Gemeingüter: Ich habe es schon in vielen Diskussionen gesagt und auch hier bei uns im Blog geschrieben: Die Luft ist unser aller Gemeingut. Nun endlich erschien im wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” dazu ein relativ umfassender Artikel: “Was ist uns die Rettung der Welt wert?” Darin verweisen die drei Autor:innen explizit und unmissverständlich auf das Konzept des Gemeinwohls und erläutern die Schwierigkeiten, ein derart flüchtiges Medium wie Luft rechtlich zu fassen und mit Regularien zu versehen, damit auch unsere Kindeskinder nicht wie in depressionsförderlichen Sci-Fi Dystopien röchelnd dahinsiechen – während die Verursacher:innen es sich weit über der zerstörten Atmosphäre im Elysium gut gehen lassen.
Wenders Meisterfilm Der Himmel über Berlin erschien 1987. Seit dem ist der CO2 Anteil im flüchtigsten aller Gemeingüter von 348ppm auf bis zu 419ppm in 2021 gestiegen. Eine Zunahme um knapp 20%. “Die Zahl liegt rund 50 Prozent über dem vorindustriellen Wert von 280 ppm. Sie liegt auch deutlich über dem höchsten in den vergangenen 800.000 Jahren jemals erreichten Level.” (Smoltczyk 2021) Und immer noch halten es nicht unerheblich wenige Menschen für ihre Privatangelegenheit, welche Ressourcen sie verbrauchen und welche Abgase und Abwässer sie ausstoßen. Aktuell sichtbar an dem sich hartnäckig haltenden Widerstand gegen ein Tempolimit (bei dem es mir persönlich mehr um Verkehrsischerheit als CO2 Einsparungen geht). Auch deshalb entwickeln wir gerade unser Zukunftsprogramm “Arbeit als Demokratielabor” (dazu später mehr).
Gemeingüter: Eines der zentralen Zukunftskonzepte
Vor 12 Jahren erhielt Elinor Ostrom als erste Frau den Alfred-Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften[1] für Ihre bahnbrechende Arbeit über Gemeingüter. Sie fand die Grundlagen eines gelungenen Umgangs mit Gemeingütern heraus, das als Wissen lokal über verschiedene Bewirtschaftungen von Gemeingütern weltweit verstreut war. Bis zu ihr galt die Bewirtschaftung der Gemeingüter als nicht möglich, entweder brauchte es eine Privatisierung oder staatliche Regulation. Ostrum falsifizierte die bis dahin vorherrschende Sichtweise und extrahierte acht Designprinzipien zur erfolgreichen Allmendebewirtschaftung (mehr dazu auf der nützlichen Website “Die Welt der Commons“).
»Der Wohlstand des 21. Jahrhunderts hängt an der Übernutzung der Gemeinschaftsgüter Luft, Ozeane, Wälder« Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung
Anhand eines relativ bekannten Beispiels illustrieren die Spiegel Autor:innen eine erfolgreiche Verhandlung von Schweizer Landwirten über deren gemeinsame Nutzung der Hochgebirgsalmen Adelboden. “… jeder Adelbodener Bauer hat ein Recht, sein Vieh nach der Schneeschmelze dorthin zu treiben und es weiden zu lassen.” (ebnd.) Wie aber kann die Nutzung der gemeinsamen Almen für alle fair aufgeteilt werden? Schließlich brauchen Ziegen weniger Ressourcen als Kühe. Die Verhandlungen sind somit nicht einfach. Kühe, Kälber, Stiere und Ziegen werden miteinander verrechnet, wobei nicht Kuh gleich Kuh ist und so kommt es schnell zu nicht-natürlichen Verhältnismäßigkeiten von 6 (Ziegen) : 2,15 (Kälbern). Und doch: Das Konzept funktioniert. Seit 400 Jahren. Und wie gehen wir mit dem wichtigsten und komplexesten aller Gemeingüter um, die wir haben?
Unsere Luft ist flüchtig. Und deshalb rechtlich so schwer zu fassen. Zumindest bisher. Grundsätzlich gilt bis heute: Bis 100 Km über dem Boden ist die Luft nationales Territorium. Und jede Nation kann mit diesem Teil der Atmosphäre fast machen, was sie will (bis auf sehr wenige Ausnahmen wie ozonschädigende Gase). Denn unsere Atmosphäre ist aus völkerrechtlicher Sicht kein Gemeingut. Dabei waren wir nahe dran. 1992 wurde die UN-Klimakonvention verabschiedet und eine Überlegung in dem Zusammenhang bestand in der Idee, die Atmosphäre zum gemeinsamen Menschheitserbe zu erklären. Das hätte enorme Folgen gehabt, wir hätten ziemlich sicher nicht die aktuelle Situation zu beklagen. Aber vorsichtig: Es waren keineswegs nur die üblichen Verdächtigen, die ihre nationalen Interessen voranstellten, es waren auch Entwicklungs- und Schwellenländer dabei. Kein Wunder: Für sie war – und ist – die Emission verbunden mit wachsendem Wohlstand. Die Reduktion von Armut und Hunger muss schließlich auch vorangetrieben werden. Aber was nicht ist, kann noch werden. Es ist eine Option. Es gibt aber noch weitere.
Gemeingüter 2.0: Ein globaler CO2 Preis
Wenn wir den Himmel über uns schon nicht als supranationales Gemeingut rechtsverbindlich gefasst bekommen, dann könnte eine andere Idee vielleicht helfen: Der Spieltheoretiker Axel Ockenfels stellt fest, das Klimaabkommen die einzigen internationalen Abkommen seien, die nicht auf Gegenseitigkeit beruhen würden. Ich kann nicht beurteilen ob das exakt so zutrifft. Aber es reicht, dass es dem Klimaabkommen an dieser Gegenseitigkeit mangelt. In der Folge gibt es einige Länder, die voranschreiten in Sachen Klimaschutz, bzw. wohl eher: Menschheitsschutz, dem Klima ist es egal, wie es sich verändert. Andere indes nutzen das aus und wurden Trittbrettfahrer. Ockenfels suchte nach Lösungen im Kölner Labor für Wirtschaftsforschung CLER.
Die dort erarbeitete Lösung macht einen plausiblen Eindruck: Ockenfels schlägt vor, über einen globalen CO2 Preis zu verhandeln. Wenn es gelingen würde, einen solchen Preis festzulegen, hätte das enorme Vorteile: “Bei jeder Entscheidung müssen die tatsächlichen Kosten, die der Welt auferlegt werden, berücksichtigt werden. Auch Egoisten müssen die Gemeinkosten bedenken.” (ebnd.) Ockenfels im Wortlaut zu den weiteren Folgen: “CO2-Preise erleichtern echte Kooperation. Sie sind transparent, leicht vergleichbar, und alle sind sich einig, dass der Preis überall in etwa gleich groß sein soll. Wenn ein Land bei der Klimakooperation nicht mitmacht, könnte man dessen Exporte bei der Einfuhr besteuern. Dann kassieren wir stattdessen die CO2-Einnahmen.” (ebnd.)
Wir hätten also immer noch die Möglichkeit, halbwegs erfolgversprechend gegenzusteuern. Ein vielversprechender Hebel scheint neben dem noch ausbaufähigen CO2-Zertifikatehandel die Idee des globalen CO2 Preises, der in gewisser Weise die Idee von Luft als supranationalem Gemeingut abbildet. Aber es braucht noch mehr. Eine zentrale Frage ist immer wieder, wie wir an das Geld herankommen, das der Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft kostet. Wir brauchen wohl kaum darauf zu warten, dass sich die Millardär:inen dieser Welt zusammentun, und – sagen wir ganz bescheiden – die Hälfte ihres Geldes der Weltgemeinschaft zum Zwecke der Abwendung der Klimakrise zur Verfügung stellt. Und selbst wer viel spendet, tut dies meist nach eigenem Gutdünken, was nebenbei bemerkt, ein erhebliches Problem ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
Klimaignoranten zur Kasse zwingen
Sie wussten es. Schon lange und erschreckend präzise. Und was taten sie? Genau. In jedem Wirtschaftsthriller würde das als dick aufgetragen rüberkommen, als derart unmoralisch, dass es völlig unglaubwürdig klingt: “1982 lieferten Exxon-Leute einen brisanten Bericht für den internen Dienstgebrauch ab. Sie hegten keinerlei Zweifel daran, dass die Welt durch CO₂ wärmer würde. Ihrer errechneten Kurve zum künftigen Temperaturverlauf ließ sich entnehmen, dass der Temperaturanstieg bis 2021 etwa 1,2 Grad Celsius betragen werde bei einer CO₂-Konzentration von 420 ppm – im Nachhinein ein an Hellseherei grenzendes Volltrefferergebnis.” (Evers 2021; hellseherisch, da im Mai 2021 419ppm gemessen wurden, AZ) Ergänzend ein O-Ton des Wettbewerbers Shell, der die Situation auch rechtzeitig erkannte, aber trotzdem einfach weitermachte:
“With very long time scales involved, it would be tempting for society to wait until then to begin doing anything. The potential implications for the world are, however, so large, that policy options need to be considered much earlier. And the energy industry needs to consider how it should play its part.” (Shell 1988) Wenn also alles auf dem Tisch lag, wurde ganz bewusst unser aller Erbe mit den Füßen getreten. Denn es war klar, dass die weitere ungebremste Förderung und Nutzung von Öl und Gas den Greenhouse Effect auslöst. Also, frage ich mich naiv mit meinem laienhaften juristischen Sachverstand, warum fordern wir nicht die entstandenen Kosten von den Unternehmen und ihren Shareholdern zurück? Es reicht nicht, diese bewussten Unterlassungen zugunsten des eigenen Profits zu vergessen und einfach nur schärfere Klimaziele zu fordern.
Und natürlich wird dieses im wahrsten Sinne a-soziale Spiel bis heute betrieben. Am 29.10. veröffentlichte wiederum der Spiegel den Artikel “Die Milliarden Abzocke beim Strom. Dort erläutern der Autor Frank Dohmen das Scheibenpachtmodell und seine hintertriebene Mechanik, im wahrsten Sinne auf Kosten der Gemeinschaft selber Geld beim Strom zu sparen, dass dann als EEG-Umlage von uns allen ersatzweise gelöhnt werden musste und muss. Aber natürlich lässt sich all das noch toppen: “Es waren ausgerechnet jene Konzerne beteiligt, die sich jetzt beschweren, dass es in Deutschland zu wenig grünen Strom für den Umbau zu einer klimaneutralen Produktion gebe. Und die lautstark Milliardenhilfen bei der Bundesregierung einfordern.” (Dohmen 2021) Die beteiligten Unternehmen: Bayer, Daimler, Evonik, Henkel, ThyssenKrupp – und Beratungsunternehmen wie PWC oder Kanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer, die mal wieder die Modelle der Niedertracht ersonnen haben (vgl. Dohmen 2021). Hauptsache, es hatte den groben Anschein der Legalität. Und was machen wir heute und jetzt damit? Ganz einfach:
“In einer Nacht-und-Nebel-Aktion änderte die Koalition [der Legislaturperiode 2017-21, AZ] in der mehrere Hundert Seiten starken EEG-Novelle auch den Paragrafen, der das Eigenstromprivileg regelt, und brachte das Gesamtwerk durchs Kabinett. Die revidierte Fassung knüpft inhaltlich an einen Textvorschlag des von Evonik-Chef Christian Kullmann geleiteten VCI an, der schon Monate zuvor im Haus von Altmaier hinterlegt worden war. … Diese Änderung kommt einer Kapitulation der Politik gleich. Die Großkonzerne erhielten eine weitreichende Amnestie.” (Dohmen 2021) Well done. Kein Wunder, dass sich viele Bürger:innen durch den Kakao gezogen fühlen, um es euphemistisch zu formulieren. Soviel zur repräsentativen Demokratie und der gewählten Elite, die laut diverser Demokratietheoretiker angeblich am besten geeignet seien, im Sinne der Bürger:innen zu handeln. Die Klimakrise wird offensichtlich nicht alleine durch Wirtschaft und Politik gelöst. Die repräsentative Demokratie bleibt ihre Versprechen schuldig. Das führt zu einer zentralen Frage: Wie können wir uns als Gesellschaft befähigen gemeinsam die Herausforderung der Klimakrise anzugehen?
Nachhaltigkeits- und Demokratielabor
Klar ist für uns: Wir brauchen mehr Partizipation. Wenn wir alle überlebensnotwendigen Entscheidungen den Lindner’schen Profis überlassen, sind wir verloren. Aktuell ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass wir das 2 Grad Ziel reißen anstatt es einzuhalten (ganz zu schweigen von 1,5 Grad). Ich erinnere nur an die Korrektur des Klimapakets durch das Bundesverfassungsgericht. Aber wir sind allesamt keine geborenen Partizipationstalente. Wir müssen lernen, Probleme gemeinsam zu lösen; anderen dazu erst mal offenen Herzens zuzuhören, ohne im Kopf schon längst die Gegenargumente parat zu legen; Perspektiven zu wechseln und die Dinge auch durch die Augen anderer sehen; unsere kindliche Neugier wiederbeleben, um die Welt neu zu entdecken und kreative Lösungen zu (er)finden. Wir müssen uns von Hobbits und Hooligans in Vulkanier verwandeln, sprich: Das bessere Argument gewinnt und nicht der größere Geldbeutel oder die lautere Stimme. Aber wo und wie lernen wir das?
Die Sozialisation beginnt früh – und hört nie auf. Natürlich geht es im Elternhaus los. Aber wir sind davon überzeugt, dass wir auch als Erwachsene fortlaufend geprägt werden. Klar, frühkindlich ist unser Hirn plastizierbarer. Aber dafür verbringen wir ungleich mehr Zeit als Erwachsene in unserer Berufstätigkeit, als die paar wenigen Jahre als Kleinkind bei unseren Eltern. Also sehen wir im Berufsleben eine großartige Chance, einen großen Hebel, um die nötigen partizipativ demokratischen Haltungen (Gleichwertigkeit, Toleranz etc.), Kompetenzen (s.o.) und eine demokratische Selbstwirksamkeitserwartung zu entwickeln. Und wie in meinem letzten Beitrag über repräsentative und partizipative Demokratie schon kurz dargestellt, gibt es bereits ernst zu nehmende empirische Hinweise, dass im Beruf ausgeübte und weiter entwickelte Partizipation auch im zivilen Leben außerhalb der Arbeit vermehrt zur Verfügung steht. Aus unserer Sicht ziemlich augenscheinvalide[2].
Wie in diesem Beitrag sehr kurz angedeutet, hängen Klimakrise und mangelnde Partizipation bei der Gestaltung unserer Gesellschaft eng zusammen. Denn einerseits können wir die Klimakrise nur gemeinsam bewältigen. Sie ist viel zu komplex und länderübergreifend, als das Einzellösungen erfolgreich sein könnten. Außerdem entscheiden die gewählten Volksvertreter:innen viel zu oft nicht im Sinne aller Betroffenen, sondern präferieren lobbygetriebene Einzelinteressen. Deshalb braucht es mehr Partizipation. Und die können wir im Berufsleben deutlich verbessern.
Unser Angebot: Wir begleiten Organisationen dabei, ihre aktuell wichtigsten und dringlichsten sozial-ökologischen Probleme zu identifizieren und dann gemeinsam, partizipativ zu lösen (Mesoebene der Organisation). Sofern dort Defizite oder Herausforderungen bezüglich partizipativer Haltungen und Kompetenzen sichtbar werden, gehen wir die auf der individuellen Ebene an (Mikroebene). Last but not least erarbeiten die teilnehmenden Organisationen gemeinsam mit ihren Stakeholder:innen den Prozess wie auf organisationaler Ebene, nur dass es diesmal nicht nur um die Organisation geht, sondern um ihr Umfeld (Makroebene). Gemeinsam mit den Stakeholder:innen erarbeiten wir ein gewünschtes Zukunftsbild, identifizieren anschließend diejenigen Nachhaltigkeitsprobleme, die auf dem Weg dorthin gelöst werden müssen und setzen schließlich der Prozess zur partizipativen Lösung in Gang. Übrigens: Weil wir Freund:innen evidenzbasierter Arbeit sind statt wohlfeiler unbewiesener Beraterbehauptungen, wird Arbeit als Demokratielabor unser nächstes Forschungsprojekt – natürlich mit partizipativer Forschung!
Mit den ersten Interessenten sind wir im Gespräch. Melde Dich gerne, wenn Du mehr erfahren willst: kontakt@unternehmensdemokraten.de.
Herzliche Grüße
Andreas
Fußnoten
- [1] Ja, der Wirtschafts-“Nobel”Preis ist eine reichlich kritische Angelegenheit. Und doch kann und sollte die Preisverleihung an Ostrom als Meilenstein anerkannt werden.
- [2] Dazu auch hier nochmal der Hinweis zu dem Klassiker partizipativer Demokratietheorie von Carole Pateman, bereits 1970 erschienen: “Participation and Democratic Theory“. Pateman hat damit über fünf Jahrzehnte empirische Forschung ausgelöst und eine fortlaufende lebendige Debatte zu ihrer Spillover-These.
Literatur
- Dohmen, F. (2021): Die Milliarden Abzocke beim Strom. Spiegel 44/2021
- Evers, M. (2021): Der Moment, als die Menschheit falsch abbog. Spiegel+
- Ostrom, E. (2011): Was mehr wird, wenn wir teilen: Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. Oekom
- Shell (1988): The Greenhouse Effect. Shell Report Series HSE 88-001
- Smoltczyk, A. et al. (2021): Was ist uns die Rettung der Welt wert? Spiegel+
Bildnachweis
- Beitragsbild: ©Marek Piwnicki, unsplash lizenzfrei
- Elinor Ostrom: ©Holger Motzkau, CC BY-SA 3.0
- Ockenfels: Wikipedia, keine Autorenangabe, CC BY-SA 3.0
- Shell Logo: gemeinfrei
- Labor: ©nci, unsplash, lizenzfrei
Wichtiger Artikel zur richtigen Zeit. Man darf gespannt sein, wie die einzelnen Ampelphasen mit dem Thema umgehen.