Es geht doch: Mitbestimmung statt Stellenabbau

Die Alternative zum Stellenabbau ist wie die Nadel im Heuhaufen

Stellenabbau: Am 07. Dezember 2020 veröffentlichte ich hier einen Artikel über den Stellenabbau im Schatten von Corona. Alleine ab 2020 waren es mindestens 113.150 Stellen, die gestrichen wurden oder noch werden. Aktuell kommt noch die Schließung von 60 Filialen in Deutschland und 500 europaweit bei Douglas bis Ende 2021 hinzu. Selbstverständlich werden die Mitarbeiter*innen nicht eingeladen, gemeinsam nach anderen Lösung zu suchen. Aber es gibt auch erfreuliche Ausnahmen, auch wenn sie der Nadel im Hauhaufen ähneln.

Und diese Ausnahme liegt sogar schon eine kurze Weile zurück: “Der Betriebsrat des Kilchberger Siemens-Werkes sowie der Gesamtbetriebsrat der Siemens AG sind am Donnerstag in Bonn mit dem Deutschen Betriebsräte-Preis 2019 in Gold ausgezeichnet worden.” (itz 2019) Das Engagement des Betriebsrats wurde gewürdigt. Aber die Geschichte dahinter ist nicht im großen Stil öffentlich geworden, das Schwäbische Tagblatt ist nicht gerade bundesweit einem großen Millionenpublikum bekannt. Dabei hätte diese Geschichte es verdient.

Getriebemotorenbau digitalisieren?

Im Frühjahr 2017 sollte in einem Siemens Werk bei Tübingen die gesamte Montage mit den anliegenden Bereichen in die Tschechei verlegt werden. Es war das Jahr, in dem Siemens weltweit 7000 und in Deutschland 3500 Stellen im Bereich Gasturbinen abbauen wollte. Es gab dazu von vielen Bereichen lautstarke Proteste. Umso interessanter, dass dieselbe Firma bereits erfolgreich eine alternative, partizipative Lösung in einem anderen Werk erarbeitete, in dem Getriebemotoren hergestellt werden. Nachdem ich selbst Siemens mit meiner damaligen Satire kräftig durch den Kakao gezogen hatte, ist es mir umso wichtiger, nun erfreut über dieses vielversprechende, alternative Vorgehen zu berichten.

Das betroffene Werk war nicht mehr auf der Höhe der Zeit, die Produktion war noch längst nicht digitalisiert oder auch nur auf dem Weg dorthin. Etwas, was mensch von einem Unternehmen von Weltrang mit einem Standort in Deutschland, das zu den größten Volkswirtschaften der Welt zählt, erwarten könnte. Aber weit gefehlt. In einer Zeit, in der gefühlt andauernd über die “digitale Transformation” geredet wird, würde ich davon ausgehen, dass eines der bedeutendsten deutschen Unternehmen im Technologiesektor eine Vorreiterstellung einnimmt. Von wegen.

Die Reaktionen auf die Digitalisierungs- und Automatisierungsüberlegungen machen sprachlos: „Was sollen wir denn digitalisieren? Wir bauen ja nur Getriebemotoren.” Das bekam der Betriebsratvorsitzende des betroffenen Werkes laut einem Artikel der IG Metall anlässlich des oben erwähnten Betriebsratpreises zu hören. Dabei hatte der Betriebsrat schon längst auf die Problematik abnehmender Wettbewerbsfähigkeit hingewiesen. Im selben Beitrag wurde der Betriebsratvorsitzende Ismayil Arslan zitiert: “Wir befanden uns seit Jahren in einer wirtschaftlich angespannten Situation, und diese Situation war vor allem auf mangelnde Optimierung, Automatisierung und Digitalisierung zurückzuführen … Die Warnungen von uns als Betriebsrat, dass man eine zukunftsorientierte Umstrukturierung anstreben muss, damit wir nicht in absehbarer Zeit unsere Wettbewerbsfähigkeit verlieren und die Existenz des Standortes gefährden, die wurden lange Zeit ignoriert.” (metallzeitung 2019)

Stellenabbau: es geht doch anders

Als dann 2017 soweit war, dass die Warnungen des Betriebsrats Wirklichkeit wurden, sollte es zu dem erwähnten Stellenabbau durch die Werksverlegung in die Tschechei kommen. Und da griff der Betriebsrat ein, den MItgliedern wurde klar, “…dass sie die Umwandlung des Getriebe-Werkes in ein digitales Vorzeigewerk selbst anschieben müssen.” (a.a.O.) In Zusammenarbeit mit dem IG Metall Projekt “Arbeit und Innovation” krempelte der Betriebsrat die Ärmel hoch und legte los.

Das Ergebnis ist beeindruckend. Erstens und am wichtigsten: Das Werk besteht weiterhin in Deutschland und wurde nicht geschlossen, ade Stellenabbau. Denn mittlerweile wurden viele wichtige Aspekte durch eine erfolgreiche Digitalisierung verbessert. Durch den Einsatz fahrerloser Transportsysteme und die weitere Modernisierung der Arbeitsplätze werden mittlerweile die Aufträge erheblich schneller bearbeitet. Durch die Nutzung von Google Glass wurde der Servicebereich erfolgreich digitalisiert. Heute können die Servicemitarbeiter*innen ihre Kolleg*innen vom eigenen Standort aus global bei der Wartung, Fehlersuche und Reparatur der Motoren unterstützen.

Durch den intelligenten Einsatz von Algorithmen wurde Büroarbeit derart modernisiert, dass repetitive und damit monotone Prozesse automatisiert wurden. Das ging jedoch nicht mit der Entlassung der Büromitarbeiter*innen einher, sondern führt vielmehr zu dem, was seriöse New Work Vertreter*innen als wichtigen Teil der Erneuerung unserer Arbeit begreifen: Die Freisetzung von Kapazitäten für spannendere, höherwertige Formen der Arbeit.

Die Zukunft liegt in der Mitbestimmung und Partizipation

Ganz klar: Als ich diesen Fall fand, war es Wasser auf die Mühlen der unternehmensdemokraten. Denn wir stehen für genau das, was hier exemplarisch so eindrücklich und bewegend vorgelebt wurde. Insbesondere, wenn es um die großen, weitreichenden, existenziellen strategischen Fragen geht, ist es im Sinne des Unternehmens allemal klüger, die Belegschaft einzubinden, und zwar konsequent, nicht nur auf der Schauseite des Unternehmens (Stefan Kühl), nicht nur, um die Fassade attraktiv zu gestalten.

Das dürfte wohl auch der Betriebsratvorsitzende Isamayil Arslan des Kilchberger Werks so sehen. Er bringt die Bedeutung der Mitbestimmung und Partizipation bestens auf den Punkt: „Uns war es wichtig, die Kolleginnen und Kollegen frühzeitig, bei allen Schritten miteinzubeziehen. … Digitalisierung kann nur dann gelingen, wenn die Beschäftigten mitgenommen werden und ihre Erfahrungen, ihr ganzes Know-how einbringen können.” (a.a.O.)

Es ist wirklich erfreulich, dass eines der Unternehmen, das ansonsten kräftig ins selbe Horn des angeblich alternativlosen Stellenabbau s bläst, dieses wunderbare alternative Beispiel hervorbrachte. Es ist mir und uns eine große Freude. Zuallererst, weil die betroffenen Mitarbeiter*innen weiter arbeiten konnten und das mittlerweile besser als zuvor. Und es gibt noch einen Grund. Denn dieser Fall belegt zweierlei:

Erstens bedeutet Digitalisierung nicht den Verlust von Arbeitsplätzen. Im Gegenteil, sie  können sogar erhalten und verbessert werden. Zweitens wird deutlich, was geht, wenn Mitarbeiter*innen in existenziell bedrohlichen Situationen bei der Problemlösung einbezogen werden.

Bleibt nur zu hoffen, dass nicht nur andere Unternehmen, sondern auch Siemens selbst diese großartige eigene Erfolgsgeschichte in den eigenen Wissens- und Kompetenzbestand überführt. Schließlich gilt immer noch das alte Bonmot: “Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß.”

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Quellen

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©LittleAngell, Pixabay, lizenzfrei

 

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