Arbeitsrecht. Ein kleiner historischer Rückblick.

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1928 wurde unter anderen der Wirtschaftsjournalist und Kaufmann Fritz Naphtali vom damaligen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund beauftragt, ein wirtschaftliches Grundsatzprogramm zu erarbeiten. Im selben Jahr veröffentlichte er die Ergebnisse in seinem Buch “Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel.” Abgesehen davon, dass dies ein interessantes Dokument zur Demokratisierung der Wirtschaft lange vor den 1970ern und 80ern ist, auf die die Kritiker der Unternehmensdemokratie gerne verweisen, enthält es lohnenswerte Anregungen für die aktuelle Debatte. Ein solcher Aspekt ist Naphatalis Reflexion über die Entwicklung der Demokratisierung der Arbeitsverhältnisse entlang der rechtshistorischen Entwicklung vom Sachenrecht über das Schuld- hin zum Arbeitsrecht.

Aus heutiger Sicht ist es meines Erachtens erhellend, diese Entwicklung kurz Revue passieren zu lassen. Denn unsere heutige Situation ist das Ergebnis eines langen Weges, der maßgeblich zur Demokratisierung der Arbeit beigetragen hat. Ein Weg, der heute wohl kaum ein Ende der Geschichte markiert.

Die sachenrechtliche Regelung

Abgabe an den Grundherren, Arbeit als Sachenrecht statt Arbeitsrecht
Abgabe an den Grundherren

Anfänglich wurde der arbeitende Mensch rechtlich als Sache und nicht als Person behandelt. Naphtali bringt das kurz auf den Punkt: “Er [der Mensch, AZ] ist kein Rechtssubjekt, das eigene Rechte haben und selbstständig handeln kann, sondern Eigentumsobjekt, über das der Eigentümer verfügt. … Der arbeitende Mensch war in seiner privaten und öffentlichen Sphäre enteignet.” (Napthali 1928/1969: 138). Die Manifestation dieser rechtlichen Regelung war die Sklaverei. Die Sklav*innen gehörten den Herren  genau so, wie ihre Häuser, ihr Vieh und ihr Land. Innerhalb dieser Rechtsauffassung konnten die Sklav*innen folgerichtig selbst nichts erwerben, hatten keine rechtlich abgesicherten Optionen, sich eine andere Arbeit zu suchen, oder in irgendeiner Weise die Gesellschaft mitzugestalten.

Im Laufe der Jahrhunderte wandelte sich das Arbeitsverhältnis im Rahmen dieser Regelung etwas, zum Beispiel hin zur Hörigkeit und Leibeigenschaft. Im Gegensatz zu den anfänglich völlig entrechteten Sklav*innen konnten die Hörigen und Leibeigenen mittlerweile bewegliches Eigentum besitzen, ein Einkommen generieren, sofern es durch die Herren nicht beansprucht wurde und in begrenztem Umfang Mitwirkungsrechte in Anspruch nehmen. Und es war ihnen möglich, eigene Familien zu gründen und ihr bescheidenes Hab und Gut zu vererben, solange die Herren keinen Anspruch daran stellten. Bei all dem waren sie aber Zeit ihres Lebens and die Scholle gebunden, die mit ihnen zusammen eine nicht auflösbare Einheit bildete und durch den Herren gemeinsam mit ihnen vererbt oder veräußert werden konnte.

Die schuldrechtliche Regelung

Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland

Ein erster großer Schritt hin zu demokratischen, gleichberechtigten Arbeitsverhältnissen war die Verwandlung der sachen- in die schuldrechtliche Regelung der Arbeit. Die alte sachenrechtliche Gebundenheit der ehemaligen Sklav*innen, Hörigen und Leibeigenen wird aufgelöst und durch einen schuldrechtlichen Vertrag ersetzt. Der Arbeiter ist jetzt nicht mehr als Eigentum sachenrechtlich an den Herren gebunden, sondern durch die vertragliche Einigung, mit der er/sie sich zur jeweiligen Arbeitsleistung mehr oder minder freiwillig verpflichtet. Entscheidend ist dabei, dass diese Regelung der Arbeit die “freie Person, die eigene Rechte hat und selbständig handeln kann, voraus[setzt].” (a.a.O.: 139) Das ist der erste fundamentale Schritt, in der der Arbeiter rechtlich nicht mehr als Sache, sondern als Person anerkannt und gesetzt wurde.

Bei dieser Entwicklung gab es aber weiterhin noch entscheidende Probleme: Für diese Rechtsauffassung spielte es erstens keine Rolle, “ob diese Personen auch als Menschen existieren können, ob sie die Stellung und die Güter haben, deren sie zur Fristung eines menschenwürdigen Daseins bedürfen…” (ebnd.) In dieser Periode reichte es gemäß der damaligen Auffassung völlig, dass nun alle Menschen ihre jeweiligen Anliegen rechtlich geltend machen konnten. Schließlich stehen die Arbeitsherren den Arbeitern nur noch als Privatpersonen gegenüber, ihrer früheren hoheitlichen Rechte entledigt.

Zweitens sind die Arbeiter zwar nun kein Eigentum ohne eigene Rechte mehr, aber deshalb sind sie noch längst nicht unabhängig vom Eigentum ihrer früheren Herren. Denn diese reduzierte “… Herrschaft über Sachen führt zur Herrschaft über Personen, wenn die Personen auf Gegenstände angewiesen sind, die in fremdem Eigentum stehen. Solche Gegenstände sind die Produktionsmittel, die der arbeitende Mensch braucht, um arbeiten und leben zu können.” (a.a.O.: 140, kursiv im Original) Napthali nennt dies die soziale Gewalt des Eigentums. Anders formuliert: Der freie Arbeitsvertrag löste zwar die Bindung des Arbeiters an einen einzelnen Herren, aber nicht an das Eigentum im Allgemeinen. Die so gewonnene neue Freiheit beschränkt sich auf die Wahl der Arbeitsstelle, aber nicht auf die Gestaltung der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sobald sich der Arbeiter vertraglich an das Eigentum bindet, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen, untersteht er wieder seinem Arbeitsherren. Geregelt ist dabei nur der Tausch von Arbeit gegen Entgelt im der vertraglich definierten Verhältnis.

Die arbeitsrechtliche Regelung

 

Fritz (Peretz) Naphtali

Mit dem Schritt zu dieser Regelung wurde, so Naphtali, dem Fakt der sozialen Gewalt des Eigentums Rechnung getragen, “… indem sie auf die Schaffung besonderer rechtlicher Existenzbedingungen des Arbeiters gerichtet ist.” (a.a.O.: 141). Zwar wird auch hier die “soziale Gewalt des Privateigentums an den Produktionsmitteln” (a.a.O.: 142) nicht völlig aufgehoben, aber im Gegensatz zu früher deutlich eingeschränkt.

Dies geschieht zunächst durch den Schutz der Arbeitskraft. Die vorherigen sach- und schuldrechtlichen Regelungen haben die Besonderheit der “Ware” Arbeit ignoriert: Die unauflösbare Verbindung zwischen der Arbeitsleistung und dem Arbeiter selbst. Mit dem Arbeiterschutz wird nun über die bisherige Sicherung der Arbeitsleistung die menschliche Substanz beschützt, aus der sich hervorgeht. Damit waren die Arbeiter nicht mehr “jedem Zugriff preisgegeben” (ebnd.). Stattdessen gab es nun auch Bereiche, die diesem Zugriff durch den Arbeitsherren verwehrt waren.

Da die Arbeiter im Allgemeinen mehr oder minder besitzlos waren, konnten sie kein menschenwürdiges Leben mehr führen, sobald sie kein Einkommen erzielten, egal ob durch Krankheit, Unfälle oder einfach, weil sie gerade keinen Arbeitsvertrag hatten. In der ursprünglichen sachrechtlichen Regelung gab es zwar keine rechtlichen Vorgaben, zumindest Arbeitsunfähige zu unterstützen, es entsprach aber weitgehend der damaligen patriarchalen Auffassung. Mit der Auflösung der früheren lebenslänglichen Verbindung zwischen Herrn und Hörigen, bzw. Leibeigenen fiel damit auch die ohnehin dürftige Grundlage einer gewissen Versorgung des Arbeiters weg. So kam es zur Arbeiter- und Angestelltenversicherung, die dieses Problem adressierte und mit der 1927 in Kraft getretenen Arbeitslosenversicherung praktisch umsetzte. Damit wurde den Arbeitern und Angestellten über die schuldrechtliche Regelung hinaus das erste Mal soziales Güterrecht zugestanden und “… bewusst zugunsten des Menschen eine neue Verteilungsordnung herbeigeführt … ” (a.a.O.: 145), um so einen Ausgleich für die Besitzlosigkeit der Arbeiter zu schaffen und ihm und seiner Familie im Falle von Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit die grundlegenden, lebensnotwendigen Güter zu sichern.

Drittens kam dann noch das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter hinzu. Denn das “… Schuldrecht der Arbeit … kannte nur das individuelle Vertragsrecht, kein soziales Organisationsrecht. Die Folge davon war, dass in diesen Betrieben ein unbeschränkter Betriebsabsolutismus des Betriebsinhabers entstand, der ohne jede Gegenrecht der Belegschaft einseitig die Betriebsbedingungen bestimmte.” (a.a.O.: 147). Die Arbeiter konnten zwar die Arbeitsstelle frei wählen, aber wenn sie sich gebunden hatten, wurden sie gewissermaßen wieder zu Untertanen. Vor allem auch deshalb, weil einerseits mittlerweile jeder einzelne von den zufälligen Kräften und Bewegungen des freien Arbeitsmarktes abhängig war und andererseits es strenge Koalitionsverbote gab, so dass sich die einzelnen Arbeiter nicht zusammenschließen konnten, um als Gruppe ihren Stimmen mehr Macht zu verleihen. Das wurde schließlich mit dem Art. 165 der Reichsverfassung geändert, indem das kollektive Willensrecht der Arbeit eingeführt wurde.

Viertens und letztens wurde der Rechtsschutzanspruch der Arbeiter geändert. Wo unter sachen- und schuldrechtlicher Regelung die Arbeiter auch hinsichtlich der Gerichtsbarkeit ihren Arbeitsherren unterworfen waren, wurde nun mit der arbeitsrechtlichen Regelung dafür gesorgt, dass sich die Arbeiter und Angestellten an die neu entstehenden Arbeitsgerichte wenden konnte. Damit stand ihnen ein vom Arbeitsherren unabhängiger Rechtsweg offen.

 

Wenn wir uns diesen langen Weg bis heute anschauen, dann haben wir zweifelsfrei schon große Erfolge hinsichtlich der Demokratisierung der Arbeit erreicht. Gleichzeitig gibt es immer noch eine Menge zu tun. Aktuell stehen wir unter anderem vor der spannenden Herausforderung, wie wir zum Beispiel institutionelle und freie Selbst- und Mitbestimmung  intelligent verzahnen, wie wir mit den in multinationalen Konzernen bislang rechtlich ungeregelten Räumen umgehen oder die längst überholten gesellschaftsrechtlichen Regelungen unserer Kapitalgesellschaften novellieren oder sogar ganz neue Formen entwickeln.

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Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Literatur

  • Naphtali, F. (1928/1969): Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel. Europäische Verlagsanstalt

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild:©Tingey Injury Law Firm, unsplash, lizenzfrei
  • Abgaben an den Grundherren: Urheber unbekannt, gemeinfrei
  • Abschaffung der Leibeigenschaft: ©Alfons Mucha, gemeinfrei

 

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