Demokratische Einstellungen: Wie hängt Arbeit und die Qualität ihrer Gestaltung mit anti-demokratischen Einstellungen zusammen? Hat die Erwerbstätigkeit einen Einfluss und wenn ja, welchen? Und wie steht es um die Auswirkungen partizipativer Organisationsführung und -gestaltung? All diesen Fragen sind drei Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung nachgegangen und haben die Ergebnisse dieser durchweg aufschlussreichen Studie vor einiger Zeit veröffentlicht.
In diesem Fall lohnt es sich, vorab zu erzählen, wie ich überhaupt auf diese Untersuchung aufmerksam wurde: Am letzten Mittwoch war ich auf der Labor:A® 21, der jährlichen Konferenz zur neuen Arbeit von der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Das Panel zur Eröffnung drehte sich für uns passenderweise um die Demokratisierung der Arbeitswelt. Mit dabei:
- Reiner Hoffmann, Vorsitzender Deutscher Gewerkschaftsbund und Vorsitzender des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung
- Stephan Lessenich, Leiter des Instituts für Sozialforschung, Johann Wolfgang- Goethe-Universität in Frankfurt am Main
- Isabelle Schömann, Confederal Secretary Europäischer Gewerkschaftsbund EGB
- Michael Hehemann, Personalchef und Arbeitsdirektor ArcelorMittal Bremen
- Dorothea Voss, Abteilungsleitung Forschungsförderung, Hans-Böckler-Stiftung
Nebenbei bemerkt fand die Labor:A interessanterweise gleichzeitig mit dem dreitägigen Global Forum Democratizing Work, einer internationalen Digitalkonferenz vom 05.-07. Oktober mit Teilnehmer:innen von allen Kontinenten. Schade, beide Veranstalter schienen von den jeweils anderen nichts zu wissen. Da ist noch Luft nach oben hinsichtlich des Überblicks über die internationale Veranstaltungslandschaft zu einem Themenkomplex, der nicht an jedem Wochenende bespielt wird. Nach dem Panel gab es erfreulich viel Raum für die Teilnehmer:innen, um sich mit Fragen oder Kommentaren in die Diskussion einzubringen. Und so kam es, dass ich mit Dorothea Voss über die hier vorgestellte Studie ins Gespräch kam, denn über sie hatte Frau Voss während des Panels unter anderem berichtet – und weckte damit umgehend meine Aufmerksamkeit.
Studiendesign
Es handelt sich um eine quantitative Untersuchung auf der Basis von insgesamt 4116 Befragten, wovon 2956 erwerbstätig waren. Das Studiendesign ist so angelegt, dass die Ergebnisse einen repräsentativen Charakter haben. Die Nicht-Erwerbstätigen teilen sich ihrerseits auf in Rentner:innen (N=921), Arbeitsuchende (N=92) und nicht Arbeitsuchende (N=102).
Die genutzte fünftstufige Skala wurde gedrittelt. Als hohes Ausmaß musste mindestens eine 3,5 vorliegen, Skalenwerte kleiner als 2,5 führten zur Gruppierung geringes Ausmaß und dementsprechend alle Werte zwischen 2,5 und 3,5 zur Gruppierung mittleres Ausmaß. Aufgrund dieser prinzipiell willkürlichen Festlegung ist es hinsichtlich er Ergebnisse sinnvoll, sie relativ zueinander zu interpretieren. Die hier vorgestellte Untersuchung ist Teil des Forschungsprojekts “Soziale Lebenslagen und demokratische Integration”. Literaturangabe: Hövermann, A. et al. (2021): Anti-Demokratische Einstellungen. Der Einfluss von Arbeit, Digitalisierung und Klimawandel. Hans-Böckler-Stuftung, Policy-Brief Nr. 007. (Hier kostenlos als PDF zum Download).
Ergebnisse (Auszug)
Einfluss von Arbeitsbedingungen
Hinsichtlich der Ergebnisse konzentriere ich mich in diesem Beitrag nur auf die Aspekte, die mit Organisationsdemokratie bzw. Partizipation bei der Führung und Gestaltung von Organisationen zusammenhängen. Es lohnt sich deshalb, das kostenfreie PDF herunterzuladen und den durchweg sehr gut aufbereiteten Bericht zu lesen, da er noch viel mehr Einflussfaktoren darstellt. Beginnen wir mit dem Ausmaß anti-demokratischer Einstellungen entlang der jeweiligen Arbeitsbedingungen in der Gruppe der Erwerbstätigen:
Alleine die Frage nach der Teilhabe an Entscheidungen der täglichen Arbeit bei den Mitarbeiter:innen führt zu einer erheblichen Differenz: Mitarbeitende, die operative Entscheidungen treffen dürfen, zeigen lediglich zu 10% ein hohes und zu 36% ein mittleres Maß an anti-demokratischen Einstellungen. Dem gegenüber stehen Mitarbeitende, die nicht einmal an dieser ersten und niedrigsten Stufe der Partizipation beteiligt sind. Sie zeigen 16% hohe und 48% mittlere anti-demokratische Einstellungen. Das heißt:
Alleine operative Partizipation führt zu gut 37% Reduktion hoher und zu einer um 25% geringeren mittleren anti-demokratischen Einstellung.
Aus Sicht unserer Systematik von operativer, taktischer und strategischer Partizipationsreichweite (vgl. Zeuch 2015: 63-67) wäre es höchst interessant gewesen, diesen Aspekt entsprechend weiter zu differenzieren. Übrigens ist dies eine Schwäche vieler Studien zum sogenannten Spillover-Effekt, der davon ausgeht, dass demokratische Teilhabe beim Arbeitgeber einen positiven Einfluss auf die demokratischen Fähigkeiten, Haltungen und Selbstwirksamkeitserwartung hat, die dann jenseits der Arbeit genutzt werden (können). Der amerikanische Ph.D. Student Jung Ook Kim hat dies aktuell in einer Untersuchung von 25 empirischen Studien zum Spillover-Effekt gezeigt (Kim 2021).
Weniger deutlich ist hingegen der Einfluss des Gehalts: Nur 9% derjenigen, die einen (subjektiv) angemessenen Lohn erhalten, sind hoch anti-demokratische eingestellt, und 35% in einem mittleren Ausmaß. Dem gegenüber führ ein zu niedriger Lohn zu einer Erhöhung auf 13% hoher und 42% mittlerer anti-demokratischer Einstellungen. Dies ist, nebenbei bemerkt, ein durchaus interessanter Befund über die Bedeutung von Partizipationsmöglichkeiten einerseits und dem Lohn andererseits.
Einfluss von Anerkennung (Gerechtigkeit & Orientierunslosigkeit)
“Sozialpsychologisch ist herausgearbeitet worden, dass gesellschaftliche Desintegration, die beispielsweise mit einem (zu) geringen Einkommen einhergeht, in enger Verbindung mit Anerkennungs- und Abwertungserfahrungen steht. Dies schließt auch »Anerkennungsbedrohungen« mit ein, also die Sorge um zukünftig eintretende Abwertungen (Heitmeyer 2018). Damit wird die subjektive Ebene der empfundenen Anerkennung und Abwertung zur relevanten Dimension für demokratische Integration.” (Hövermann, A. et al. 2021: 8)
Innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen (N=2956) wurde somit der Einfluss von (fehlender) Anerkennung u.a. in Form empfundener Fairness und Gerechtigkeit in Deutschland untersucht. Dabei bezog sich die Frage nach diesen Attributen auf die deutsche Gesellschaft insgesamt, also nicht auf das Erleben beim Arbeitgeber. Wenn wir indes davon ausgehen, dass (erlebte) Gerechtigkeit einer der wichtigsten Faktoren sozialer Systeme ist, dann können wir annehmen, dass auch die allgemein gestellte Frage nach Fairness und Gerechtigkeit zumindest einen plausiblen Hinweis auf die mögliche Auswirkung von Fairness und Gerechtigkeit bei der Erwerbstätigkeit bietet. Und die hängt wiederum, wie in meinem letzten Blogpost gezeigt (Zeuch 2021) mit der Demokratisierung von Arbeit zusammen.
Lediglich 5% der Erwerbstätigen, die Deutschland eine hohe Fairness und Gerechtigkeit attestieren, sind in hohem Maß anti-demokratisch und nur zu 29% in einem mittleren Ausmaß. Von denen, die die Gesellschaft hingegen für wenig fair und gerecht halten, sind mehr als viermal soviele Befragte hoch anti-demokratisch (22%) und 46% in einem mittleren Ausmaß, eine Zunahme um einen Faktor von fast 1,6.
Wesentlich drastischer wirkt sich erlebte Orientierungslosigkeit aus. Eine hohe Orientierungslosigkeit führt sage und schreibe zu einer 10 mal so hohen anti-demokratischen Einstellung (30% vs. 3%) und fast zu einer Verdoppelung im mittleren Bereich (50% vs. 27%). Daraus ließe sich zumindest hypothetisch noch die Bedeutung von Orientierung im Rahmen von Transformationssprozessen für eine demokratische Haltung ableiten. Wer sich in Transformationen orientierungslos erlebt, dürfte eher Gefahr laufen, anti-demokratische Einstellungen zu entwickeln, zumindest zeitweise.
Einfluss von Veränderung
In der Arbeitswelt sind wir aktuell von zwei großen Veränderungstreibern betroffen: Digitalisierung und Klimakrise. Beide wurden in der Studie ebenfalls beleuchtet. Ein erster, gerade für die Demokratisierung von Arbeit, wichtiger Befund besteht darin, dass gerade mal ein Drittel (34%) der Erwerbstätigen mit Digitalisierungserfahrung (N=2063) mitentscheiden dürfen, wie neue Technologien in ihrer Arbeitsumgebung eingesetzt werden. In Anbetracht der häufigen begrifflichen Verbindung von Digitalisierung und New Work ist dies ein erschreckendes Ergebnis. Denn aus unserer Sicht sollte New Work, wenn mensch diesen wolkigen Begriff schon nutzen will, zumindest auch mit einer Zunahme an Entscheidungsbefugnissen und Empowerment einhergehen. Gleichzeitig deckt sich dieser Befund mit unseren beraterischen Erfahrungen. Die Einführung von New Work dient oftmals eher dem Gegenteil, als Arbeit fairer, gerechter und menschenwürdiger zu gestalten, wenn beispielsweise New Work mit Homeoffice gleichgesetzt und dann missbraucht wird, um Büroplätze abzuschaffen und Kosten einzusparen. New Work als Cost-Cutting Maßnahme. Ein guter Grund, Buzzwords aus dem Weg zu gehen.
Im Zusammenhang mit Digitalisierung zeigte sich eine Vervierfachung anti-demokratischer Haltung von positiven hin zu negativen Erfahrungen (3% vs. 12%) und eine Zunahme von gut 63% bei mittleren Einstellungen (30% vs. 49%). Hinsichtlich der erfragten Einstellungen zum Klimawandel spitzten sich die Effekte noch weiter zu: Von den Befragten, für die der Klimawandel eine “Top-Priorität” ist, sind lediglich 3% stark antidemokratisch und 22% in mittlerem Umfang.
Ganz anders bei denjenigen, für die der Klimawandel eine niedrige Priorität hat: Sie sind acht mal so häufig stark und immer noch vier mal so häufig in mittlerem Ausmaß anti-demokratisch eingestellt.
Schlussfolgerungen
Die Studie leistet einen äußerst wertvollen Beitrag zum Zusammenhang von Partizipation, Unternehmensdemokratie und zivilgesellschaftlichen Demokratieeinstellungen jenseits der Arbeit. Ohne dies so intendiert zu haben, bietet sie damit auch für die laufende Debatte und Forschung zum Spillover-Effekt wichtige Daten und Erkenntnisse. Gerade der Zusammenhang zwischen der Priorisierung des Klimawandels und anti-demokratischen Einstellungen ist zwar nicht überraschend, macht aber sehr deutlich, dass diese beiden Themen stark miteinander verknüpft sind. Insofern fühlen wir uns mit unserem in Vorbereitung befindlichen Entwicklungsprogramm “Arbeit als Demokratielabor” bestätigt, da wir dort die Arbeit am Klimawandel nutzen werden, um gleichzeitig die demokratischen Haltungen, Fähigkeiten und Selbstwirksamkeitserwartung verbessern wollen. Damit scheinen wir mit diesem Ansatz auf einer richtigen Spur zu sein. Ein kleiner Wermutstropfen ist die wenig differenzierte Untersuchung hinsichtlich verschiedener Reichweiten operativer, taktischer und strategischer Partizipation und der gar nicht erhobene Zusammenhang zum Partizipationsgrad und -frequenz. Für zukünftige Studien ist dies ein Ansatz, um noch differenziertere Ergebnisse zu erarbeiten. Zusammenfassend lässt sich sagen:
Unternehmensdemokratie führt zu demokratischeren Einstellungen im zivilen Leben der Erwerbstätigen.
Herzliche Grüße
Andreas
Literatur
- Heitmeyer, Wilhelm (2018): Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung I. Suhrkamp.
- Hövermann, A. et al. (2021): Anti-Demokratische Einstellungen. Der Einfluss von Arbeit, Digitalisierung und Klimawandel. Hans-Böckler-Stuftung, Policy-Brief Nr. 007
- Kim, J.O. (2021): Democratic Spillover from Workplace into Politics: What are we Measuring and How? In: Lewin, D.; Gollan, P.J. (Hrsg.): Advances in Industrial and Labor Relations, Volume 26: 145–176
- Zeuch, A. (2015): Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten. Murmann
- Zeuch, A. (2021): Unternehmensdemokratie. Eine Frage der Gerechtigkeit. Blog der unternehmensdemokraten.
Bildnachweis
- Beitragsbild: Mashup ©Andreas Zeuch 2021, Foto Labor:A 21 ©Andreas Zeuch, Studiencover ©Hans-Böckler-Stiftung
- Cover Studie: ©Hans-Böckler-Stiftung, gemeinfrei