Bedingungsloses Grundeinkommen: Das widersprüchliche Menschenbild der Gegner:innen

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Am Samstag las ich ein Interview mit dem Hamburger Professor Thomas Straubhaar über das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei kam es so sicher wie das Amen in der Kirche zu den üblichen kritischen Fragen, ob sich dann nicht einige auf die faule Haut legen und nicht mehr arbeiten. Dabei ist diese Annahme und dieses Menschenbild nicht einfach nur auffallend pessimistisch, sondern auch widersprüchlich zu anderen Positionen der Gegner:innen des bedingungslosen Grundeinkommens. Offensichtlich basteln sich die Gegner:innen ihr Menschenbild jedes mal so, wie es ihnen gerade in den Kram passt. Ein Hoch auf die neoliberale Inkonsistenz.

Die Problematik dieses Menschenbildes fiel mir deshalb so auf, weil ich erstens vor kurzem für das Institut für Sozialstrategie einen Gastbeitrag über das Menschenbild in Zeiten digital-globaler Wirtschaft veröffentlicht hatte. Zweitens, weil der Redakteur  Alexander Jung, der Straubhaar interviewte, die Faulheit seiner MItbürger:innen mit einer auffälligen Penetranz ins Gespräch brachte. Er hinterfragte die intrinsische Motivation nicht einmal, sondern in Variationen gleich mehrfach. Hier alle seine Fragen und Kommentare zu den üblichen Unterstellungen von Faulheit und Trittbrettfahrermentalität:

  • “Zugleich gibt es Menschen, die mit einem Grundeinkommen nicht mehr arbeiten müssten. Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Wohlhabende ihren Job aufgeben würden?
  • Produziert Ihr Modell eine neue Schicht staatlich subventionierter Müßiggänger?
  • Heute bekommen manche in der Ausbildung nur 550 Euro als monatliche Vergütung. Wie viele würden wohl künftig ein Grundeinkommen von 1000 Euro der Lehre vorziehen?
  • Trotzdem könnten Jüngere versucht sein, lieber mit zwei Freunden eine WG zu teilen, zusammen 3000 Euro netto zu kassieren und ein laues Leben zu führen.” (Jung, A. 2021)

Schauen wir uns die Sichtweisen genauer an:

1. Wohlhabende, die aufgrund des BGE nicht mehr arbeiten müssten

Das Faulenzerargument tritt hier in einer widersprüchlichen Version auf. Wieso sollten Wohlhabende durch einen für sie lächerlichen zusätzlichen Betrag von 1000,- im Monat in die Situation kommen, nicht mehr arbeiten zu müssen? Hier gibt es nun mindestens zwei Ausgangsbedingungen, die beide rein gar nicht zu einer Aufgabe des Jobs führen würden. Als Ausgangslage arbeiten sie. Und zwar weil sie entweder (a) gerne das Geld verdienen wollen und/oder (b) Lust auf die Arbeit an sich haben. Wenn sie das Geld verdienen wollen (a), werden sie wegen 1000,- mehr im Monat wohl kaum aufhören, denn dann würden sie all das, was sie zuvor verdienten abzüglich der 1000 Euro BGE  monatlich verlieren und würden wesentlich schlechter dastehen als zuvor. Und/oder sie haben (b) Freude an dem, was sie tun. Dann werden sie ebenfalls nicht aufhören. Mir fällt kein nachvollziehbarer Grund ein, warum sich für Wohlhabende hinsichtlich ihrer Arbeitsmotivation etwas ändern sollte.

2. Staatlich subventionierte Müßiggänger durch das BGE

Dies ist die allgemeinere Version des immer wieder aufgebrachten Standard-Gegenarguments. Es scheitert an gleich mehreren Aspekten: Erstens müssten sich die Verfechter:innen der Müßiggangthese fragen, wieviele Menschen wohl mit 1000,- im Monat leben können, wenn es dafür im Ausgleich keinerlei andere Sozialleistungen mehr gibt? Denn dieser Kleckerbetrag wird größtenteils bereits von der Miete und Krankenversicherung aufgefressen. Zweitens wissen wir aus der Beforschung von Langzeitarbeitslosen, das die nicht vorhandene Einbindung ins Arbeitsleben eine erhebliche psychische Belastung darstellt. Die meisten von uns wollen teilhaben am Arbeitsleben, denn damit sind wir meist mindestens 4-8 Stunden täglich in eine Gemeinschaft eingebunden, sind nicht allein, sind im Austausch mit anderen und verdienen meist mehr, als was von den 1000 Euro nach Abzug der zwingenden Ausgaben (Miete, KV, Lebenshaltungskosten, …) übrig bleibt. Drittens kann es sehr wohl auch einige Müßiggänger geben. Aber die gibt es auch jetzt schon – und vor allem: So what? Im Gegenteil: Es wäre fürs Gemeinwohl deutlich besser, wenn ein paar Tausend  geldgeile Investmentbanker den ganzen Tag mit grotesk großen Tüten in der Hängematte chillen würden, anstatt mit Lebensmitteln zu spekulieren oder gemeingefährliche Derivate wie CDS zu erfinden und die nächste Subprime-Blase aufzupumpen. Nur um nach dem durch sie verursachten finanziellen Flächenbrand dann von unser aller Steuergelder gerettet zu werden, während sie die zuvor verdienten Millionen sicher angelegt haben und behalten können. Da denk ich gerne an Bertrand Russel: Lob des Müßiggangs.

3. Abhängen statt Ausbildung und Arbeit

Na klar, die Jugend war schon immer faul. Und wenn sie dann doppelt so viel fürs nix tun bekommt, werden die Youngster natürlich lieber den ganzen Tag rumgammeln und zocken, bingen oder Rentner ärgern. Ich seh das an meinem 14 jährigen Sohn. Der steht morgens demnächst noch vor mir auf, wenn es so weitergeht (bei mir klingelt der Wecker um 5). Und zwar ohne dass ich auch nur irgend etwas dafür getan habe. Meine Exfrau auch nicht. Er macht das, weil er morgens vor Schulbeginn am Schul- und Leistungssportzentrum Berlin als Kadermitglied die erste Trainingseinheit hat. Ich habe in dem Alter morgens deutlich länger geschlafen und bin auch nicht derart diszipliniert abends ins Bett gegangen, um morgens fit zu sein. Aber klar: Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt auch sonst kaum Jugendliche, die sehnsüchtig darauf warten, endlich offiziell jobben gehen zu dürfen, um sich ihr Taschengeld aufzubessern und sich ihre Wünsche zu erfüllen. In der Situation bekommen sie zwar noch kein BGE, aber alle Kosten werden meist durch die Eltern getragen. Sie zahlen keine Miete, KV und müssen auch ihr Essen nicht finanzieren. Sie könnten also nach der Schule solange faulenzen wie sie wollen und bis zur Nekrosenbildung auf dem Sofa rumgammeln. Tun das die meisten?

4. Generalwidersprüche: Eigenverantwortung, die anderen & Ehrenamt

Bedingunsloses Grundeinkommen wäre eine Alternative zur Leistungsgesellschaft
Die hervorragende Analyse des Harvard Professors Michael Sandel zu den zerstörerischen Effekten der Meritokratie.

Der erste und wohl größte Widerspruch liegt in der neoliberalen Forderung nach weniger Staat, nach der Kürzung von Sozialleistungen und Gemeingütern wie Parks, Bibliotheken, Museen etc. mit dem Verweis auf – Eigenverantwortung. Und die existiert auf einmal nicht mehr, wenn Bürger:innen ein karges BGE erhalten, mit dem mensch nur auf dem Land halbwegs zurecht käme, aber kaum in einer Stadt, geschweige denn in einer unserer Großstädte mit irrwitzigen Mieten, die in vielen Fällen bereits mindestens ein Drittel des bisherigen Einkommens benötigen, Tendenz steigend. Zweitens sind es natürlich vor allem immer – die anderen. Die Kritiker:innen haben sich nach meinem Kenntnisstand bislang selbst nicht diskreditiert und als schmarotzende faule Socken präsentiert, die nur deshalb arbeiten, weil es noch kein BGE gibt. Drittens müssten sich die Pseudo-Realist:innen fragen, wieso unsere komplette Gesellschaft durch millionenfaches Ehrenamt am Leben gehalten wird? Was zum Teufel bewegt all die faulen und eigennutzenmaximierenen Menschen dazu, neben ihrer teils harten Erwerbsarbeit oder auch als nicht erwerbstätige Partner:innen in unterschiedlichsten Funktionen Ehrenämter auszuüben? Das ist viel mehr unsere gesellschaftliche Realität, als die wenigen Müßiggänger, die sich weigern, um das goldene Kalb des ewigen Wachstums herumzutanzen. Und damit schaden sie unserer Gesellschaft viel weniger, als so mancher CEO (meist Männer) mit seiner protestantischen Arbeitsethik und dem steten Streben, den Aktionär:innen oft auf Kosten der restlichen Gesellschaft noch mehr Gewinn zu bescheren. So wie jüngst das Kurzarbeitergeld im ersten Corona-Lockdown mehr oder minder direkt in Form von Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet wurde und somit eine Umverteilung von unten nach oben darstellt. Folgerichtig hatte letztes Jahr VW CEO Herbert Diess klargestellt, dass die Dividenden das Letzte sind, was in der Corona-Krise gekürzt wird (vgl. “Das Corporate-Design der Impertinenz“).

Kurzum:

Der sich als Realismus billig tarnende Pessimismus, das BGE führe zu Müßiggang, ist der verzweifelt widersprüchliche Versuch, das illusionäre Narrativ der Leistungsgesellschaft aufrecht zu erhalten (vgl. Sandel 2020)

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Literatur

  • Jung, A. (2021): 1000 Eure im Monat für alle – kann das gutgehen? Spiegel Online / Spiegel 35/2021
  • Sandel, M. (2020): Vom Ende des Gemeinwohls. Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt. S. Fischer
  • Zeuch, A. (2021): Das Menschenbild in Zeiten digital-globaler Wirtschaft. Institut für Sozialstrategie.

 

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Comments (1)

Ein sehr schöner Artikel.
Nur an einem Punkt muss ich widersprechen: Das BGE kann niemals alle Sozialleistungen ersetzen. Für Menschen mit Behinderung muss es immer noch Geld oben drauf geben – was aber für den größten Teil der Bevölkerung nicht zutrifft.

Da leider Wissenschaft und Medien den entscheidenden Punkt meist ignorieren, nämlich dass Menschen schon heute sehr viel unbezahlte Arbeit leisten (was, wie Sie richtig schreiben, die Gesellschaft am Leben hält), habe ich vor einiger Zeit begonnen, Programmbeschwerden bei den Öffentlich-Rechtlichen Medien einzureichen, wann immer die unbezahlte Arbeit unsichtbar gemacht wird. Z.B. hier: https://bge-rheinmain.org/antwort-mdr-programmbeschwerde

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