Wir verbringen viel Zeit unseres Lebens an unserem Arbeitsplatz, im Unternehmen. Diese Zeit ist oft geprägt von hierarchischen Verhältnissen und autoritären Entscheidungswegen. Dieser Zustand wird in den letzten Jahren vermehrt kritisiert. Nicht nur Demokratietheoretiker*innen und Philosoph*innen fordern eine Demokratisierung unserer Arbeitswelt, auch Managementtheorien sind längst auf die Vorteile demokratischer Unternehmen aufmerksam geworden.
Einleitung
In verschiedenen politischen Theorien wird die Demokratie nicht auf die staatlichen Institutionen reduziert, sondern umfasst die Demokratisierung der gesamten Gesellschaft, ihrer Organisationen und Unternehmen. Diese Idee geht auf die Anfänge der modernen Demokratietheorie und den Gesellschaftsvertrag von Jean-Jacques Rousseau zurück. Sie wurde von verschiedenen sozialistischen Denker*innen, später von den Gewerkschaften und in den 60er und 70er Jahren von Politikwissenschaftler*innen wie Carole Pateman und anderen Verfechter*innen der partizipativen Demokratie übernommen. Nach dieser Tradition wird die Demokratie am Arbeitsplatz als notwendig erachtet für die Verwirklichung demokratischer Ideale wie individuelle Autonomie, Freiheit, Mitsprache und Beteiligung in allen relevanten Fragen, die das Leben der Bürger*innen beeinflussen. Teile dieser normativen Idee wurden durch Gewerkschaftsbewegungen und Gesetze, insbesondere in westeuropäischen Ländern, verwirklicht.
Dennoch blieb die betriebliche Demokratie im Sinne der oben erwähnten Theorien weit davon entfernt, Realität zu werden. In den 1990er Jahren wurde die Idee von der Organisationsentwicklung und der Managementlehre aufgegriffen und erfuhr einen Wandel: Arbeitsplatzdemokratie, damals meist operationalisiert als begrenzte Partizipation, wurde zu einem Führungsinstrument, das helfen sollte, die Motivation und Effizienz der Mitarbeiter*innen zu steigern und damit zum unternehmerischen Erfolg beizutragen. In den letzten Jahren scheint jedoch das ursprüngliche demokratische Ideal der betrieblichen Demokratie unter den Bedingungen einer weltweiten Wirtschaftskrise und weiterer Krisen wiederbelebt worden zu sein. Eine Reihe von Publikationen trugen in den letzten Jahren dazu bei (vgl. Anderson 2019, Fenton 2022, Ferreras et al. 2022) .
Demokratie am Arbeitsplatz als demokratisches Ideal
Die Geschichte der Demokratie ist älter als die Geschichte der Arbeitsbeziehungen und der unselbständigen Erwerbsarbeit. In der Demokratie der Antike gingen die freien Bürger nicht immer einer regelmäßigen Arbeit nach. Es galt erstrebenswert, sich der Muße hinzugeben, während Sklaven die Arbeit verrichten mussten (Pabst 2010). Das moderne politische Denken und die Wurzeln der modernen Demokratietheorie gehen auf das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert zurück. Die heute noch relevanten Arbeitsbeziehungen entstanden später, vor allem im 19. Jahrhundert, als die Landwirtschaft mehr und mehr durch städtische Industrien ersetzt wurde und der technische Fortschritt den Weg für die industrielle Revolution ebnete. Über das Verhältnis zwischen Arbeit und demokratischer Mitbestimmung dachten bereits führende Aufklärer nach, allerdings veränderte die zunehmende Industrialisierung die Dringlichkeit, sich über dieses Verhältnis zu verständigen. Jean-Jacques Rousseau hat im 18. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass Freiheit und Gleichheit die höchsten Güter sind und überall verwirklicht werden müssten (Rousseau 2008: 54). Ungleichheit hielt er ähnlich wie bereits Aristoteles für eine große Gefahr. Das Ideal einer Demokratie, in der tatsächlich alle gleich und gleich frei sind, ließ sich wie wir wissen, weder über die Französische Revolution noch über Reformschritte in anderen Staaten ausreichend verwirklichen. Ungleichheit bestand und besteht weiter in der liberalen Demokratie, nicht zuletzt in der Arbeitswelt.
Seit dem 19. Jahrhundert haben diese Problematik viele Philosop*innen aufgegriffen. Der berühmteste unter ihnen war Karl Marx, der bekanntlich die Gleichheit aller in einer klassenlosen Gesellschaft anstrebte (Marx 2009). Erst nach einer Revolution und der vorübergehenden Diktatur des Proletariats könne seiner Ansicht nach eine wirkliche Demokratie entstehen, in der niemand mehr über einen anderen herrscht und alle gleich sind. Marx ist bis heute der Schrecken vieler Unternehmer*innen geblieben, daher wird er in Diskussionen über Unternehmensdemokratie nicht zu sehr bemüht. Dies ist auch gar nicht nötig, denn es finden sich moderne Demokratietheoretiker*innen, die mehr Beteiligung am Arbeitsplatz fordern: John Dewey etwa hat im frühen 20. Jahrhundert auf die Notwendigkeit der Demokratie im Alltag verwiesen (Dewey 2008: 221). Carole Pateman argumentiert aus feministischer Perspektive, dass das höchste Ideal in Demokratien die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen sei, und die Arbeitsverhältnisse daher nicht undemokratisch sein dürften. Nur wer im Alltag Demokratie erfährt, kann demnach auch ein/e demokratische/r, mündige/r Bürger*in werden (Pateman 1970). Es ist also nicht abwegig, Gleichheit im Alltag und besonders in den Arbeitsbeziehungen einzufordern und damit die Demokratisierung der kapitalistischen Unternehmen, Organisationen und industriellen Beziehungen voranzutreiben. Diese Idee ist relativ alt und sie entspringt einer Weltanschauung, die von der Gleichheit der Menschen ausgeht.
Demokratische Partizipation als Managementmaßnahme
Während die betriebliche Demokratie als Weg zur Annäherung an ein demokratisches Ideal in den späten 1980er und den 1990er Jahren an Bedeutung verlor, wurden partizipatorische Methoden in der Welt des Managements zunehmend übernommen. Dieser Trend ging Hand in Hand mit einer allgemeinen Tendenz der Politik und Öffentlichkeit, die neoliberale Ideologie, globalisierte Märkte und einen Machtverlust der demokratischen Nationalstaaten zu akzeptieren und sogar voranzutreiben. Nach der Gründung der Welthandelsorganisation im Jahr 1995 und anderen Entwicklungen, die nationale Grenzen zugunsten globalisierter Märkte und Gewinne öffneten, schien für weite Teile der Öffentlichkeit ein Fortschreiten auf diesem Weg des Turbokapitalismus unausweichlich. In diesen Jahren der neoliberalen Hegemonie erkannten Manager*innen immer öfter, dass eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer*innen den wirtschaftlichen Erfolg fördert. Unter dem nicht immer ernst gemeinten Etikett “Organisationsentwicklung” wurden verschiedene partizipative Methoden in den Unternehmen eingeführt, um die Motivation der Mitarbeiter*innen zu steigern (Skelley 1989).
Das ist grundsätzlich nicht schlecht, jedoch zäumt es die Idee der Unternehmensdemokratie von hinten auf. Ging es in den demokratietheoretischen Ansätzen von Rousseau bis Pateman um die Verwirklichung demokratischer Ideale, so wurde die Beteiligung nun zu einem Vehikel für ein anderes Ziel, nämlich jenes der Gewinnmaximierung. Zufriedene Mitarbeiter*innen, die sich beteiligen können, bringen dem Unternehmen mehr – so lautete in vielen Betrieben die Devise. Allerdings sollte diese Beteiligung nicht allzu weit gehen. Einige Beispiele dieser Entwicklung zeigen, dass es sich manchmal nur um eine Schein- oder Alibi-Partizipation der Mitarbeiter*innen handelte. Sie werden zwar um ihre Meinung gebeten und in Strategieprozesse eingebunden, die oft diametral anderen Entscheidungen werden dann aber in traditioneller Manier von oben getroffen, während man sie durch den Schein-Beteiligungs-Prozess legitimiert (vgl. Frerichs 2014). Nach dem Motto: Was wir als Geschäftsführung entschieden haben, wurde ja davor in einem langen Prozess unter Beteiligung aller Mitarbeiter*innen diskutiert. Wer dann also noch etwas dagegen vorzubringen hat, wird mit dem Argument zurückgewiesen, dass er den “demokratischen Prozess” doch zu respektieren hätte.
Die Folgen einer solchen Scheinpartizipation sind sowohl für den Betrieb als auch für das Individuum abträglich. Sie reichen von Resignation bis hin zu Kündigung und schaden definitiv dem ursprünglichen Ziel einer Erhöhung der Motivation (Frerichs 2014: 275 f.). Dabei wäre die allgemeine Annahme der Organisationsentwicklung, dass ein Bottom-up-Ansatz effektiver ist als ein altmodischer Top-down-Ansatz. Sie geht davon aus, dass die unternehmerische Strategie ein fließender und kontinuierlicher Prozess sein muss, in den alle Beteiligten einbezogen werden. Insbesondere in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit können die Mitarbeiter*innen kreative Ideen einbringen, die zur Lösung von Managementproblemen beitragen. Apostolou (2000: 2) zufolge bedeutet die Einbeziehung, dass jede/r Mitarbeiter*in als einzigartiges menschliches Wesen und nicht nur als Rädchen in einer Maschine betrachtet wird und jede/r der Organisation helfen kann, ihre Ziele zu erreichen. Der Beitrag sollte von der Geschäftsleitung nicht nur erbeten, sondern ernst genommen und geschätzt werden. Mitarbeiter*innen und Management erkennen im Idealfall an, dass alle an der Führung des Unternehmens beteiligt sind.
Neuere Entwicklungen in der Debatte
In den letzten Jahren hat sich viel getan in der Debatte um die Demokratisierung der Arbeitswelt. Beide Seiten, sowohl die demokratietheoretisch argumentierende, als auch die auf Management spezialisierte, haben sich weiterentwickelt. Zwei Bücher stechen hervor, wenn es um die Kritik an den Arbeitsverhältnissen und das Ideal der Demokratie sowie seine Verwirklichung in der Arbeitswelt geht: das eine stammt von der Philosophin Elizabeth Anderson, das andere ist ein Gemeinschaftswerk mehrerer Autorinnen mit dem Titel Democratizing work (2022). Anderson verfasste ein viel beachtetes Buch mit dem Titel Private Regierung. Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen und warum wir nicht darüber reden (2019). Darin zeichnet sie die Entwicklung seit der industriellen Revolution nach und argumentiert, dass wir nach wie vor in einer Welt von Herrscher*innen und Beherrschten leben. Letztere, die Arbeitnehmer*innen, seien nicht frei oder selbstbestimmt, sondern in vielen Firmen ähnlich unfrei wie die Untertanen eines autoritären Staates. Bekannte Beispiele wie Amazon seien nur die Spitze eines Eisbergs (vgl. “Sind Unternehmen Diktaturen?”).
In dem Buch Democratizing Work argumentieren die Autorin Isabelle Ferreras und ihre Kolleginnen dafür, dass Mitarbeiter*innen wie Bürger*innen gesehen werden und entsprechende Rechte haben sollten. Es wird also eine radikale Abkehr von den herrschenden Verhältnissen in den Betrieben einer neoliberalen Welt gefordert. Die Veränderungen müssten demnach eine starke politische Dimension haben und durch Gesetze ermöglicht werden.
Auch in der eher auf Management ausgerichteten Schiene der Demokratisierung von Unternehmen gibt es neue Ansätze. Erst kürzlich hat Traci Fenton, eine US-amerikanische Unternehmensberaterin, ein Buch veröffentlicht mit dem Titel Freedom at Work. The Leadership Strategy for transforming your Life, your organization and our world. Sie beschreibt in diesem nicht-wissenschaftlichen, sondern management-basierten Werk, wie Unternehmer*innen eine auf manchen demokratischen Prinzipien basierende Strategie verwirklichen können. Dabei stellt sie nicht grundsätzlich die Besitzverhältnisse in Frage und fordert auch keine genossenschaftlichen Strukturen, macht aber dennoch einige relativ weitgreifende Vorschläge, die etwa Wahlen, Transparenz und Dialog vorsehen. Sie ist nur eine von vielen, die in diese Richtung argumentieren.
Insgesamt kann also festgehalten werden, dass das Thema einer Demokratisierung der Arbeitswelt sowohl aus einer gesellschaftspolitischen, demokratischen Sicht als auch aus Perspektive des Managements von Interesse ist und seit einigen Jahren eine dynamische Entwicklung erfährt. Auch wenn es derzeit nicht im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, spricht vieles dafür, dass es schrittweise auch in den politischen Diskurs Einzug hält und viele Facetten hervorbringt.
Herzliche Grüße
Markus Pausch
Literatur
- Anderson, E. (2019): Private Regierung. Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen und warum wir nicht darüber reden, Berlin: Suhrkamp.
- Apostolou, A. (2000): Employee Involvement: Report produced for the EC funded project INNOREGIO: dissemination of innovation and knowledge management techniques. Accessed September 3 at: www.urenio.org/tools/en/employee_involvement.pdf
- Dewey, J. (2008): The Later Works, 1925-1953, Vol. 11: 1935-1937. Edited by Jo Ann Boydston. Southern Illinois University.
- Fenton, T. (2022): Freedom at Work. The Leadership Strategy for transforming your Life, your organization and our world,
- Ferreras, I./Battilana, J./Méda, D. (2022): Democratize Work. The Case for Reorganizing the Economy, Oldenbourg: De Gruyter.
- Frerichs, M. (2014): Innovationsprozesse und organisationaler Wandel in der Automobilindustrie. Eine prozesssoziologische Analyse betrieblicher Machtproben, Springer VS: Wiesbaden.
- Marx, K. (2009): Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie, Köln: Anaconda.
- Pateman, C. (1970): Participation and Democratic Theory. New York: Cambridge University Press.
- Rousseau, J. J. (2008): The Social Contract. New York: Cosimo Books
- Skelley, B. D. (1989): Workplace Democracy and OD: Philosophical and Practical Connections. Public Administration Quarterly. 13,2, pp. 176-195.
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