Purpose. Versachlichung und die Gute Arbeit. (Teil 6)

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Die Blog-Reihe neigt sich dem Ende entgegen und es wird nochmal Zeit für die Betrachtung der Begrifflichkeit sowie um die Versachlichung sowie Verdichtung: Sinnorientierung im Zusammenhang mit dem Guten. Als Überblick lassen sich erstmal zentrale Absichten beschreiben, die von einer Vielzahl verfolgt werden, wenn Purpose thematisiert und zum Thema der Organisation ausgerufen wird:

  • Unterscheidbarkeit: Durch gesellschaftlich weitverbreitete Werte und deren Exploration die Marke stärken, sich abheben und den Grad der Angriffsfläche möglichst minimieren (bspw. durch Reaktion auf Nachhaltigkeit oder humane Umstände). (Vgl. Claßen und Von Kyaw 2018, 6)
  • Identifikation: Orientierung durch eindeutige Formulierungen und Ausrichtung nach dem Sinn und Zweck, für Führungskräfte aber auch für Mitarbeitende. Gleichzeitig auch um Engagement und benötigte intrinsische Ressourcen zu ermöglichen. (Vgl. Claßen und Von Kyaw 2018, 6)
  • Steuerungsinstrument: Sinn und Zweck als Steuerungsinstrumente für das große Ganze, bei welchem Entscheidungen sowie Vorgehensweisen durch den Sinn und Zweck legitimiert werden und nicht durch kleinteilige (Zwischen) Ziele. (Vgl. Fink und Moeller 2018)

Weiter schreiben die Autoren (Claßen und Kyaw 2018): „Planet, People, Profit bilden die Heilige Dreifaltigkeit der Gegenwart.“ (Dies., 7) und selbst Larry Fink, Blackrock Chef (dem größten Finanzinvestor weltweit), ruft aus, wenn Unternehmen dem gesellschaftlichen Ruf nach sozialen Zielen nicht nachkommen, werden diese auch den grundsätzlich anderen Zielen nicht näherkommen können. (Vgl. Fink 2019) Weiter schreibt Fink in seinem Brief an die CEOs der Welt:

„Purpose is not a mere tagline or marketing campaign; it is a company’s fundamental reason for being – what it does every day to create value for its stakeholders. Purpose is not the sole pursuit of profits but the animating force for achieving them.“ (Fink 2019)

Wie viel auf die Worte von Fink zu geben ist, überlasse ich mensch selbst. Die soziale Verantwortung ist ein Teil der Purpose-Begrifflichkeit, zumindest wird sie oftmals so verstanden. Inwiefern der Planet als auch die Menschen darunter subsumiert sowie berücksichtigt werden, ist hingegen eine individuelle Frage. Franziska Fink, Mitautorin von Purpose Driven Organziation, definiert Purpose folgendermaßen:

Purpose: beschreibt, was ein Unternehmen für andere tut – die Wirkung einer Organisation auf ihre Kunden, Mitarbeiter, die Gesellschaft oder den Planeten. Graham Kenny nennt es den „philosophischen Herzschlag“ der Organisation.“ (Fink 2017, 33)

Oder in Form einer anderen Annäherung, die nochmal deutlich zwischen dem Purpose der Organisation und dem individuellen Konzept unterschiedet:

„During a full day of onboard training for new employees, the CEO was asked to explain, firsthand, the purpose of the company. When he ended his talk, a young man raised his hand and said: “I love that I work for a company with a real purpose but, tell me one thing … what should my purpose be in this company?” The CEO was a bit surprised and visibly unsure on how to answer the question. The instructor of the training—a very wise man—took the floor and said: “Today the CEO has explained to you the company’s purpose, but for your purpose in this company …, that’s something you will need to discover for yourself.” (Rey et al. 2019, 3)

Rey et al. (2019) definiert Purpose folgendermaßen:

„Purpose represents an overarching commitment to society that includes broader aims, such as “making a difference,” or “improving lives,” or “reducing harm” and “[Purpose] acknowledges the interdependence of business and society— [as] one cannot flourish without the other.” Purpose is usually defined in short sentences or ideas that express the positive impact and legacy a company aims to leave on this world. Purpose is inspiring, helping companies go beyond their self-imposed limitations and strive for the seemingly impossible.“

Soviel nochmal zum Überblick, der Verdichtung sowie der Bandbreite dieser Purpose-Begrifflichkeiten. Oder wie ich zuletzt einen Beitrag auf LinkedIn kommentiert habe: „Gibt es überhaupt DIE EINE Purpose-Debatte? Ich sage nein. Es gibt nicht einmal DIE EINE Definition, was #Purpose ist, bedeuten kann oder in welche Bereiche dieser Purpose ausstrahlt …“.

Purpose, Sinn und Zweck als leere Begrifflichkeiten

Auch hier folgt die Definition einem Zusammenspiel aus Wirtschaft und Gesellschaft, wobei es darum geht einen Unterschied zu machen, etwas zu bewirken oder auch Schaden zu reduzieren. Dabei beschreiben die Autoren ein völlig neues Verständnis sowie eine völlig neue Logik von Managementkonzepten. Die alte Logik: „(…) evolves into the new logic of purpose, characterized by three main traits.“ (Dies., 6) Dabei ist die Rede von dem Zusammenspiel aus dem persönlichen Sinn, der Selbstorganisation und der Gemeinschaft, also der Organisation als Einheit. (Vgl. dies., 5f.)

Die Argumentation über den persönlichen Sinn läuft über die VUCA-Welt, welche Innenorientierung voraussetzt sowie Klarheit über die eigene Bedeutung. Durch die Unklarheit in der Organisation, stellt sich diese auch für die Frage nach dem Individuum, woraufhin die eigene Suchbewegung beginnt. Im Idealfall geschehen die organisationale als auch die persönlich, individuelle Suchbewegung parallel. (Vgl. dies. 7f.) Menschen, die sich selber durch persönlichen Sinn führen, für die schließt sich eine Steuerung, Kontrolle oder Form von äußerlich ausgerichteter Führung aus: „Being managed or controlled from the outside feels unnatural, and suboptimal to free and responsible individuals, and it deters their experience of meaningful and purposeful work.“ (Dies., 9) Nach diesen Definitionen gibt es keine klassischen Chefs, Vorgesetzte, Befehlsketten oder Befehle – Selbstorganisation wird hier also sehr rigoros verstanden. Im Hinblick auf die Einheit bzw. Gemeinschaft lassen sich mehrere Aspekte beschreiben, welche die Einheit charakterisieren: Ähnlich wie bei dem systemischen Ansatz, zählt jede Person und die Einheit spürt je mehr Individuen sich mit dem Purpose der Organisation verbinden. Gleichzeitig ist auch spürbar, wenn sich Individuen vom großen Ganzen abwenden. „Thus, fostering the development and connection of purpose within each individual greatly influences the capacity to generate organizational unity.“ (Dies., 10) Das Verständnis hinter dieser Einheit wirkt im Fall dieser Autoren gewöhnungsbedürftig, gleichzeitig drückt die Definition deutlich aus, worum es im Kern geht:

„(…) that unity cuts much deeper than alignment of goals and objectives, which one would expect in a group, or a corporation. Certainly, unity is related to a sense of teamwork, commitment, and collaboration – yes, these are, in part, signs of unity, but unity goes beyond this. Unity is achieved by shared connections at the level of purpose.“ (Dies., 10)

Durch die beschriebene Einheit, welche durch jedes Individuum entsteht und dafür auch jedes Individuum in gleichem Maße notwendig ist, ergibt sich mehr, was nicht nur mit der Summe aller Teile zu beschreiben ist. Diese gemeinsame Verbindung wird in der Regel durch die Begrifflichkeit der Emergenz beschrieben. („Der Emergenz verwandt ist der Begriff “Phasenübergang”, womit der Übergang zwischen einer bereits bestehenden Struktur in eine neue gemeint ist (griech. phasis = Erscheinungsform) (…)“ (Spektrum 2020)) Das Zusammenspiel aus allen drei beschriebenen Faktoren, zeichnet für die zitierten Autoren die s.g. purpose-driven organizaion aus.

Letztlich sind alle Begrifflichkeiten wie Purpose, Sinn und Zweck leer. Entscheidend ist die Frage der eigenen Interpretation. Eine allgemeingültige Definition ist daher nicht möglich, jedoch eine Annäherung und Aufklärung über die damit verbundenen Dimensionen sowie ein grundsätzliches Verständnis der gegenwärtigen Praxis. Purpose ist nicht mit Mission, Ziel oder Vision zu verwechseln. Die reine Definition der Zweckmäßigkeit ist ebenfalls nicht unter dem Begriff von Purpose zu verstehen. An dieser Stelle wird auf die Definition von Sinn verwiesen, welcher sich zu Beginn der Blog-Reihe gewidmet wurde. Claßen und Kyaw haben beispielhafte Fragen entwickelt, durch welche man sich dem s.g. Purpose als Organisation nähern kann, diese Fragen ermöglichen die Reflexion über weitere zugehörige Dimensionen:

  • „1 Wer sind wir? Was war unser einstiger Gründungszweck und ist bis heute unsere DNA geblieben? Wie sieht unser Wertekern im Jahr 2018 und zukünftig aus?
  • 2 Auf was müssten unsere Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten verzichten, wenn es unsere Produktangebote, Arbeitsplätze und unsere Nachfrage nicht mehr gäbe? Welche Anliegen und Probleme blieben ungelöst? Was wäre daran eigentlich schlimm, nicht für die Shareholder der Firma, sondern für deren interne und externe Stakeholder?
  • 3 Wieso ist es für die Gesamtbilanz von Mutter Erde besser, unsere Erzeugnisse zu erwerben, bei uns zu arbeiten beziehungsweise uns zu beliefern, als es nicht zu tun?
  • 4 Wie stellen wir sicher, dass wir unser Werteversprechen im Alltag halten? Was geben wir dafür bewusst auf, selbst wenn es „profitable growth“ verspricht, damit wir kein Vertrauen verspielen und als Heuchler dastehen?
  • 5 Bleibt unsere Positionierung bei einem künftigen Wertewandel anschlussfähig?“ (Claßen und Kyaw 2018, 7; Hervorhebungen PC)

Auch an diesen beispielhaften Fragen wird die Tiefe der Thematik deutlich. Es wird sowohl der Mensch, die Gesellschaft, die Erde und auch die Organisation vollumfänglich einbezogen. Purpose-Arbeit sollte nicht mit einem zweitägigen Positionierungsworkshop verwechselt werden, in welchem man am Ende in einem Satz darstellen und formulieren kann, wieso täglich getan wird, was getan wird.

Für Müngersdorff sind im Rahmen der Purpose-Auseinandersetzung von Organisationen zwei wesentliche Aspekte dominierend, dabei beschreibt er den ersten Aspekt mit „(…) „Purposekonzept“ als ein neues Motivations- und Bindungskonzept (..)“ (Müngersdorff 2020) und den anderen als Notwendigkeit „(…) sich gesellschaftlich verantwortlich zu zeigen (…)“ (ders.). Weiterhin nimmt er auch Bezug auf die Gleichsetzung von Sinn und Purpose, was durch die Ungenauigkeit der Konzepte oftmals passiert: „Die häufige Gleichsetzung von Sinn mit Purpose überhöht das Konzept. Purpose ist eher als Zweck, als Absicht, als Intention zu verstehen. Im wirtschaftlichen Kontext ist es eine von der Gemeinschaft des Unternehmens getragene Absicht, etwas zu erreichen. In unserem Kontext, etwas zum Wohl und der guten Entwicklung der Gesellschaft beizutragen.

Blickt man auf Purpose als Teil der Motivationskonzepte und der Anstrengungen, Mitarbeiter zu gewinnen, besonders auf die Gen Y und Z bezogen, dann geht es nicht mehr um die eine Absicht, den einen Purpose. Neben der inzwischen akzeptierten Notwendigkeit, dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen als ‚gut‘ wahrgenommen werden soll, wird es bedeutsam, wie das Unternehmen, Räume und Kontexte schaffen kann, in denen Mitarbeiter ihre je eigenen individuellen Absichten, Zwecke, Missionen und Bestimmungen leben können. Der Unternehmenspurpose bildet ein Dach für die Räume, in denen Menschen in den Worten von Viktor Frankl Sinn finden können. (Viktor Frankl: „Sinn muss gefunden werden, kann nicht erzeugt werden.“)“ (Ders.)

Dabei bezieht er sich bei seinen weiteren Ausführungen auf die Haltung der Generationen, welche mit dem Konzept von Purpose insbesondere angesprochen werden sollen. Mit Blick auf den Purpose als Motivationskonzept ist Müngersdorff kritisch und beschreibt dabei die Skepsis der Generation Y und Z im Hinblick auf Unternehmen, welchen mit einer sehr skeptischen Haltung entgegengetreten wird. Diese beziehen sich dabei eher auf den zweiten Aspekt, also auf die Herausforderung der gesellschaftlichen Verantwortung. Für Unternehmen stellt sich diese Verantwortung in Form von Innovation, Technik und Weiterentwicklung dar. Der Fridays-for-Future-Generation geht es hingegen um etwas anderes: „Hier geht es um die Rückgewinnung einer guten Erde, die vor allem durch Verzicht und in der Hinwendung an die Natur erreicht werden sollen.“ (Ders.) Sein Fazit hingegen ist deutlich: Bevor vorschnell mit einem Purpose geantwortet wird, welcher inhaltlich nicht den Anforderungen der Anspruchsgruppen erfüllt, handelt es sich dabei um eine viel größere gesellschaftliche Aufgabe, die sich die Frage nochmal anders stellt, in welcher Welt diese Gesellschaft überhaupt leben möchte und wie sich dahingehend Veränderungen von Systemen gestalten müssen, damit auch Organisationen und explizit Unternehmen passend reagieren können:

„Die jungen Generationen, da wo sie sich öffentlich ausdrücken, stehen dem zweiten Konzept näher – sie sind fortschrittskritisch. Unternehmen haben auf diese Stimmen mit einer schnellen Ergänzung ihres Purpose geantwortet und sich selbst zur Erhaltung der Umwelt, der natürlichen Mitwelt verpflichtet. Allerdings tun sie das auch in ihrer Haltung, sie formulieren eine technische Aufgabe. Es ist zu bezweifeln, dass das die jungen Generationen überzeugt.

Es wäre wohl zuerst die gesellschaftliche Aufgabe, einen begründeten Glauben an die Verbesserung der Lebensverhältnisse allen Lebens durch technischen Fortschritt herzustellen.“ (Ders.)

Die zuletzt genannte Verbesserung der Lebensqualität allen Lebens beschreibt den großen gesellschaftlichen Anteil, rund um das Thema der Sinnorientierung. An dieser Stelle lässt sich auch die Nachhaltigkeit anknüpfen und die grundsätzliche Frage nach einem guten, menschenwürdigen Leben für alle Menschen. Für die Bezugsebene Organisation lassen sich durch all die zuvor genannten Diskussionsaspekte die Purpose-Debatte versachlichen und durch die angeführten Bezüge sortieren. Dabei wurden sowohl nochmal gesellschaftliche Bezüge dargelegt als auch Zusammenhänge aufgeworfen, womit sich die Purpose-Auseinandersetzung beschäftigt, welche Bezüge sie einschließt und inwiefern auch unterschiedliche Organisationsstrukturen betroffen sind.

Sinnorientierung, Führung und die gute Arbeit

Der nächste Abschnitt betrachtet die Frage nach der guten Arbeit spezifischer und befasst sich dabei mit der Frage, durch welche Aspekte sich diese gute Arbeit in Organisationen fördern lässt. Das Gute ergibt sich dabei sowohl aus den Ergebnissen der individuellen Sinnbetrachtung als auch aus der Berücksichtigung des gesellschaftlichen Blickwinkels, bei welchem insbesondere die Frage nach der Verantwortung (Soziales, Kultur, Ökonomie, Ökologie) im Mittelpunkt steht. Die gute Arbeit ist also nicht von der gesamtgesellschaftlichen Frage nach dem guten Leben zu trennen, auch wenn in der gegenwärtigen Purpose-Auseinandersetzung häufig mit dem Zweck geantwortet und sich somit dem Sinn, im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung, entzogen wird. Für die gute Arbeit in Organisationen ist die Führung (auch unter- und miteinander – nicht oben/unten) als zentraler Baustein zu beschreiben.

Zwischen richtig und falsch oder aber zwischen dem Guten und Bösen, liegt viel Subjektivität. Im Kern handelt es sich dabei um Ethik sowie Moral und ist beispielsweise bei Immanuel Kant und seinem kategorischen Imperativ zu finden: „Handle [sic!] nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant 1977, 51) Dabei fasst Sprenger Kant und seine Ethik folgendermaßen zusammen und konkretisiert diese für die Führung von Mitarbeitenden:

„Diese Ethik verlangt von Ihnen, etwa einen Mitarbeiter genau so zu behandeln, wie Sie selbst behandelt werden möchten. Unabhängig davon, ob das dem Mitarbeiter gefällt oder nützt – es geht nur um Ihre Absicht. Mehr noch, dass Sie wünschen können, dass grundsätzlich alle Menschen so behandelt werden. Also: Haben Sie die Absicht, den anderen anständig zu behandeln? Wollen Sie Ihrem Mitarbeiter respektvoll begegnen? Ob der Mitarbeiter das dann auch als anständig erlebt, so Kants Argument, haben Sie ja nicht im Griff.“ (Sprenger 2015, 32f.)

Weiter ist für Sprenger entscheidend, was die Folgen entsprechender Handlungen sind. Der Fokus liegt hier entsprechend auf den Konsequenzen und dem Nutzenaspekt. Dieser Ansatz ist dabei sowohl sehr pragmatisch als auch an den tatsächlichen Konsequenzen orientiert. (Vgl. ders., 36) Dabei geht er weiter auf Organisationen ein und die damit verbundenen Führungsinstrumente:

„»Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.« Um die Berechtigung der Führungsinstrumente zu beurteilen, müssen wir ihre Wirksamkeit anschauen, nicht ihre Absicht. Dabei meine ich nicht einmal, dass sich ihr Nutzen messen lassen muss. Er muss allerdings spürbar, plausibel sein – und er muss sich rechtfertigen lassen gegen andere Argumente (zum Beispiel hohe Bürokratiekosten). Zudem ist oft völlig unklar, welcher und wessen Nutzen eigentlich gesteigert werden soll.“ (Ders., 36)

Mit diesen Ansätzen schafft Sprenger die Grundlage für die Frage nach dem anständigen Unternehmen. Als Grundlage dienen für ihn ebenfalls die gegenwärtigen Entwicklungen sowohl in der externen Sicht, also das Umfeld und die Märkte, als auch die Innenperspektive, die sich insbesondere auf die Unternehmensführung bezieht:

„Wir erleben ja gerade großformatig eine schöpferische Zerstörung im Schumpeter’schen Sinn. Die Veränderungen durch die Digitalisierung – Stichworte: Industrie 4.0, Internet der Dinge, Online-Handel, Big Data – fordern Unternehmen in historisch vorbildloser Weise heraus. Die innere Verfasstheit der Organisationen spiegelt diese Situation allerdings nicht wider. Vielmehr herrschen dort etliche Paralysen und Pathologien – vor allem das »Mehr vom Selben«: mehr, schneller und härter arbeiten, Silodenken und Reparaturintelligenz. Es fehlen vor allem die geistigen Voraussetzungen, um den zukünftigen Herausforderungen auch nur angemessen begegnen zu können.“ (Ders., 23)

Organisationen sind dabei die Hülle, in dessen Rahmen Menschen arbeiten und sich auch Wirtschaft konkretisiert: am jeweiligen Arbeitsplatz der Menschen. Dort wird einerseits viel Lebenszeit verbracht und andererseits besteht für viele Menschen das Leben und ihre persönliche Verwirklichung alleine in der alltäglichen Erwerbsarbeit (vgl. ders., 15) Zudem hat

„Arbeit (…) nicht nur die instrumentelle Funktion des Geldverdienens oder des Zeitvertreibs, sondern auch eine selbstprägende Funktion: Man prägt sein Selbst durch Arbeit. Am Arbeitsplatz macht der Einzelne Erfahrungen, die dann wieder über die Familie und Freunde, über das Wahlverhalten und über soziale Beteiligungsformen in die Gesellschaft hinein strahlen.“ (Ders., 15)

Dabei wird deutlich welche Bedeutung Arbeit auch für die Gesellschaft als Ganzes hat (nicht nur für die Rettung der Demokratie) und wie zentral dabei der Mensch ist, welcher als Faktor oftmals übersehen wird, jedoch seine Verpflichtung sehr zentral ist und der Mensch aufgrund dessen nicht völlig frei ist: „Die meisten Menschen müssen arbeiten. Man mag das aus unterschiedlichen Gründen bestreiten. Aber die Mehrheit der Menschen zerbricht sich morgens nicht den Kopf, ob sie nun arbeiten geht oder zum Golfplatz.“ (Ders., 16) Für Sprenger ist mit Anstand keine Warnung vor Gewinnen verbunden, im Gegenteil: Wirtschaftlichkeit ist dabei sehr zentral und fördert nach seiner Auffassung ein entsprechendes Konzept.

„Die ethische Forderung nach Anstand ist richtungsgleich mit der ökonomischen nach Innovation und Reduktion der Komplexität. Denn das anständige Unternehmen produziert 1.) keine Konformisten und 2.) keine unnötigen Transaktionskosten.“ (Ders., 18)

Die institutionellen Rahmenbedingungen sind für ihn dabei entscheidend: Wie wird kommuniziert? Welche Führungsinstrumente werden verwendet? Wie lassen sich Strukturen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden beschreiben? Sprenger macht in diesem Zuge deutlich: „Die institutionelle Demütigung [durch kontraproduktive sowie unmenschliche Führung] ist gesellschaftlich folgenreicher als unzivilisiertes Verhalten einzelner Personen.“ (Ders., 20f.)

Unternehmensführung und die Führung von Mitarbeitenden im Speziellen, ist also ein sehr zentraler Hebel für die Frage nach der guten Arbeit. Diese ist auch für die Frage entscheidend, inwieweit Fachkräfte an das eigene Unternehmen gebunden werden können und wie diese ein Gefühl der Zugehörigkeit empfinden können, was die Bindung an die Organisation unterstützt. Letztlich kombinieren sich an dieser Stelle – im Zusammenhang mit dem anständigen Unternehmen – die Frage nach persönlicher Kopplungsfähigkeit für den Einzelnen sowie die gesellschaftliche Verantwortung, die im Sinne der Führungsaufgaben übernommen werden. „Um Zugehörigkeit und Unternehmensbindung zu stärken, werden Führungskräfte kaum umhinkommen, ihr „Beziehungsverhalten“ von einem patriarchalisch-autoritären zu einem gleichberechtigten, partizipativen, konfliktbereiten und wertschätzenden Umgang umzuwandeln.“ (Schnell 2016, 160) Mitarbeitende wollen mehr und mehr als Gestalter oder zumindest als gestaltender Teil wahrgenommen und gesehen werden, dafür sind weiterhin, wie bereits im Zusammenhang mit der Führung über Sinn und Zweck, eigenverantwortliches Arbeiten und die Identifikation mit dem transzendenten Ziel obligatorisch (vgl. Rehwaldt 2017, 86ff.), auch für ein entsprechend individuelles Sinnempfinden als auch für die Möglichkeit der Kopplungsfähigkeit diesbezüglich. (Weiter lässt sich in diesen Zusammenhängen auch das Konzept der „Transformationale Führung“ betrachten. In diesem Konzept geht es auch insbesondere um Sinn und Werte, bei der Führung von Mitarbeitenden. (Vgl. Pelz 2016))

Purpose ist kein Mittel zum Zweck

Bei meiner persönlichen Betrachtung von Purpose, benötige ich Bezüge zur Philosophie, zur Nachhaltigkeitswissenschaft, zur Psychologie und auch zur Medizin, neben all den anderen und auf der Hand liegenden Wissenschaftsbereiche, die in diesem Bereich durchweg publizieren. Purpose ist ähnlich wie die Nachhaltigkeit für vier Bereiche zuständig: Das Soziale, die Kultur, die Ökologie und die Ökonomie. Es braucht eine Netzwerkstruktur, in welcher alle Bereiche gleichermaßen berücksichtigt werden. Bei Konzepten und dem Ruf nach Sinnorientierung geht es natürlich auch um pragmatische und ganz individuelle Aspekte. Es geht aber vielmehr um die Erde und unsere Kollektive in Summe. Und die Herausforderung ist dabei die zunehmend starke Entwicklung zum Individuellen, denn hier sind wir schon so weit, dass auch Medienschaffende und Journalisten in Fortbildungen dazu aufgefordert werden, ihre Marke zu etablieren und sich selbst als Marke zu (er)schaffen. Die Aufgabe der Gegenwart ist aber globalgalaktisch nicht die Kreation von noch mehr Marken – es ist vielmehr die Frage nach dem, was uns alle verbindet. Diese Verbindungen des Kollektivs und der Kollektive, ist letztlich die Kreation des Guten Lebens. Ohne Gutes Leben – keine Gute Arbeit. Dieses Gute Leben schafft die Grundlage für eine Sinnorientierung, in der sich die Erde mit all ihren Bewohnern wohlfühlen kann – nein, nicht bloß wohlfühlen – vielmehr überleben kann. Und wer diesen Ruf noch immer nicht verstanden hat, der darf den Tages-Workshop-Wir-Haben-Fertig-Purpose gerne weiter auf Flipcharts malen und über Netzwerke streuen. Denn zur Markenbildung ist er hilflreich.

In diesem Sinne: auf eine neue Woche voller “Wir-Haben-Noch-Nicht-Fertig.”
Paul Carduck für die unternehmensdemokraten

 

Literatur

Claßen, M., Von Kyaw, F. (2018): Purpose: Über den Sinn und Zweck, in: changement!, 06, S. 4-9.

Fink, F., Moeller, M. (2018): Purpose Driven Organizations: Sinn Selbstorganisation Agilität, 1. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Fink, F. (2017): Serie „Zukunft der Organisation“ – Teil 2 – Die Frage nach dem Sinn. In: personalmanager, 1/2017, S. 30ff.. Mannheim: HRM Institute GmbH & Co. KG. Auch [Online im Internet] URL: https://www.neuwaldegg.at/wp-content/uploads/dateien/1324_Fink_Die_Frage_nach_dem_Sinn_personal_manager.pdf [zuletzt abgerufen am 16.11.2021].

Fink, L. (2019): Purpose & Profit. [Online im Internet] URL: https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-ceo-letter [zuletzt abgerufen am 14.04.2020].

Kant, I. (1977): Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Band VII, Weischedel, W. (Hrsg.), 3. Auflage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Müngersdorff, R. (2020): Purpose? Purpose! [Online im Internet] URL: https://www.synnecta.com/purpose-purpose/ [zuletzt abgerufen am 18.05.2020].

Rehwaldt, R. (2017): Die glückliche Organisation. Chancen und Hürden für eine positive Psychologie im Unternehmen. Wiesbaden: Gabler.

Rey, C., Bastons, M., Sotok, P. (2019): Purpose-driven Organizations. Management Ideas for a Better World. Basingstoke (Hampshire, England): Palgrace Macmillan.

Sprenger, R. K. (2015): Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. München: DVA Sachbuch.

Schnell, T. (2016): Psychologie des Lebenssinns. Heidelberg: Springer.

Weiterführende Literatur

Bildnachweis

  • Beitragsbilder: Dimensionen Lebenssinn von Tatjana Schnell (Universität Innsbruck) – eigene Darstellung und eigenes Foto: unternehmensdemokraten / Paul Carduck

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