt, wie vielfältig die Initiativen sind, wie motiviert und engagiert an unterschiedlichsten Themen und Ansätzen gearbeitet wird. Ich habe mich schon jetzt mit einigen der anderen Teilgeber*innen vernetzt und freue mich auszuloten, wie wir unsere Demokratie und Gesellschaft gemeinsam weiterentwickeln und zentrale Herausforderungen unserer Zeit co-creativ (ein häufiges Wort während des Camps) angehen können. Mein Dank gilt den Machern Dr. Raban Daniel Fuhrmann und Dr. Albert Drews für die Vorbereitung und gelungene Durchführung des Camps. Und allen anderen Teilgeber*innen für deren inspirierende Impulse in ihren Sessions und drum herum. Ich kann die nächste Ausgabe des Camps in 2022 allen empfehlen, die etwas in unserer Gesellschaft bewegen wollen.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Clay Banks, unsplash, lizenzfrei

 

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