Partizipation – Die zweite Seite einer Medaille. Teil 2

Mind-as-a-prison

Was verstehen wir unter Partizipation? Die Kultur-Wissenschaft nennt sie Solidarität. Der Artikel “Was ist Partizipation?” zeigt eine Seite der Medaille auf, die Außenseite. Im ersten Teil dieser Trilogie wies ich auf Indizien der Geschichte für die zweite Seite der Medaille hin. Als Kompass nahm ich das Wort “Autonomie”, was laut Wiki “Eigengesetzlichkeit” bedeutet. Dieser Kompass führte mich zur Selbstbestimmungs- Theorie nach Ryan und Deci, welche zeigte, wie subtil der Mensch, aufgrund von sozialen Umständen, konditioniert werden kann und als Folge davon sogar Fehl- Identifizierungen entwickelt.

In diesem Teil zeige ich zunächst, wie ich durch meinem Kompass in der Entwicklungspsychologie ebenfalls fündig wurde. Denn sie wird uns aufweisen, wie Autonomie im Menschen nicht ohne integratives wachsen erlangt werden kann.

Entwicklungspsychologie

Dieses Feld beschäftigt sich mit Entwicklungsphasen, die Mensch beim Wachsen bis in ein hohes Alter durchwandert. Jede Phase steht für eine holonische Ergreifung von Bewusstseins-Eigenschaften. (ein Begriff aus der Integralen Theorie (https://www.integralesforum.org/medien/integrale-bibliothek/theorie-grundlagen/2815-holons). Kurz ausgedrückt, die nachfolgende Stufe umschließt die vorangegangene Stufe. Im Laufe der Jahre zeichneten sich folgende wichtige Forscher in diesem Gebiet ab:

Dank ihrer Forschung sind wir heute in der Lage die Modelle untereinander zu vergleichen und spezifische Bewusstseins-Eigenschaften herauszufiltern, die für die jeweilige Entwicklungsstufe eine wesentliche Rolle spielen.

Im Folgenden findest du eine Tabelle, die alle Phasen nach den jeweiligen Theorien aufstellt:

Abb. 2 – Entw.-Psych. unterschiedliche Dimensionen

Die Funde zeigten zudem immer mehr Einfluss in den Bereichen der Psychotherapie. Demzufolge konzentrieren sich einige moderne psychoanalytische Ansätze auf Störungen in der Entwicklungspsychologie. Man stellt sich demnach die Frage, “Welche Bewusstseins-Eigenschaft hat wo einen Stillstand erhalten?”. Wird diese Entwicklung durch konditionierende soziale Einflüsse (Siehe SDT) unterbrochen, bekommt Mensch bestimmte Verhaltensarten antrainiert. Er funktioniert also eher nach Mustern. Beispielsweise erforschen Schüler natürliche Phänomene nicht nach deren Grundlagen. Nach der Entwicklungspsychologie wird das die “Intuitive Wissenschaft” genannt, mit den Sinnen erworbene Wissenschaft. Kinder trainieren jedoch in der Schule vorgegebene Lösungsmethoden, mit dem Resultat, dass sie am Ende der Schullaufbahn mit einen riesigen Satz von Anwendungen ausgestattet sind. Elaborierendes Vorgehen ist jedoch nicht bekannt. Abstraktes Denken kann nicht gehaltvoll angewendet werden, da echtes Grundlagenwissen nicht vorhanden ist. Das alles führt zu dem Dilemma, dass der Mensch physisch in soziale Kontexte mit höheren Verantwortungs-Anforderungen hineinwächst, jedoch eine Bewusstseins-Ebene besitzt, mit der er die Anforderungen nicht bedienen kann.

Fazit Entwicklungspsychologie

Um jedoch an einer partizipativen demokratischen Organisation teilzunehmen, verlangt es eine autonome Bewusstseinsstufe, die nur erlangt werden kann, weil Mensch holonisch alle vorangegangenen Bewusstseins-Eigenschaften integriert hat, er im Bewusstsein gewachsen ist.

Dies wirft jedoch sofort die Frage auf, ob wir gesellschaftlich überhaupt passend für diese natürliche Bewusstseins-Entwicklung aufgestellt sind. Schauen wir uns mal um und versuchen, echte lebende Beispiele der Stufe “Autonom” (Siehe Tabelle Jane Loevinger) in unserem Umfeld zu finden. Werden wir da in einer großen Anzahl fündig? Nein? Sollten wir daher nicht alle gesellschaftlichen Systeme untersuchen, die einen Beitrag für unsere Entwicklung leisten? Ein wesentliches System ist sicherlich unser Bildungssystem. Die bestehende Qualität des Systems wird schon seit einigen Jahrzehnten kritisiert.

Psychoanalyse

Das Bildungssystem wurde unter anderem in den Werken von Erich Fromm in den 70er Jahren behandelt. (Haben oder Sein)

Rainer Funk fasste 2002 die nachhaltigen Erkenntnisse Erich Fromms wunderbar zusammen, unter dem Namen “Erziehung zwischen Haben und Sein”. Demnach will Fromm uns aus seiner Sicht als Psychoanalytiker und Sozialpsychologe darauf hinweisen, welchen Unterschied es macht, einen Menschen im Reifen zu begleiten, ihn in seiner Selbstentwicklung zu begleiten oder ihm Dinge anzutrainieren, sprich eine Erziehung zum SEIN oder eine Erziehung zum HABEN. Fromm hob hierbei die Unterstützung der Entwicklung der Eigenkräfte hervor, was wiederum eine starke Anlehnung an dem Begriff Autonomie = Eigengesetzlichkeiten besitzt. (Siehe oben).
Bzgl pädagogischer Konzepte versuchte Fromm 6 Kategorien darzustellen, in denen der Unterschied zwischen einer Erziehung zum SEIN und einer zum HABEN skizziert wird. Im Folgenden beschreibe ich zwei Kategorien.

  1. “…Eine am Sein orientierte Erziehung hat – viertens – immer eine individualisierende Wirkung…”:
    Hier zielt Fromm auf die Qualität des Ziels als solches ab und macht deutlich, wie der Weg selbst Ziel-Spezifikationen berücksichtigen sollte. Erziehung sollte daher eher einen Rahmen anbieten, der die Eigenständigkeit im Lernen fördert, um hier schon die oben genannte autonome Motivation zu fördern. Themen werden assimiliert und integriert, die im Kontakt mit dem Wesenskern stehen.
    Im Vergleich stellt er die Erziehung zum HABEN auf, welche das Ziel verfolgt, dem Kind Kompetenzen anzulernen. Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Perspektive, die darauf beruht, dass Mensch nur seine Erworbene Eigenschaften als wertig betrachtet. Dabei ist er sich völlig im unklaren, welche Eigenschaften seinen Kern ausmachen oder welche im Grunde nur Muster sind, die er wie Krücken zum Laufen nutzt, somit nie wirklich auf eigenen Beinen steht.
  2. “…Eine am Sein orientierte Erziehung hat – sechstens – immer eine schöpferische Wirkung…”:
    Hier betrachtet Fromm die Wirkung auf Eigenschaften, wie beispielsweise Agilität und Kreativität. Das Kind beschäftigt sich mit Grundlagen in jedem Thema und übt elaborative oder kreative Prozesse, da stehts das Erforschen im Vordergrund steht.
    Wohingegen die Erziehung zum HABEN den Menschen auffordert Lernstoff zu reproduzieren, imitieren oder zu rekonstruieren.

Eitorf : gata 2002 – Rainer Funk: Erziehung zwischen Haben und Sein – Nachhaltige Erkenntnisse Erich Fromms S.23, 25, 26

Ein weiterer Psychologe, M. Scott Peck, auch bekannt aus der Forschung zur Gemeinschaftsbildung, beschreibt auf seine Weise die Resultate im Erwachsenen, wenn er nicht gereift ist, und bezieht sich dabei zunächst auf Fromm und auf seine eigenen Erfahrungen.

“…. Deshalb gab Erich Fromm seiner Studie über Narzissmus und Autoritarismus den treffenden Titel „Escape from Freedom“ (Die Furcht vor der Freiheit). Um dem Schmerz der Verantwortung auszuweichen, flüchten Millionen, ja Milliarden Menschen täglich vor der Freiheit….”

Peck, M. Scott. Der wunderbare Weg: Eine neue spirituelle Psychologie – Vorwort von Thorwald Dethlefsen (German Edition) (S.57). Goldmann Verlag. Kindle-Version.

Peck hebt hier Fromms Werk hervor und zeigt hiermit die innere Gefangenschaft auf, aus der es schwer fällt zu entfliehen, da der Weg in die Autonomie als schmerzvoll empfunden wird. Mensch muss sich jetzt seiner Verantwortung stellen, da er ja auch mehr Gestaltungsspiel zur verfügung hat. Das interessante dabei ist, dass der konditionierte Mensch diesen Zustand aus seiner Sicht als schmerzhaft interpretiert und nicht begreifen kann, dass der Autonome die Verantwortung als vitalisierend erfährt.

Durch autonom motiviertes Verhalten wird psychische Energie nicht aufgebraucht. Stattdessen verstärkt die mit dem Verhalten verbundene Befriedigung der oben genannten psychologischen Grundbedürfnisse die Vitalität, also die Energie, die dem Selbst für seine Handlungen zur Verfügung steht” (Wikipedia Artikel Selbstbestimmungstheorie)

Weiter beschreibt Peck:

…Ein Mensch, dessen Leben von Abhängigkeitsbedürfnissen regiert und diktiert wird, leidet unter einer psychischen Störung, der wir die Diagnose geben: »passiv abhängige Persönlichkeitsstörung«.

Sie ist vielleicht die häufigste aller vorkommenden psychischen Störungen…..

….Diese Menschen fühlen sich nie »er-füllt«, sie kennen kein Gefühl des Ganzseins. Sie spüren immer: »Ein Teil von mir fehlt.« Sie ertragen Einsamkeit sehr schlecht. Wegen ihrer mangelnden Ganzheit haben sie kein wirkliches Identitätsgefühl, sie definieren sich allein durch ihre Beziehungen.“ Peck, M. Scott. Der wunderbare Weg: Eine neue spirituelle Psychologie – Vorwort von Thorwald Dethlefsen (German Edition) (S.127-128). Goldmann Verlag. Kindle-Version.

Hier verbindet Peck die psychologische Disposition einer »passiv abhängige Persönlichkeitsstörung« mit dem Einfluss des sozialen Einflusses, den Michel Foucault darstellt. Im konditionierten Menschen zeigt sich also ein Mangel-Bewusstsein, worauf er aus den sozialen Anforderungen aufmerksam gemacht wird.

Fazit Psychoanalyse

Experten aus der Psychotherapie und Sozialpsychologie zeigen uns schon seit einigen Jahrzehnten, welche Auswirkungen unser Bildungssystem in uns erzeugt und wie sich die Auswirkung in uns niederschlägt. Dabei müssen wir feststellen, dass der übliche Karriere-Weg zum Angestellten reichlich schwache Voraussetzungen für eine partizipierende demokratische Organisation erzeugt.

Abschließend komme ich im nächsten Beitrag zum Fokus auf die Zusammenhänge zwischen Ich-Bewusstsein und Organisation mit einer Integralen Perspektive.

 

Herzliche Grüße
René

 

Quellen

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Pixabay, freie kommerzielle Nutzung

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