Purpose. Ist das Kunst oder kann das weg? (Teil 1)

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1.580.000.000 – das ist die Anzahl der Hits bei Google zum Begriff “Purpose” innerhalb von 0,38 Sekunden. Purpose ist in. Purpose ist hip. Wer als Unternehmen zeitgeistig sein will, strebt einen Purpose an. Aber was genau soll das eigentlich sein? Und ist Purpose ganz ohne schädliche Nebenwirkungen? Braucht jede Organisation ihren Purpose? Wie individuell kann ein organisationaler Purpose überhaupt sein? Wie normativ ist das Konzept ? Und was steckt eigentlich für ein Gerüst hinter dem Themenkomplex, welchen mensch sich in seiner Auseinandersetzung vergegenwärtigen sollte, um letztlich nicht verantwortungslose Erwartungen zu schüren oder in unerwartete Fallen zu treten?

„Purpose. Ist das Kunst oder kann das weg?“ ist eine 8-teilige Blog-Serie, welche mit diesem Beitrag beginnt. Nachdem ich in vielen Kundengesprächen auf Purpose angesprochen wurde, wir sowohl Virtuelle Workshops (VirtShops) als auch andere Möglichkeiten anbieten, um über diesen Begriff und das organisationale Konzept ins Gespräch zu kommen, wird diese Blog-Serie Stellung beziehen, o.g. Fragen beantworten, Denkräume eröffnen, Impulse liefern und den Zeitgeist in Form von wissenschaftlichen Ausführungen aufgreifen sowie gegenüberstellen.

In den nächsten Monaten werden auf diesem Weg verschiedene Beiträge veröffentlicht, dabei sind folgende Überschriften zu erwarten:

  • Purpose. Was ist Sinn? Herkunft und (moderne) Konzepte. (Teil 2) (Juni 2021)
  • Purpose. Die Bezugsebene Mensch. (Teil 3) (Juli 2021)
  • Purpose. Die Bezugsebene Gesellschaft. (Teil 4) (August 2021)
  • Purpose. Die Bezugsebene Organisation. (Teil 5) (September 2021)
  • Purpose. Versachlichung und die Gute Arbeit. (Teil 6) (Oktober 2021)
  • Purpose. Relevante Publikationen und Forschungsstand. (Teil 7) (November 2021)
  • Purpose. Fazit und Ausblick der Blog-Serie. (Teil 8) (Dezember 2021)
Diese Purpose-Reihe dient drei großen Absichten:
  • Der theoretischen, wissenschaftlichen Einordnung im Hinblick auf Begriffe, Herkunft und Aspekten, um sich mit dem Thema von Purpose und Sinn auseinanderzusetzen.
  • Weiter ermöglicht die Reihe durch Inhalte und gezielte Fragen zur Reflexion die eigene Auseinandersetzung, Abgrenzung und mögliche Prüfung zur Relevanz, für die persönlichen Wirkungsbereiche oder zur organisationalen Bedeutung.
  • Eine Einordnung des zeitgeistigen Konzepts für die mögliche Bedeutung einer Nachhaltigen Entwicklung: für Menschen, Organisationen und Gesellschaften.
Wozu diese Reihe nicht dient:
  • Sie ist kein Arbeitsinstrument, welches vereinfachte Antworten auf die großen Managementfragen ermöglicht.
  • Sie hat keinen Anspruch auf Ganzheitlichkeit oder Perfektion, sie ist vielmehr von Aspekten der Nachhaltigkeitswissenschaft geprägt und ermöglicht über diesen Weg andere, größere Betrachtungswinkel.
  • Sie wird selbst ernannten Purpose-Gurus oder eingefahrenen Denkern keinen Mehrwert liefern, denn die interdisziplinäre Auseinandersetzung argumentiert nicht eindimensional, sie hängt nicht an den Lippen von Wirtschaftstheorien und sie hat nicht nur Unternehmen, Kapital und vergemeinschaftende sowie personalpolitische Absichten im Fokus.

Schlüsselbegriffe der Auseinandersetzung

Die Schlüsselbegriffe für die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn bzw. der Sinnorientierung in Organisationen werden in diesem Teil der Serie näher betrachtet, um sich dadurch der Vielzahl an unterschiedlichen Begriffen sowie Ebenen zu nähern. Diese treten sowohl im englischen als auch deutschen Sprachraum mit unterschiedlichen Bedeutungen und Schwerpunkten auf. Die folgenden Ausführungen stellen die relevantesten Begrifflichkeiten nebeneinander, um sich dem gemeinsamen Verständnis im Zusammenhang dieser Ausarbeitung zu nähern: Sinnorientierung, Zukunftsfähigkeit, Organisation und Persönlichkeit.

Sinnorientierung

Der Begriff der Sinnorientierung bezieht sich auf unterschiedliche Bezugsebenen und muss dadurch näher betrachtet werden. Auf der individuellen Seite die Sinnerfüllung im Leben des Individuums (Sinn; meaning). Auf der organisationalen Seite, auf einer inhaltlichen und sachlichen Ebene, brauchen Mitarbeitende die Sinnfrage als Kompass zur Navigation und zur Orientierung ihres alltäglichen als auch strategischen Handelns in Organisationen (Zweck; purpose), so zumindest die oft gelesene und vernommene Darstellung in der aktuellen Diskussion. Diese Aspekte zahlen schon auf eine grundsätzliche Einteilung in zwei unterschiedliche Bereiche ein: Es sind sowohl der individuelle Sinn als auch der organisationale Sinn/Zweck voneinander zu unterscheiden und abzugrenzen. (Vgl. Fink et al. 2018)

Sinnorientierung ist also nicht gleich Sinn. Durch die spätere Definition der Begrifflichkeit wird deutlich, wie sehr es sich dabei um eine menschliche Konstruktion handelt, die nicht auf die juristische Form eines Unternehmens oder einer Organisation zu übertragen ist. Sinnorientierung ist hingegen eine andere Form und Ausprägung, die durchaus auch strategisch besetzt und von juristischen Einheiten – als Synonym für die Gruppe von Menschen, die diese Einheiten steuert – verfolgt werden kann. Zudem möchte ich durch die bezeichnete Sinnorientierung deutlich machen, dass es sich dabei nicht um eine endgültige Form und Ausprägung handelt, die konsumiert oder erworben werden kann. Der Sinn ist eben kein Konsumobjekt, es ist vielmehr eine lebendige Konstruktion, die voller Leben und Lebendigkeit steckt, veränderbar ist, angepasst werden muss und nur für gegenwärtige Momente beantwortet werden kann. Dennoch gilt: Ausschließlich Menschen können einen Sinn konstruieren, Organisationen können sich jedoch anhand dieser daraus resultierenden Werte und dem Zweck orientieren. Entsprechend ergibt sich die Sinnorientierung durch die Zugehörigkeit der Systemelemente und deren gemeinsame Definition oder Haltung zum Ganzen. Hinter der Sinnorientierung im organisationalen Kontext steckt der Gedanke der Sinn-kopplung (im Sinne von Verknüpfung – erstmals gelesen bei Gebhard Borck), an welchem sich mensch orientieren, fokussieren und ankoppeln kann. Die Orientierung meint dabei das dominierende Bewusstsein der organisationalen Ausrichtung als auch die wahrgenommenen und konkreten Bezüge, nach welchen sich das Denken und Tun der Organisation richtet. Erst durch die handelnden sowie denkenden Menschen in einer Organisation ist diese Form der Orientierung möglich und somit bezieht sich dieser Aspekt wieder auf die Menschen und nicht auf das leere Konstrukt der Organisation, dem keinerlei eigenen Bewusstseinsfähigkeiten zugeschrieben werden können.

Zukunftsfähigkeit 

Durch die unterschiedlichen Bezugsebenen Mensch, Organisation und Gesellschaft, die jeweils ganz unterschiedliche Zusammenhänge und Strukturen berücksichtigen, ist eine gesamtheitliche, allgemeingültige Definition von Zukunftsfähigkeit herausfordernd. In erster Linie wird unter der Begrifflichkeit die Fokussierung auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDG) verstanden. Hinsichtlich Ziel 3 Gesundheit und Wohlergehen sowie durch Ziel 8 Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum leistet sowohl diese Ausarbeitung als auch die gesamte Thematik einen entsprechenden Beitrag. Weiterhin wird auch mit dem Konzept der Nachhaltigkeit die Zukunftsfähigkeit im Sinne dieser Arbeit begründet.

Gleichzeitig geht es im Hinblick auf Organisationen auch um die wirtschaftliche Frage des Überlebens. In welchem zukünftigen Wirtschaftssystem auch immer wird durch den gegenwärtigen und flächendeckenden Kapitalismus (in dem dieser als auch der Materialismus immer weiter und verstärkt in Frage gestellt werden), der Aspekt der Wirtschaftlichkeit eine erhebliche Komponente sein. Die grundsätzliche Absicht von Unternehmen kann allgemein als Umsatz- und Gewinnerzielungsabsicht beschrieben werden, jedoch stellt sich dabei die entscheidende Frage: Ist diese Ausrichtung Mittel oder Zweck? Die hier gemeinte Zukunftsfähigkeit kombiniert also sowohl Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung als auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit im weiteren Sinne.

Andreas Reckwitz und seine Singularitäten zum Frühstück

Durch die Tatsache, die Privat- und Arbeitsidentität zunehmend nicht mehr eindeutig voneinander getrennt betrachtet zu können (vgl. Schnell 2016: 168 und Reckwitz 2017: 218), überträgt der Mensch als (angenommen) natürlicher Sinnsucher sein Privatleben auch in den Kontext der Erwerbstätigkeit. Dabei wird der persönliche Sinn auch Teil der organisationalen Zukunftsfähigkeit.

Organisation als Begrifflichkeit und betroffenes (Sozial-) System

Im Sinne meiner Ausarbeitung meint der Begriff der Organisation sowohl (Nicht-) Regierungsorganisationen, Unternehmen als auch Non-Profit-Organisationen. Dabei stehen sozio-technische Systeme im Fokus, die einen organisationalen Charakter aufweisen. Bei der charakteristischen organisationalen Struktur werden zentrale Steuerungselemente insbesondere durch das Management und die Unternehmensführung verstanden.

Im Hinblick auf die theoretische Auseinandersetzung mit der Organisation wird auf die umfassenden Grundlagen der Organisationstheorie verzichtet. Der Vollständigkeitshalber nun noch die wichtigsten Theorien und Ansätze: Auf der Mikroebene (Individuum als Organisationsbestandteil) ist dabei die Rede von dem Taylorismus, der Managementlehre, dem Human-Relations-Ansatz und von verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorien, die an dieser Stelle ausführlicher betrachtet werden könnten. Auf der Mesoebene (der Organisation im großen Ganzen) ist dabei die Rede von Max Weber und seinen Ansätzen zur Bürokratietheorie, der Kontingenztheorie, dem Neoinstitutionalismus als auch von der institutionenökonomischen Theorie. Die weitere Auseinandersetzung mit diesen Theorien ermöglicht ein tieferes Verständnis für das Bestehen als auch das Funktionieren von Organisationen, zudem werden in Organisationstheorien auch Aussagen über den Zweck sowie das Entstehen von Organisationen formuliert. An dieser Stelle werden organisationstheoretische Zusammenhänge beschrieben, die im direkten Zusammenhang stehen zur Frage nach dem Sinn bzw. der Sinnorientierung in dem Sozialsystem Organisation. Zunächst liefern Erkenntnisse aus der Soziologie ihren Beitrag, um sich der Frage zu nähern, inwiefern Organisationen als Sozialsysteme etwas mit Sinn und Sinnorientierung zu tun haben können, sollen oder sogar müssen.

Für den Soziologen Niklas Luhmann, der durch seine Systemtheorie beachtliche und oftmals zitierte Werke geschaffen hat, ist Sinn im Fokus, wenn es um die Konstitution von sozialen Systemen geht. Zusammenfassend: „Sinn ist punktualisierter Ausdruck für Komplexität, ist Reduktion und Erhaltung zugleich und genau dadurch für Systembildung adäquat, daß die Totalität des Möglichen nicht aufgegeben, aber rekonstruiert wird als dies(-und-anderes): als Selektion von Relevanz.“ (Luhmann 2017: 88) Nach seiner Auffassung geht es dabei nicht um die Vernichtung von unbestimmten Einheiten und Elementen, vielmehr um die Handlungsfähigkeiten von komplexen Strukturen, die durch den Fokus auf die Relevanz ermöglicht wird. Auch im Zusammenspiel mit dem Innen und Außen, also der „(…) System/Umwelt-Beziehung (…)“ (ders.: 69) wird Sinn deutlich als etwas, was auf das Systemelement selber als auch auf etwas anderes verweist (wie bei Frankl), was außerhalb des betrachteten Systems liegt. „Es ist die Selbstbezüglichkeit des Sinns, durch die wiederum Selektion, also die Einschränkung der Kontingenz [= im Sinne von nicht unmöglich und nicht notwendig] und damit Ordnung möglich wird.“ (Stegmaier 2011: 22) Durch die Selektion von Relevanz wird die nötige Passung ermöglicht, die dann wieder Ordnungen als auch Strukturen schaffen kann, um Orientierung und dadurch wieder Handlung zu ermöglichen. Die jeweils relevanten Sinndimensionen grenzen somit das jeweilige System zur Umwelt ab, Sinngrenzen werden dadurch zu Systemgrenzen und vermitteln sich innerhalb als auch nach außen, durch zentrale Fähigkeit zur Kommunikation (durch welche Systeme auch – nach Luhmann – zu Sozialsystemen werden).

Weiter verweist Luhmann durchweg auf das Verhältnis von möglichen Aspekten (in der Umwelt) zu wirklichen Aspekten (im betrachteten System), die für den Moment die entsprechende Relevanz aufweisen (vgl. Luhmann 2017: 94). Dabei beschreibt er Sinn als „(…) Bezugspunkt von Interpretationen, die ihrerseits als bestimmende Aneignung durch ein Subjekt begriffen werden.“ (Ders.: 90) Durch diesen Bezugspunkt im Kontext von Komplexität, Ordnung, Relevanz, Struktur und Selektion zeigt Luhmann die Möglichkeit der besseren Komplexitätsbewältig, sowohl für das System als Ganzes als auch für die jeweiligen Systemelemente. Diese Elemente haben bspw. im Sozialsystem Organisation eine gemeinsame Ausrichtung, nach welchen entsprechende Handlungen vorgenommen werden müssen, indem Möglichkeiten sowohl im Hinblick auf Relevanz als auch Ordnung (oder Priorität) abgrenzbar sowie sortierbar sind. Somit kann Sinn als Steuerungsparameter in sozialen Systemen beschrieben werden durch die essentielle Orientierungsfunktion (vgl. Luhmann 2017: 99). Auch damit ist Sinn nicht bloß im Themenfeld der Philosophie und Psychologie von Relevanz, sondern auch in der Soziologie, welche sich u.a. mit der Konstitution von sozialen Systemen auseinandersetzt.

Organisationen und der Prozess der Sinnorientierung

An dieser Stelle noch konkreter: Wenn Sinnorientierung und Sinnfindung als Prozesse beschrieben werden können, die auf der Seite der Individuen verortet sind, stellt sich die Frage, was Organisationen mit dem Prozess der Sinnorientierung zu tun haben oder inwiefern Organisationen ihren Teil dazu beitragen können. Das „Konsortium Purpose“, der KU Gestaltungsgesellschaft mbh (Kreatives Unternehmertum), bestehend aus Experten der Purpose-Praxis, Forschern (Institut für Customer Insight der Universität Sankt Gallen) und auch Unternehmen, hat sich genau diesen Fragestellungen gewidmet. Das Konsortium hat sich u.a. durch ein einjähriges Forschungsprojekt der Frage sowie möglichen Lösungsansätzen gewidmet, inwiefern sinnstiftende Arbeitsumfelder gestaltet sowie entwickelt werden können. Zunächst als eines der Ergebnisse, die durch das Konsortium formuliert wurden, können drei Voraussetzungen für Unternehmen (Organisationen, Sozialsysteme) beschrieben werden:

  1. „Sinn wird immer subjektiv und individuell wahrgenommen, darum können Organisationen lediglich „einladen und anbieten“. (Kreatives Unternehmertum 2018 nach Hans A. Wüthrich)
  2. Sinnerfüllung ist ein menschliches Bestreben, daher sollten Organisationen den Fokus auf „Potentialentfaltung“ und nicht auf „Ressourcenoptimierung“ richten. (Ders.)
  3. Die Realisierung der Sinnstiftung in Organisationen kann nur durch „Experimente“ und neue Erfahrungen gelingen.“ (Ders.)

Bei diesen Voraussetzungen geht es noch um keinen inhaltlichen Aspekt, nur um ein förderliches Rahmenwerk, um eine Haltung gegenüber der Thematik als auch um eine verständigende Form der Ausrichtung zu ermöglichen. Von Seiten des Kreativen Unternehmertums lassen sich folgende drei Beispiele nennen, um Möglichkeiten, Unterschiede sowie Ausprägungen, konkret zu untermauern:

„Bei JaKo gelingt dies zum Beispiel durch das Einräumen von persönlichen Freiheiten („Bei uns hat jeder Mitarbeiter die Chance alles zu werden“), beim SC Freiburg über eine starke Gemeinschaft („Wir wollen den Menschen eine zweite Heimat geben“) und bei Viva con Agua mithilfe des gesellschaftlichen Auftrags „Wasser für alle“.“ (Kreatives Unternehmertum 2018)

Zudem werden folgende weitere Ansatzpunkte erwähnt, durch die Prozesse rund um Sinn und Sinnorientierung strukturell unterstützt werden können: durch die Möglichkeit der Arbeitnehmer, Anteile am Unternehmen zu halten (siehe auch Verantwortungseigentum im Verlauf der Arbeit); Mitarbeiter bekommen Förderer zugewiesen, um eine stärkenorientierte und persönliche Weiterentwicklung zu ermöglichen; wissensbasierte Entscheidungen sollen nicht auf Basis von Hierarchien getroffen werden; Führungskräfte von der Belegschaft wählen lassen und zwar auf Zeit; Haltung (im Sinne des persönlichen Bewusstseins) als Einflussfaktor auf die eigene Empfindung von Purpose. (Vgl. Kreatives Unternehmertum 2018)

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, wie Organisationen an sich nicht als Sinnträger beschrieben werden und dabei dennoch einen erheblichen Teil zu Prozessen sowie Strukturen der Sinnorientierung beitragen können und dies, im Sinne der Sinnorientierung, als Faktor für die Zukunftsfähigkeit von Organisationen auch müssen. Soweit erst einmal als kleiner Ausflug dazu.

Persönlichkeit und Mensch als betroffenes Subjekt

Dimensionen Lebenssinn von Tatjana Schnell (Universität Innsbruck) – eigene Darstellung und eigenes Foto

Wie ich mit diesen Ausführungen bisher hoffentlich verdeutlichen konnte, bezieht sich die Frage nach dem Sinn und dessen individuelle Beantwortung auf den Menschen, der erkenntnistheoretisch als Subjekt dieser Auseinandersetzung beschrieben werden kann. Die Begrifflichkeit Subjekt findet sich in vielen Wissenschaften und lässt daher keine eindeutige Definition zu. Im Sinne dieser Ausarbeitung bezieht sich Subjekt jedoch auf die Charakteristik des menschlichen Wesens: der Mensch mit seinem Selbst-Bewusstsein, mit seiner Autonomie sowie der damit verbundenen Freiheit im Hinblick auf Entscheidungen sowie Handlungen. Bereits an dieser Stelle unterscheiden sich durch die folgenden Positionen, ob und inwiefern der Mensch wirklich frei ist. Die folgende Darlegung schafft den Rahmen und das Verständnis für den Blick auf den Menschen, für die Grundannahmen des Menschenbildes, ebenfalls nur im Sinne dieser Arbeit.

Die Psychologie unterscheidet im Hinblick auf die Persönlichkeit drei große Strömungen der Persönlichkeitstheorien, bei welchen sich die Ausführungen jeweils skizzenhaft auf das Menschenbild konzentrieren:

I. Das Menschenbild der Psychoanalyse nach Freud
II. Das Menschenbild des Behaviorismus nach Watson, Pawlow und Skinner
III. Das humanistische Menschenbild nach Rogers und Maslow

Entscheidend für die Frage nach dem Sinn ist insbesondere die Frage nach der Sicht auf den Menschen. Aus diesem Grund werden die Persönlichkeitstheorien im Hinblick auf deren einhergehende Menschenbilder betrachtet. Durch den Fokus dieses Beitrags gehe ich auf diese Theorien nicht näher ein. Durch die Menschenbilder sind entsprechende Perspektiven sowie unterschiedliche Aussagen möglich: hinsichtlich der Sinnhaftigkeit, der Existenzgrundlage sowie über den zugeschriebenen Wert des Menschen.

Zu I. – Psychoanalyse nach Freud

Das Menschenbild nach Freud und nach der Psychoanalyse, begründet um 1896 (DPV 2020), führt das Verhalten des Menschen auf Instinkte und Triebe zurück, die angeboren bzw. biologisch bestimmt sind. Die Persönlichkeit des Menschen ist entsprechend vorbestimmt. Dabei stehen im Fokus der Betrachtung sowohl der Sexual- als auch der Aggressionstrieb des Menschen. Kurz: Der Mensch als vorbestimmtes Wesen, ohne wirklichen Spielraum für eine eigene, unbestimmte Entwicklung. (Vgl. Galling-Stiehler 2017: 33ff.)

Zu II. – Behaviorismus

Der Behavirosmus wurde durch die Veröffentlichung Psychology as the Behaviorist views it im Jahre 1913 begründet. Das menschliche Verhalten wird hier auf die Umwelt zurückgeführt, Ursachen für das Verhalten der Menschen sind also nicht innerlich verortet. Der Fokus dabei liegt auf Objekten und auf die von diesen ausgehenden Reizen. Innere Strukturen, Gedanken oder Motive finden sehr wenig bis (meistens) keine Beachtung, jedoch werden diese Dynamiken nicht grundlegend verleugnet. Im Kern geht es hier also um die Anpassung an die Umwelt, durch das altbekannte Konditionieren, soll richtiges Verhalten erlernt sowie vermittelt werden. Kurz: Der Mensch als Wesen, welches von der Außen- und Umwelt bestimmt wird. (Vgl. Kray 2019: 18f.)

Zu III. – Humanistische Psychologie

Die humanistische Psychologie, die 1962 begründet (Association for Humanistic Psychology) wurde (vgl. Hinte 1980: 48), liefert somit das jüngste Menschenbild und kann als Gegenbewegung zu I. als auch II. betrachtet werden. Der humanistische Blick auf den Menschen ist insbesondere durch die Zuschreibung der Individualität geprägt, weiter besitzt er die Fähigkeit sein Leben auch entsprechend – im Gegensatz zu den erst genannten Ansätzen – selbst und frei zu gestalten, dem Leben entsprechende Ziele zuzuschreiben als auch für die eigene Definition von Sinnhaftigkeit zu sorgen. In der Gemeinschaft solidarisch als auch verantwortlich zu wirken, gehört ebenfalls zu dem Menschenbild. Der Dreiklang Seele, Geist und Körper wird dem Menschen in seiner Ganzheitlichkeit zugeschrieben und wird somit nicht fragmentiert betrachtet. Weiterhin ist der Mensch im Grundsatz als gutes Wesen zu betrachten. (Vgl. ders.: 48f.)

Für das humanistische Menschenbild ist die Individualität zentral, als auch die Eigenständigkeit sowie das Verlangen nach der Antwort auf die Sinnfrage. An dieser Stelle kann an dem Bewusstsein des Menschen angedockt werden, was als Kern von Sinnprozessen beschrieben werden muss. Ohne ein freies Bewusstsein lässt sich der Sinn des eigenen Lebens sowie der damit verbundenen Handlungen nicht individuell gestalten. Durch die zentrale Stellung des Bewusstseins lässt sich hier auch die Organisation abgrenzen, die an sich nicht Sinn kreieren, stiften oder auch nicht auf die orientierungslose Frage nach dem Sinn antworten kann. Die Organisation selbst hat kein Bewusstsein. Antworten kann nur der Mensch, mit und durch sein Bewusstsein. Von ihm gehen also auch Orientierungsprozesse aus, er ist dabei sowohl aktiver Gestalter als auch alleiniger Gegenstand der damit verbundenen Verantwortung.

Der Fokus meiner Ausarbeitung ist keineswegs ausschließlich die persönliche Sinnorientierung und die Frage nach dem Lebenssinn. Vielmehr orientiert sich meine Ausarbeitung an der Sinnorientierung als Faktor für die Zukunftsfähigkeit von Organisationen. Dabei wird Sinn auch nicht isoliert als Summe der Sinndefinitionen aller Systemelemente verstanden, vielmehr geht es dabei um die Einbettung des Individuums in das Kollektiv, um die Einbettung des Kollektivs – im Sinne einer Organisation – in das große Ganze (Gesellschaft, Planet, Erde). Was sich hinter dem großen Ganzen versteckt, habe ich damit bereits angedeutet: Dabei fokussiere ich den Zusammenhang zwischen einer nachhaltigen Entwicklung und der Nachhaltigkeitswissenschaft, als Konzept einer langfristig und gesunden Grundlage des Lebens. Dabei sei auf die Erde und Welt verwiesen, als Lebensraum für Gesellschaften und den Menschen als Individuum:

„Wer sinnorientiert lebt, hat zwangsläufig den übergeordneten Zusammenhang im Blick. Wer Sinn sucht, fragt nach dem Warum. Und wird so immer wieder auf Dissonanzen und Ungerechtigkeiten stoßen, die mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen einhergehen.“ (Schnell 2016: 175)

Das Große und Ganze im Blick zu haben, wie es Schnell auf den Punkt bringt, bedeutet für mich jedoch  nicht, dieses Ganze sei automatisch ethisch integer und es handelt sich dabei um ein gemeinwohlorientiertes, zukunftsfähiges, gutes Leben für alle. Wer sinnorientiert lebt, hat per Definition zwar automatisch ein übergeordnetes und größeres Bild im Blick, dieses sagt jedoch noch nichts über die Qualität und Richtung seines normativen Konzeptes aus. Wer Sinn sucht, nach dem Warum fragt und die Antworten lebt, entspricht dadurch nicht einem wünschenswerten Bild eines zukunftsorientierten Menschen und Weltenbürger*in. Nachdem sich die nächste Publikation den Definitionen und Sinn-Konzepten widmet, wird es bei der weiteren Betrachtung, insbesondere von den unterschiedlichen Bezugsebenen Mensch, Organisation und Gesellschaft, um genau diese aufgeworfene Frage gehen: Was bedeutet der übergeordnete Zusammenhang letztlich? Dies muss im Verlauf noch ausdifferenziert werden.

Fakt ist und von Fakten kann in der Debatte wirklich wenig die Rede sein: Wer Sinn sucht, nach dem Warum fragt und die Antworten lebt, ist nicht automatisch ein Gutmensch. Und wer sich als Unternehmen selbsternannt mit einer Purpose-Plakette auszeichnet, entspricht nicht per se einem gesunden, nachhaltigen (mit gleichwertigem Blick auf die Säulen Ökologie, Ökonomie, Soziales, Kultur) und gemeinwohlorientierten System. Muss und sollte Sinnorientierung mit diesen Bedingungen einhergehen? Meiner Auffassung nach ja – ohne wenn und aber. Und wenn nicht, gleicht die Auseinandersetzung bloß einem Versuch, einer Annäherung oder im schlimmsten Falle einer bewussten Ablenkung.

Herzlichst zum Start in die neue Woche!
Paul

Aktuelle Veröffentlichungen und Beiträge zum Thema (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

managerSeminare 279: Purpose post Corona: Durchbruch für den Sinn?

GoodJobs: Der Purpose Mythos – Warum die Suche nach dem Sinn dich daran hindert, ihn zu finden

Der Purpose vor dem Sieg

Quellen

Fink, F., Moeller, M. (2018): Purpose Driven Organizations: Sinn Selbstorganisation Agilität, 1. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Galling-Stiehler A. (2017): Das Menschenbild der Psychoanalyse nach Sigmund Freud, in: Tagtraumhaftes Heldentum, Wiesbaden: Springer, S. 33-78.

Hinte, W. (1980): Humanistische Psychologie, in: Non-direktive Pädagogik. Studienbücher zur Sozialwissenschaft, 41, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 48-73.

Kray, J. (2019): Entwicklungspsychologie. Ein Überblick für Psychologiestudierende und -interessierte. Berlin: Springer Verlag.

Kreatives Unternehmertum (2018): Sinn als die Währung der Zukunft. Resonanz-Werkstatt. [Online im Internet] URL: https://kreatives-unternehmertum.com/einblicke/konsortium-purpose [zuletzt abgerufen am 30.03.2020].

Luhmann, N. (2017): Systemtheorie der Gesellschaft. Schmidt, J., Kieserling, A. (Hrsg.). 1. Auflage, Berlin: Suhrkamp.

Reckwitz, A. (2017): Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Suhrkamp.

Schnell, T. (2016): Psychologie des Lebenssinns. Heidelberg: Springer.

Schnell, T. (2016): Psychologie des Lebenssinns. Heidelberg: Springer.

Stegmaier, W. (2011): Niklas Luhmann als Philosoph, in: Gansel, C. (Hrsg): Systemtehorie in den Fachwissenschaften. Göttingen: V&R unipress.

Bildnachweise

Beitragsbilder: Dimensionen Lebenssinn von Tatjana Schnell (Universität Innsbruck) – eigene Darstellung und eigenes Foto: unternehmensdemokraten / Paul Carduck

Weiterführende Literatur im Kontext der unternehmensdemokraten

Purpose. Ist das Kunst oder kann das weg? Eine Selbstpositionierung.

Tacheles reden! #01: Purpose. Eine Mode mit schädlichen Nebenwirkungen?

Purpose Kritik von Stefan Kühl. Eine Replik

Im Dialog: Purpose liegt im Menschen, nicht in Organisationen

Otto Dialog: Purpose und Handlungsvielfalt

Im Dialog: Der Einfluss von Purpose auf die Handlungsvarianz von Organisationen. Teil 1

Im Dialog: Der Einfluss von Purpose auf die Handlungsvarianz von Organisationen. Teil 2

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