Siemens, Robin Hood und Unternehmensdemokratie

Es ist beschämend, was da gerade im öffentlichen Raum über Siemens diskutiert wird. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer bringt es vollkommen zu Recht auf den Punkt: “Siemens-Bashing hilft uns nicht weiter.” Wohl gesprochen. Ja Herrgott Sackzement, kapiert die dämliche deutsche Journaille und all die links-alternativen Berufspolitiker nicht, was Joe Kaeser gerade für eine Heldentat vollbringt? Von wegen „post-heroisches“ Management. Alles Blödsinn. Kaeser zertrümmert nicht das Vertrauen in den deutschen Wirtschaftsstandort, wie der frustrierte Martin Schulz neulich fabulierte (der ist doch jetzt nur froh, sich wieder als echter Sozialdemokrat gerieren zu können: “Die SPD wird weiter für euch trommeln.”). Nein, weit gefehlt. Kaeser bewahrt all die rund 7000 demnächst arbeitslosen Mitarbeiter*innen vor einer ungeheuerlichen Bürde. Ja Himmelherrgottgsuffa – sieht das denn niemand. Also muss ich es wohl erklären:

Prophetische Weitsicht bei Siemens und …

Joe Kaeser, Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG, www.siemens.com/presse

Um Kaesers Großtat und die (kulturelle) Fortschrittlichkeit des Vorstands und seines Aufsichtsrats gänzlich zu durchdringen, müssen wir ein paar Jahre zurückblicken. 2015 war Joe Kaeser in Houston auf der IHS Energy Ceraweek, „the world’s premier energy event.“ (Website Ceraweek). Das damalige Motto: „Turning Point: Energy’s new world.“ (Sic!, Ceraweek 2015) Sein Beitrag passt in dem Zusammenhang wie die Faust Gottes auf Saurons Auge:

„Joe Kaeser offered strategic perspectives on Siemens global business, including cost cutting in the oil and natural gas industries, the integration of Siemens most recent acquisitions in the oil and gas sector, and the challenges of, conducting business within Europe and with Russia. He also discussed technology opportunities including the application of automation and electrification to the oil and gas industry.“ (a.a.O.: S. 14) Es ging unter anderem um die seinerzeit aktuelle Übernahme von Rolls-Royce-Turbinen. Das und die Tatsache, dass Siemens „erstmals in seiner Geschichte ein Vorstandsressort im Ausland angesiedelt hat.“ (v. Petersdorff-Campen 2015) verdeutlicht den weitsichtigen, strategischen Blick von Kaeser und seinem Vorstand. Es war eine Entscheidung mit Symbolkraft, das Vorstandsressort für Energie in der Ölstadt Houston anzusiedeln.

Dazu braucht es Mut. In einer Zeit, da die halbe Welt über alternative Energie spricht und Dezentralisierung in der Energieerzeugung als besonders aussichtsreiche Option für die Zukunft gehandhabt wird. Und wenn dann noch durch die präkriminelle, äußerst windige, anarchische Blockchainentwicklung neue Möglichkeiten zur Dezentralisierung von Energieerzeugung, -speicherung und -verteilung entstehen, dann muss doch mal jemand auf den Tisch hauen und uns diesen ganzen visionären Schwachsinn vor Augen führen! Wir kennen das aus dem Verkehr: Wenn alle gleichzeitig in dieselbe Richtung fahren, stecken wir fest. Kontrazyklisches reisen (am besten in einem VW Diesel!) bringt einen viel schneller ans Ziel. Und genau das hat Herr Kaeser gemacht. Und auch noch humorvoll, ihr Kritikaster! Denn die Förderung von Photovoltaik in Deutschland, so Kaeser, sei so sinnvoll, wie Ananas in Alaska anzubauen. Ich halte mir immer noch den Bauch vor Lachen und die Tränen hören nicht auf zu laufen, verdammt, ich muss mal kurz ne Pause einlegen – – So jetzt geht’s wieder. Großartig, gell? Hammerlustig der Mann, was ein Schneid, was ein strategischer Scharfsinn! Ananas in Alaska – da ist auch noch eine verdeckte Alliteration drin enthalten! Das die Veränderung der Energiebranche völlig überraschend kam, lässt ich zudem daran erkennen, dass Kaeser sich noch im März 2017 “im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel und Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi dafür feiern (ließ), dass sein Unternehmen dem Land die Turbinen für die größte Gas- und Dampfkraftwerksanlage der Welt liefert.” (Schäfer, U. (2017)) Tja, der Mann hat seine Hausaufgaben gemacht. Im Gegensatz zu den Kritikern, die mal wieder nur den nötigen Fortschritt aufhalten wollen.

Denn diesen Fortschritt brauchen wir jetzt! Janina Kugel, Personalvorständin bei Siemens, die Frau mit dem einnehmenden Strahlelächeln, erklärte pointiert ohne mitleidheischendes Drumherum am 23.11. in der Tagesschau: “… dort, wo sich ein Markt strukturell verändert und Verluste einfährt, müssen sie handeln.” (kursiv, AZ) Und der Siemens Aufsichtsratchef Gerhard Cromme macht das noch deutlicher: “Wir können keine Turbinen bauen, die wir dann auf dem Werksgelände vergraben müssen, weil sie niemand haben will.” Ja, was soll man dazu sagen? Recht haben die beiden. Selbstverständlich waren diese strukturellen Veränderungen – Dezentralisierung, alternative Energien – ja der oben erwähnte irrwitzige Hype, den man nicht einfach ernst nehmen konnte. Dass es jetzt doch so gekommen ist – nun hinterher ist man immer schlauer. Also bleibt nur die Option zu Handeln. Siemens MUSS (MUSS!) handeln. Und die wirklich einzige Option besteht in einem sozialverträglichen Abbau der Stellen. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn man die Betroffenen einladen würde, gemeinsam Lösungen ohne Abbau zu finden. Dazu aber gleich noch mehr, denn diese völlig verrückte und damit ungangbare Möglichkeit ist wiederum einem allgegenwärtigen dilettantischen Gerede von selbstherrlichen Möchtegern-Beratern geschuldet.

… Kritik an der eigenen Kaste!

Solarenergieförderung in Deutschland, so sinnvoll wie Ananasanbau in Deutschland zu subventionieren. Strike!

Nach der Ananas kam die große Schlappe. Nein, nicht etwa von Siemens oder des Versagens der strategischen Verantwortung des Vorstands eines 350.000 Mitarbeiter großen Weltkonzerns. Nein, was kam war die große Schlappe der deutschen Berufspolitik: Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017. Das Erstarken und die Götterdämmerung der AfD. Kaeser fand wie so oft mutige Worte, wie sie sonst wohl kaum einer wagte: „Das ist eine Niederlage der Eliten in Deutschland.“ Der Mann gesteht also seine eigene Niederlage ein. Diese Größe muss man erst mal haben, das so klar zu sagen, als Teil dieser Elite, an die das Wahlergebnis ein weithin loderndes Flammenmal ist (komisch, keine Ahnung warum: ich sehe Hocke, Petri, von Storch und Co immer mit lustigen weißen Kapuzen vor brennenden Kreuzen. Aber nicht auf rückwärtsgewandten Gäulen, sondern auf zukunftsweisenden teutschen Traktoren!).

Doch damit nicht genug. Viel klarer und beredter stellt Kaeser das Problem dar: „Wir haben wieder zugeschaut, und das muss sich ändern»

«Es muss die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektiven zu geben. Für den Wohlstand im Lande, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für Frieden und Freiheit ist genau das letztlich entscheidend.

… Auch wenn es noch unklar ist, wie genau die nächste Koalitionsregierung aussehen wird: Entscheidend für ihren Erfolg wird sein, dass sie die anstehenden Veränderungen, die ich unter dem Stichwort gesellschaftlicher Wandel zusammenfassen möchte, mutig und ambitioniert angeht. … Es geht also, wenn man so will, um die Verbindung von «Industrie 4.0» und «Soziale Marktwirtschaft 2.0“ (Die Welt 2017)

Das ist es, was wir brauchen. Helden, die sich was trauen! Die die Dinge beim Namen nennen. Let’s face it! Und die dann, eiskalt, mit Nerven wie Drahtseilen,  ihr Ding konsequent durchziehen. Helden die sich nicht korrumpieren lassen von neumodischem Schnickschnack, die nicht jeder absurden Managementmode hinterherhecheln, sondern wirklich zu dem stehen, was sie gesagt haben, die noch Werte kennen. Genau das und nichts anderes tut Joe Kaeser jetzt.

So wird bei Siemens Zukunft geschmiedet!

Janina Kugel, Mitglied des Vorstands der Siemens AG und Arbeitsdirektorin. www.siemens.com/presse

Betrachten wir die aktuelle Situation bei Siemens unter dem Brennglas einer scharfen Analyse. Spätestens dann werden die Zweifel an der Genialität des Siemensumbaus verdampfen wie ein paar müde Regentropfen auf einem satten Lavastrom. Momentan muss neuerdings so mancher betriebswirtschaftlicher Dilettant über die Transformation der Arbeit mitreden, wie oben schon angedeutet. Deshalb grassiert eine zunehmende, uneindeutige Begriffswelle durch die Vorstandsetagen und Wirtschaftsredaktionen: New Work. Oder, noch naiver, Unternehmensdemokratie. Egal welches Vokabular gerade gewählt wird, es geht immer irgendwie um Partizipation, um die Einbindung der Mitarbeiter in unternehmerische Entscheidungen. Am schlimmsten treibt es der Unternehmensberater Dr. Andreas Zeuch, der 2014 in einem vollkommen überschätzten Beitrag die Strategieentwicklung mit der Belegschaft thematisierte. (Zeuch 2014) Wären seine Gedanken so ausgereift wie sein Bart, bestünde eine Chance, dass seine Worte Sinn machen.

Wie soll man sich das vorstellen? 720 Mitarbeiter vom Görlitzer Standort kommen an einem Wochenende in einer Turnhalle zusammen, um gemeinsam Wege aus der Misere zu finden und zwar jenseits des innovativen Instrumentes sozialverträglichen Abbaus? Was würde passieren? Natürlich würden die Mitarbeiter nur an sich selbst denken und weiter für Siemens arbeiten wollen, ohne Umzug selbstredend. Die wären nicht bereit, wie Kaeser den Prügelknaben zu machen und die Wut der Nation in Würde auszuhalten! Man stelle sich vor: Die würden in blumig-verqueren, sektengleichen, sogenannten Open Space Konferenzen dutzende oder hunderte von Ideen entwickeln, wie sie für Siemens das Beste aus der Energiewende rausholen könnten. Offensichtlich hat der ehemalige Musiktherapeut Zeuch zuviel seiner eigenen tranceinduzierenden Entspannungsmusik gelauscht. Das scheint zwar das lose Assoziationsvermögen gestärkt, aber das logische, nüchterne Denken massiv in Mitleidenschaft gezogen zu haben.

Denn was hätte Siemens bitte davon, wenn Belegschaften mehrere Werke neu erfinden, anstatt elegant sozialverträglich abgebaut zu werden? Da müssten Möglichkeitsräume geöffnet und Unsummen investiert werden. Das Ganze hätte Folgekosten, die vermutlich über interne Jobangebote und dergleichen mehr deutlich hinausgehen. Denn der Abbau ist irgendwann erledigt, während die Gestaltung der Energiezukunft so schnell nicht zu beenden ist. Diese Summen können natürlich unmöglich investiert werden, wenn gerade erst ein Rekordgewinn erreicht wurde. Der muss jetzt schließlich für wirklich schlechte Zeiten zurückgelegt werden – DAS ist ein verantwortungsvoller Umgang. Darüberhinaus stellt sich die Frage, was mit dem enormen Gesichtsverlust wäre, wenn Kaeser und sein Vorstand so ein Kindergartenspektakel einer kollektiven Lösungsentwicklung tatsächlich nicht nur billigen sondern sogar fördern würde? Der Mann würde zum Gespött, nicht auszudenken. Und das zu Recht, muss man leider in diesen wirren Zeiten anmerken. Denn mittlerweile kritisieren jetzt auch noch bislang seriöse Zeitungen wie die Süddeutsche die Ideenarmut des Vorstands, wie jüngst der Volkswirt und Journalist Detlef Esslinger (Esslinger 2017). Der behauptet allen Erntes strukturelle Folgen für die Regionen, nur weil ein paar Bäcker ein paar Brötchen weniger verkaufen werden. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.

Es ist genau dieser bloß scheinbare Widerspruch zwischen den früheren Worten und heutigen Taten des Siemens Chefs. Zur Erinnerung Kaesers prophetische Worte: „Es muss die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektiven zu geben. Für den Wohlstand im Lande, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für Frieden und Freiheit ist genau das letztlich entscheidend.“ (Die Welt 2017) Durch den sozialverträglichen Abbau (man kann es nicht oft genug wiederholen!) werden die Mitarbeiter großzügig in die Lage versetzt, sich nun endlich nicht mehr um den todgeweihten Bau anachronistischer Gasturbinen kümmern zu müssen. Viele von ihnen müssen nicht mehr jeden Morgen ins alte Werk fahren, um ihren wenig zukunftsfähigen Job zu machen. Statt dessen können sie jetzt vollkommen frei denken, wie sie der Gesellschaft zukünftig den besten Nutzen bieten können. Oder sie erfinden sich an einer anderen Stelle im Konzern neu, dafür müssen sie halt nur umziehen. Durch diesen beherzten Schubser ins kalte Wasser haben die Mitarbeiter ihrerseits die Chance, in die Fußstapfen ihres obersten Chefs zu treten. Wenn sie sich da durchbeißen, ist niemand glaubwürdiger als sie. Helden werden nicht durch tägliches Pampern geboren.

Kaesers grandioser Ananas-Witz und die ganze Ignoranz gegenüber den Entwicklungen der Energiebranche in den letzten Jahren waren von Anfang an geschickt eingefädelt, um genau hier und jetzt ihren fulminanten Höhepunkt zu finden. Der sozialverträgliche Abbau der knapp 7000 ist ein Paukenschlag, wie in Deutschland schon lange nicht mehr vernommen hat. Und so erhält unser wunderbares, aber in den letzten Jahren so verkommenes Land endlich die Chance, aufzuwachen und wieder eine Führungsrolle zu übernehmen. Man muss den Vergleich nicht scheuen: Kaeser ist der postmoderne Robin Hood des Kapitalismus. Er nimmt nur vordergründig von den Armen oder zumindest denen, die nicht reich sind. Denn am Ende des Tages werden die Betroffenen zu einer Armee von Wohltätern, die wir alle bitter brauchen. Danke Joe!

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Quellen

Bildnachweis

  • Beitragsbild: www.siemens.com/presse
  • Joe Kaeser: www.siemens.com/presse
  • Ananas: Fractalux, CC 0
  • Janina Kugel: www.siemens.com/presse

Comments (1)

[…] aktuellen Qualifikation (was hätte wohl der Siemens Vorstand gesagt, wenn man ihm das im Zuge der Massenentlassungen in der Gasturbinensparte vorgeschlagen hätte?). Könnten solche oder ähnliche Vorschläge nicht auch im Rahmen der […]

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