Corporate Political Responsibility: Stand und Ideen

IMG_7105

Corporate Political Responsibility: Im Mai 2022 thematisierte ich das erste Mal bei uns im Blog die Corporate Political Responsibility (CPR). Seit dem ist viel passiert, inklusive der unsäglichen neonazistischen Deportationsplänen der AfD und ihrer Sympathisanten und Unterstützer:innen. Letzte Woche veröffentlichte ich bei uns eine Kritik zum Trittbrettfahrerproblem der DeportationsAffäre. In diesem Beitrag fasse ich wichtige Ergebnisse des Monitor Unternehmensengagement 2022 zusammen und schlage anschließend mögliche Maßnahmen vor.

Es ist aus drei Gründen wichtig, einen Blick auf die unternehmerische Wirklichkeit zur CPR zu werfen: Erstens, um überhaupt halbwegs seriös einschätzen zu können, wieviele und welche Unternehmen etwas tun. Zweitens sollten wir wissen, wofür sie sich einsetzen und drittens was ihre Motivation dabei ist. Gerade in der aktuell entbrannten Diskussion um die CPR gibt es sowohl in Zeitungen und Zeitschriften als auch in sozialen Medien wie LInkedIn recht verschiedene Einschätzungen über diese drei Aspekte. In diesem Beitrag werde ich nicht mehr argumentieren, warum wir dringend eine ernsthaft gelebte CPR brauchen und warum die seit Jahrzehnten kolportierte Meinung, Ökonomie und Politik seien getrennte Sphären und Unternehmen haben sich aus Politik rauszuhalten, ziemlicher Unsinn ist (vgl. Zeuch 2022). Der Gipfel dieser Position war in LinkedIn zu lesen, wo ein Unternehmer die CPR in die Nähe faschistoiden Verhaltens brachte.

Bevor ich mich der Studie zuwende noch eine Anmerkung: Der Monitor Unternehmensengagement widmet sich nicht explizit der CPR. Der Begriff taucht nicht einmal auf. Trotzdem glaube ich, dass diese Studie wertvolle Hinweise liefert, um die CPR in ihrer praktischen Wirkung besser einschätzen zu können. Denn selbst in einer der aktuellen umfassenderen Veröffentlichungen zu CPR (Bohnen 2021) finden sich keine Studien, bei denen die Umsetzungen und Wirkungen von CPR untersucht wurden. Somit verstehe ich den Blick in den Monitor Unternehmensengagement als einstweilige Hilfestellung.

Studiendesign und -ergebnisse

Corporate Political Responsibility: Studienbericht über unternehmerisches EngagementDer Monitor Unternehmensengagement untersucht drei Themenfelder: Das gesellschaftliche Engagement, die Bezugnahme auf die Sustainable Development Goals und der Einsatz von nichtfinanzieller Berichterstattung. Es geht in ihm nicht explizit um CPR, allerdings liefert die Untersuchung Hinweise dafür, zumal CPR unter dem breiteren Begriff des unternehmerischen Engagements subsummiert werden kann. Insofern betrachte ich den Monitor als aktuelles Indiz für die Bedeutung der CPR. Die Untersuchung wird als repräsentative Umfrage seit 2018 durch das Bundesministerium des Inneren, Zivilgesellschaft in Zahlen im Stifterverband und der Bertelsmann Stiftung erhoben.

Bislang hat es vier Wellen gegeben: 2018 wurden insgesamt 7279 Unternehmen befragt, 2020 brach die Stichprobengröße erheblich ein (März N=477, November N=689). 2022 wurden wieder deutlich mehr Unternehmen befragt (N=1803). Zudem gab es im Januar 2021 die Ausgabe DAX40, bei der exakt die Hälfte dieser börsennotierten Unternehmen in die Stichprobe eingingen. “Die Größenklassen der KMU Statistik werden in Anlehnung an die Empfehlung der Europäischen Kommission (2003/361/EG) aus einer Kreuzkombination von Umsatz und der Zahl tätiger Personen gebildet. Bei KMU wird zwischen Kleinstunterneh­men (bis 9 Beschäftigte und bis 2 Millionen Euro Umsatz), kleinen Unternehmen (bis 49 Beschäftigte und bis 10 Millionen Euro Umsatz) und mittleren Unterneh­men (bis 249 Beschäftigte und bis 50 Millionen Euro Umsatz) unterschieden. Zu den Großunternehmen zählen Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten oder über 50 Millionen Euro Umsatz.” (Lenssen et al. 2022: 40)

Ergebnisse

Die wichtigsten Motivationen für das gesellschaftliche Engagement sind mit Abstand einen “Beitrag für die Gesellschaft leisten”. Das gilt für 75% aller Unternehmen und für 85% der Großunternehmen. Danach folgen “Mitarbeitenden-Bindung” mit 59 bzw. 73%, und die “Arbeitgeberattraktivität” (52/81%) sowie die unternehmerische Reputation mit 51 bzw. 70%.

Die Formen des Engagements verteilten sich in den Spitzenplätzen wie folgt: 87% waren Geldspenden wie Unterstützungen von Vereinen (gelegentlich oder regelmäßig zusammengefasst, wie bei allen anderen Angaben), 78% Sachspenden (Trikots, Büromöbel, Geräte, Lebensmittel…), 67% erfolgten als Freistellung der Mitarbeitenden z.B. für freiwilliges Engagement während der Arbeitszeit, und gleichauf Nutzungsüberlassungen von Räumen, Fahrzeugen, Technik oder Software. Erst an siebter Stelle bezogen Unternehmen für etwas eine klare Position (“Flagge zeigen”) mit 52%. Weit abgeschlagen war die Gründung einer Unternehmensstiftung mit 6% und damit die Bereitstellung von Stiftungsvermögen.

Interessant ist insbesondere die thematische Ausrichtung des Engagements: Deutlich an der Spitze liegt die Unterstützung von Sport. Obwohl sie seit März 2018 von 66% bis August 2022 auf 53% reduziert wurde, ist sie immer noch das zentrale Thema beim unternehmerischen Engagement. Gleichzeitig wurde auch das Engagement für (Weiter)Bildung von 51% (März 2018, Platz 2) auf 39% im August 2022 zurückgeschraubt und fiel damit auf Platz 3. Dem entgegengesetzt lag das Engagement für Soziales in der ersten Welle mit 39% auf Platz drei und wurde bis 2022 auf 44% gesteigert. Damit lief dieses Thema der Förderung von (Weiter)Bildung den zweiten Platz ab. Die größte Steigerung findet sich erfreulicherweise beim Klima- und Umweltschutz um 12% von 18 auf 30%. Allerdings liegt dieses Thema damit immer noch 23% unter der Förderung von Sport. Soviel zum Klima- und Umweltengagement.

Interpretation

Ob der Beitrag für die Gesellschaft wirklich die wichtigste Motivation ist, kann die Studie nicht beantworten. Es liegt nahe, dass soziale Erwünschtheit zumindest eine Rolle bei der Beantwortung gespielt hat. Fraglich dürfte eher sein, inwiefern der Beitrag für die Gesellschaft tatsächlich die größte Motivation ist mit 62 Prozentpunkten Abstand zur geringsten Motivation “finanzielle Unternehmensziele unterstützen”. Ganz subjektiv kommen bei mir Zweifel auf, wenn ich mir viele der Stellungnahmen zur Deportationsaffäre ansehe, bei der die Abgrenzung zu der AfD Neonazi-Idee einer massenhaften Deportation auffallend häufig durch Wohlstandswahrung begründet wurde (und dabei insbesondere über die Lösung des Fachkräftemangels via Migration). Ich habe kaum Beiträge gefunden, in denen der erste Artikel unseres Grundgesetzes herangezogen wurde, geschweige denn das hauptsächliche Argument war.

Noch ein Gedanke zur thematischen Ausrichtung: Auch wenn die Förderung des Sports mit einem Rückgang von Januar 2018 bis August 2022 um 13% am größten war, so wurde doch fast ähnlich viel bei der (Weiter)Bildung eingespart: 12%. Gleichzeitig nahmen die Förderungen von Klima- und Umweltschutz mit 13% am meisten zu – lagen am Ende mit 30% aber immer noch deutlich unter den 53% Sportförderung. Das die Unterstützung des Breitensports eine wichtige gesellschaftsstützende Funktion insbesondere für Kinder und Jugendliche hat, ist unbenommen. Aber warum Firmen auch den ohnehin finanziell oftmals gut aufgestellten Massen-Profisport wie Fussball fördern, ist fraglich. Insbesondere, wenn die Förderungen derart über denen des Klima- und Umweltschutzes liegen. Das schürt erhebliche Zweifel an der Selbstaussage, dass es den Unternehmen vor allem um einen Beitrag für die Gesellschaft gehen würde. Selbst bei der aktuellen Bedeutung von Fussball in Deutschland sollte klar sein: Klima- und Umweltschutz betrifft uns alle, ausnahmslos. Mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Folgen äußerst ungleich verteilen und mit zunehmendem Vermögen die Auswirkungen immer besser ausgeglichen werden können. Fussball und andere Massensportarten betreffen nur die professionell Beteiligten und das Publikum. Eine ungleich kleinere Teilmenge der gesamten Gesellschaft, die die angebliche Motivation sei.

Ideen für CPR

Corporate Political Responsibilty kann insbesondere durch die Demokratisierung der Arbeit erfolgenIch greife für die Ideen auch auf meinen BlogbeitragGutes Tun im neuen Jahr” zurück, in dem ich 9 Optionen beschrieben hatte, wie Arbeitgeber (Unternehmen, NGOs…) und Einzelpersonen wertvolle Vereine, Stiftungen etc. unterstützen können. Dort finden sich erste förderungswürdige Organisationen. Zur letzten Kategorie der “Partizipation und Demokratie im eigenen Unternehmen”: Das mag für manche überraschend sein als Beispiel für gelebte CPR. Dabei ist der Zusammenhang längst ein eigener Forschungszweig unter dem Begriff des “demokratischen Spillover-Effekts”. Den habe ich schon öfter hier im Blog thematisiert. Wer noch mehr erfahren will, kann einen aktuellen Beitrag von mir dazu kostenfrei erhalten. Klick aufs Bild rechts, danach einfach die Mail abschicken.

  • Förderung
    • Organisationen und Initiativen unterstützen, die unsere Demokratie stärken oder weiterentwickeln. Dies ist durch Geld- oder Sachspenden ebenso denkbar wie durch Nutzungsüberlassungen.
    • Bürgerräte finanziell fördern. Zur weiteren Information ist zum Beispiel die Website “buergerrat.de” von Mehr Demokratie e.V. hilfreich.
    • Projekte und Initiativen fördern, die der Stärkung oder Weiterentwicklung unserer Demokratie dienen.
  • Lern- und Entwicklungsprozesse
    • Teilnahme an Angeboten, die die Belegschaft sensibilisieren und demokratische Kompetenzen fördern (zB Business Council for Democracy, weltoffenes Sachsen)
    • Eigene Personalentwicklungsangebote entwickeln und anbieten, die demokratische Kompetenzen fördern, die zugleich die eigene Unternehmenskultur stärken (zB Sensibilisierung für die innere Vielfalt von Menschen, Perspektivwechsel etc.)
  • Eigene Angebote an die Gesellschaft
    • Angebote an Kommunen/Gemeinden unter Zuhilfenahme externer Begleiter:innen (zB Events, zur Stärkung des kommunalen Zusammenhalts)
    • Stakeholder-Dialoge, um Herausforderungen demokratisch zu lösen, die das Unternehmen und seine gesellschaftlichen Stakeholder betreffen.
    • Zukünftelabore, in denen partizipativ eine wünschenswerte Zukunft des Unternehmens und seines kommunalen Umfelds kreiert werden.
  • Eigene Kampagnen und Initiativen
    • Kampagnen alleine oder mit anderen Unternehmen zur Stärkung der Demokratie aufsetzen (dabei sinnvollerweise für etwas statt gegen xyz)
    • Längerfristige Initiativen alleine oder mit anderen Unternehmen und/oder diversen institutionellen Partnern durchführen
  • Partizipation und Demokratie im eigenen Unternehmen
    • Die Effekte unternehmerischer Hierarchie auf unsere Demokratie thematisieren und reflektieren
    • Die eigenen Entscheidungsstrukturen im Unternehmen durch eine demokratische Brille reflektieren
    • Entscheidungen (operativ, taktisch, strategisch, normativ) im eigenen Unternehmen partizipativer gestalten.

Das alles sind nur erste Ideen. Zweifelsfrei kommt Ihr auf noch viel mehr, was ihr im und mit dem Unternehmen machen könnt, um Eurer demokratischen Verantwortung und CPR gerecht zu werden. Es gibt reichlich Optionen.

 

Herzliche Grüße

Andeas

 

Literatur

  • Bohnen, J. (2021): Corporate Political Responsibility: How Businesses Can Strengthen Democracy for Mutual Benefit. Future of Business and Finance. Springer
  • Lenssen, J.-J. et al. (2022): Monitor Unternehmensverantwortung 2022. Die Zukunft gemeinsam gestalten. Zivilgesellschaft in Zahlen | BertelsmannStfiftung.
  • Zeuch, A. (2022): Corporate Political Responsibility. Blog der unternehmensdemokraten

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Andreas Zeuch
  • Monitor: ©Ziviz
  • Artikel Spillover: ©Andreas Zeuch

 

 

Comments (3)

Derzeit gibt es eine Welle von Initiativen, die sogenannte Freiwilligentage einführen soll, neu-deutsch Socialdays. Vielfach sollen ganze Teams/Abteilungen dafür gewonnen werden. Die Unterstützung besteht in einem bezahlten Arbeitstag außerhalb der Betriebsstätte. Ebenso vielfach können entsprechende Angebote nicht im Eigeninteresse (ich helfe eh schon bei der Tafel aus und dann soll ich das nicht auf Arbeitszeit machen; ich kann mit meinem Team nicht im Mehrgenerationenhaus einen Tag gestalten, weil ich da sowieso Mitglied bin) durchgeführt werden. Wenn ein Unternehmen Werte verkörpern und leben will, wird es im digitalen Diskurs automatisch politisiert. Es kann sich dann nicht mehr heraushalten oder wegpositionieren. Der historische Drang nach da draußen und hier drinnen beginnt mit der Digitalisierung alles Lebensverhältnisse zu erodieren, zumal im mobilen Arbeiten / der Telearbeit, in dem ich meine Arbeit (auf meine eigenen Kosten) in die eigenen vier Wände hole / bringen lasse. VUCA bedeutet systemisch eben auch, Teil des Ganzen sein zu wollen. Weil man es muss, denn ansonsten ist man raus aus dem gesellschaftlichen Diskurs und gefährdet womöglich die eigenen Geschäftsmodelle. Eine neue Ebene der Risikobetrachtung auf der Reputationsebene. Und so kommt es eben, dass in vielen “politischen” Statements der letzten Zeit, Unternehmen auf die betrieblichen Notwendigkeiten ihres Fortkommens im Hinblick auf Remigrationsfantasien abstellen und nicht auf den darin zentral liegenden Unwert der Missachtung der Menschenwürde. Auch ihnen möchte man die Worte von Marcel Reif im Bundestag zurufen: SEI EIN MENSCH!

Andreas, danke für den wertvollen Artikel! Ich bin bei Dir: Unternehmen haben politische Verantwortung oder auch demokrstische Verantwortung. Wer nicht sieht, dass wir ohne Demokratie als Gesellschaft als Ganze, ob im Privatleben, in Schule und Arbeitswelt nicht die gleichen Freiheiten haben, zu sein, zu diskutieren, uns zu entfalten, der hat einen blinden Fleck. Innovative Untermehmen brauchen Menschen die offen sind, frei sind, die die Meinung anderer als gleichwertig hören können. In welcher Welt wachen wir auf, wenn halbes Jahrzehnt um halbes Jahrzehnt oder gar Jahr um Jahr weniger davon “erlaubt”, “gewünscht “, “gelernt”, “gefordert” ist? Von Kindesbeinen an, in den Vereinen, in den Schulen und in den Unternehmen?
In welcher Gesellschaft leben wir dann? Kulturell? Ökonomisch? Wie gehen wir mit den Multi-Krisen um?

Ich mag es mir nicht vorstellen.

Lieber Matthias,

vielen Dank für Deinen Kommentar mit dem Hinweis auf das teils widersprüchliche Verhalten von Unternehmen, wenn ich Dich richtig verstehe. Inwiefern werden denn Unternehmen im digitalen Diskurs automatisch politisiert? Das habe ich noch nicht ganz verstanden. Klar, durch Homeoffice als Folge der Digitalisierung verschwimmt die klare Trennung von drinnen/draußen. Aber inwiefern hängt das mit der Politisierung zusammen?

Meines Erachtens gab es schon vor der VUCA-Welt die politische Verantwortung. Denn auch vor VUCA basierte die Arbeit von Unternehmen und ihr Erfolg auf demokratischen Institutionen wie der Rechtssicherheit oder staatlich aufgebauten Infrastrukturen. Das hat nichts mit VUCA zu tun.

Herzliche Grüße
Andreas

Leave a comment

X