Vereinte Nationen. Raus aus der Einfalt.

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Vereinte Nationen: Am 16.05. erschien im Spiegel ein äußerst interessantes Interview mit Arora Akanksha. Sie kandidiert aktuell  als zukünftige Generalsekretärin der Vereinten Nationen für die nächsten fünf Jahre ab 2022. Natürlich, wie es kaum anders sein könnte, wird ihre mangelnde Erfahrung und ihr junges Alter zum Politikum. Indes ist es genau das, was vielversprechend ist.

Vereinte Nationen: Fakten

Der Zusammenschluss von 193 Staaten wurzelt in der Haagener Friedenskonferenz und dem Völkerbund, gegründet nach dem Grauen des ersten Weltkriegs. Das Ziel des Völkerbunds  bestand in der Sicherung des weltweiten Friedens, der leider mit diesem Vorhaben scheiterte. Noch während des zweiten Weltkriegs kam es 1941 auf Initiative von Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill zur Atlantik Charta, die 1942 in die Deklaration der Vereinten Nationen mündete. 1945 kam es dann über weiter Zwischenschritte zur Gründung der Vereinten Nationen (Wiki, Website der UN), nachdem ihre Charta von 50 Gründungsmitgliedern unterzeichnet wurde.

In diesen letzten 76 Jahren gab es seit dem Neun Generalsekretäre – alles Männer. Der bei Antritt jüngste war der ehemalige schwedische Staatssekretär Dag Hammarskjöld mit 48 Jahren, der älteste der ägyptische Diplomat und Politker Boutros Boutros-Ghali mit 69 Jahren. Das Durchschnittsalter der bisherigen Generalsekretäre bei Amtsantritt lag damit bei 58 Jahren. Hinsichtlich der Ausbildung der bisherigen Generalsekretäre sieht es nicht weniger einseitig aus: Knapp 56% studierten Jura (absolut: 5). Die zweithäufigste Ausbildung bestand in Wirtschaftswissenschaften mit gut 22% (absolut: 2). Ban Ki-Moon war mit seinem Studium der Internationalen Beziehungen und später Verwaltungswissenschaften ebenso ein Exot wie der amtierende António Guterres mit seinem Studium Elektrischer Energietechnik.

Die Vereinten Nationen verfügen über die sechs Hauptorgane UN-Generalversammlung, UN-Sekretariat, Internationaler Gerichtshof, Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat und den Treuhandrat. Daneben gibt es zur Zeit in Summe 21 Nebenorgane: Neun entwicklungspolitische Hilfsprogramme wie den Menschenrechtsrat HRC oder das bei uns bekannte Kinderhilfswerk UNICEF. Desweiteren gibt es sieben weitere Nebenorgane zu humanitären Angelegenheiten, wie den Hochkommissar für Flüchtlinge UNHCR, drei sicherheitspolitsche Nebenorgane und letztlich zwei Forschungs- und Ausbildungsaktivitäten. In diesen verschiedenen Einrichtungen arbeiten insgesamt rund 44.000 Mitarbeiter*innen weltweit. Finanziert wird das alles von den Mitgliedern, wobei 2017 die fünf größten Beiträge aus den USA, Japan, China, Deutschland und Frankreich stammten. Auf diesem Weg kamen in 2017 knapp 2,78 Milliarden US Dollar zusammen.

Die Kandidatin: Arora Akanksha

Arora Akanksha, Kandidatin als Generalsekretärin für die Vereinte Nationen
Arora Akanksha, ©UNOW

Aufsehen erregte Arora Akanksha mit ihrer Kandidatur vor allem aufgrund ihres Alters: Mit 34 wäre sie nicht nur die erste Frau in der leitenden Position, sondern auch weit unter dem bisherigen Durchschnittsalter von 58 bei Amtsantritt. Wenig innovativ wäre sie indes hinsichtlich ihrer Ausbildung im Bereich Verwaltungswissenschaften. Hier würde sie, wie oben kurz skizziert, nur wenig vom bisherigen Mainstream abweichen. Zunächst arbeitete sie bei PWC als Wirtschaftsprüferin und dann seit 2016 als Finanzprüferin bei den Vereinten Nationen. So gesehen ist sie bislang eher unauffällig gewesen und ein wenig beschriebenes Blatt. Das was nun im Rahmen ihrer aktuellen Kandidatur fast allerorten kritisch angemerkt wird, nämlich mangelnde Erfahrungen für die Aufgaben der Generalsekretärin, kann aber genauso gut ein erheblicher Vorteil sein. Dazu später mehr.

Als gebürtige Inderin wuchs sie später in Saudi Arabien auf, ging zurück nach Indien und nahm später die kanadische Staatsbürgerschaft an und machte dort an der York University ihren Abschluss zu machen. In verschiedenen Interviews verweist sie auf ihren familiären Migrationshintergrund. Wie viele Hindus flohen Ihre Großeltern nach der Teilung 1947 von Pakistan nach Indien. So blickt sie auf einen relativ multikulturellen Hintergrund, der ihr für ihre mögliche Arbeit als Generalsekretärin eine gute Grundlage darstellt.

Ihre Kritik an den Vereinten Nationen

Mensch könnte ihre Kritik auf einen sehr einfachen Nenner herunter brechen: Zuviel Bürokratie und eigenes Wohlbefinden, zuwenig Leistung. Sie selbst formuliert es in dem aktuellen Spiegel-Interview folgendermaßen: “Die Uno könnte großartige Dinge tun, aber das tut sie nicht. Sie dient nicht den Menschen.” (Rojkov 2021) Auf die etwas ausführlichere Version ihrer Kritik angesprochen führt sie aus: “Die Aufgabe der Uno ist es, Frieden und Sicherheit zu bringen, Menschenrechte zu verteidigen, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit zu fördern. Aber nichts davon machen wir richtig. Die Uno behauptet zum Beispiel, ihr fehlten vier Milliarden Dollar, deshalb könne man nicht allen Flüchtlingen auf der Welt helfen. Gleichzeitig beträgt das Reisebudget der Uno 2,5 Milliarden Dollar. Wir können Flüchtlinge nicht ausreichend unterstützen, fliegen aber erster Klasse. Ähnliches gilt für den Klimawandel. Der Großteil des Geldes fließt in Berichte und Konferenzen – nicht in Lösungen.” (ebnd.) Auf ihrer Website finden sich weitere Hinweise über fragliche Aspekte: Lediglich 29 Cent pro Dollar würden investiert, um die Ursachen verschiedener Missstände zu adressieren, bezüglich Klimafragen im besonderen seien es nur 15 Cent.

Und natürlich ist es aus Ihrer Sicht fraglich, ob es weiter sinnvoll ist, alte Männer an der Spitze dieser supranationalen Organisation zu haben. Ganz offensichtlich ist es nicht nur bei der UN ein Trugschluss, dass Alter und jahrzehntelange Berufserfahrung der Schlüssel zum Erfolg seien. Wir erleben das auch fortwährend in der politischen Arena bei uns in Deutschland. Wir haben hier in verschiedenen zentralen Bereichen trotz einer Frau mit langer Berufserfahrung als Bundeskanzlerin in den letzten Jahren und auch davor immer wieder wichtige Entwicklungen verschlafen oder sie wurden – wie beispielsweise im Zusammenhang mit der Digitalisierung – Opfer von Vetternwirtschaft wie zwischen Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl und Leo Kirch, der lieber Kupfer- als Glasfaserkabel wollte – und sie bekam. Alter und Erfahrung alleine können also kaum Argumente für Kompetenz sein.

Umgekehrt ist die die Behauptung, dass die notwendigen Veränderungen durch jüngere Menschen grundsätzlich besser ermöglicht werden können, nicht haltbar. Progressivität und Innovation sind nicht automatisch bei jüngeren Generationen zu finden. Nicht umsonst suchen bei uns in den letzten Jahren erstens viele junge Generationen vor allem sichere Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, statt begeistert in der Startup Welt durchzustarten. Ebenso wenig spricht die fragliche Begeisterung junger Student*innen und Berufsanfänger*innen für die üblichen Unternehmen als beliebteste Arbeitgeber für ein besonders differenziertes, systemkritisches und innovatives Verhalten. Innovationsfreudigkeit, Progressivität, Experimentierlaune – das alles sind Eigenschaften, die auch mit dem Alter zusammenhängen, aber mit Sicherheit nicht ausschließlich. Insofern ist ihr Vorhaben, 25% der Führungspositionen in der UN mit Menschen unter 40 zu besetzen kaum ein Garant für frischen Schwung.

Arora unterstützen

Wer trotzdem der Auffassung ist, dass es endlich Zeit ist, die bislang durchgehende Linie älterer bis alter Männer zu durchbrechen und damit zweifelsfrei auch patriarchale Strukturen weiter aufzulösen, kann Arora auf verschiedenen Wegen unterstützen:

  1. Petition auf Change.org
  2. Ihre Website besuchen und dortige Inhalte teilen oder sich an einer Email Aktion an verschiedene Botschafter beteiligen
  3. Die eigene Arbeitskraft und Zeit zur Unterstützung zur Verfügung stellen.

Ich persönliche teile die übliche Kritik hinsichtlich der mangelnden Erfahrung keineswegs. Es dürfte sich bei den Vereinten Nationen ähnlich verhalten wie bei den Lindner’schen Profis im Politikbetrieb. Deren oftmals viel längere Erfahrung scheint mir vielmehr die Wahrscheinlichkeit zu steigern, von den jeweiligen Institutionen und Systemen erfolgreich absorbiert worden zu sein. Und wie formulierte es Roman Herzog vor geraumer Zeit in einer Rede: “Die Demokratie darf nicht zur Expertokratie verkommen.” Auch das ist ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Nichtwissen, über das ich letzte Woche hier im Blog den ersten Beitrag veröffentlichte. Umgekehrt spricht viel dafür, das ein frischer Blick, dass Anfängergeist – wenn er gepaart ist mit einer individuellen Neugier, Mut und Durchhaltevermögen – viel mehr bewegen kann.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Literatur

  • Rojkov, A. (2021): Ich bin nicht weniger wert, nur weil ich kein mittelalter Mann bin. Spiegel+

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Naptuui, CC BY-SA 3.0
  • Arora Akanksha: ©UNOW

 

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