Am 15. März 2016 fand in Berlin die Halbzeitkonferenz zum “Dialogprozess Arbeiten 4.0. Auf dem Weg zu einem Weißbuch” des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales statt. Dies war eine der wenigen Berührungspunkte mit der Öffentlichkeit, in der die Möglichkeit bestanden hätte, über den Diskurs der berufenen Expertenkommission (“Beraterkreis”) hinter verschlossenen Türen hinaus verschiedenen Unterthemen von Arbeiten 4.0 mit interessierten Bürgerinnen und Bürgen zu diskutieren. Leider scheint das Ministerium eine völlig anderes Verständnis des Begriffs “Dialog” zu haben, als gemeinhin üblich.
Arbeiten 4.0: auf dem Weg zu einem Weißbuch
Im April 2015 wurde der Dialog Arbeiten 4.0 gestartet (Darüber hatte ich schon berichtet). Seinerzeit stellte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles das Grünbuch Arbeiten 4.0 vor, in dem erste Thesen formuliert waren, wie die anstehenden Veränderungen durch die digitale Transformation erfolgreich zu meistern sein könnten. Ziel ist ein Weißbuch mit Empfehlungen an die Politik. Der oben erwähnte, dazu berufene Beraterkreis besteht aus VertreterInnen von Wissenschaft und betrieblicher Praxis. Selbstredend gab es keinerlei Möglichkeit, sich eigeninitiativ in diesen Kreis zu bewerben oder über audio/visuelle Übertragung beizuwohnen. Der Dialog findet also vorwiegend hinter verschlossenen Türen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und wird nur punktuell über einige wenige, allen zugänglichen Veranstaltungen geöffnet, von denen eine die Halbzeitkonferenz war. Die Ergebnisse der verschiedenen Sitzungen des Beraterkreises stehen anschließend der Öffentlichkeit in Form von Dokumentationen zur Verfügung.
Halbzeitkonferenz: Überblick
Somit war ich erstens ziemlich gespannt, wie der “Dialogprozess” bei der Halbzeitkonferenz umgesetzt wurde und hatte zweitens ein großes Interesse, meine Erfahrungen und mein Wissen in den Diskurs miteinzubringen. Vor allem deshalb, weil im Grünbuch unter Punkt 3.6 demokratische Teilhabe in Unternehmen und Organisationen als zentrale soziale Innovation dargestellt wird, um die technologischen Innovationen der digitalen Transformation nachhaltig erfolgreich zu nutzen. Das Programm lieferte allerdings schon Anlass zu einigen Zweifeln: Natürlich wurde die Konferenz von einer Rede Andrea Nahles eröffnet (so weit so gut), dann folgten drei parallele Stränge von je zwei Panels, die Mittagspause, eine Keynote, in der die Ergebnisse der aktuellen Studie “Wertewelten Arbeiten 4.0” vorgestellt wurde, nochmals sechs Panels und zum Abschluss eine Podiumsdiskussion vor dem Plenum.
Ich entschiede mich für folgende Themen: “Arbeit für Alle? Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigten”, “Teilhabe an Arbeit sichern. Wie alle vom digitalen Wandel profitieren können”, “Führungskultur für die Arbeitswelt 4.0” und “Demokratische Teilhabe und Mitbestimmung in der Arbeitswelt der Zukunft.” Kein Frage, durchaus spannende Herausforderungen, wobei mich die beiden letzten Panels zur Führungskultur und demokratischen Teilhabe am meisten bewegten. Zur vollumfänglichen Information für Euch hier alle Panels über meine persönliche Wahl hinaus:
- Arbeit für Alle? Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigten
- Teilhabe an Arbeit sichern. Wie alle vom digitalen Wandel profitieren können
- Flexibel aber selbstbestimmt. Innovative Arbeitszeitgestaltung als Herausforderung für Unternehmen, Sozialpartner und Politik
- Mobiles und entgrenztes Arbeiten
- Wandel von Erwerbsformen
- Zukunft der sozialen Sicherung
- Weiterbildungs- und Qualifikationsbedarf der Zukunft
- Passen Institutionen und Angebote von Heute zu den Beratungs- und Qualifikationsbedarf von morgen?
- Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Industrie 4.0
- Perspektiven des Beschäftigtendatenschutzes
- Führungskultur für die Arbeitswelt 4.0
- Demokratische Teilhabe und Mitbestimmung in der Arbeitswelt der Zukunft.
Bereits die Konferenzmappe machte sofort klar, dass es um den Dialog eher bescheiden bestellt ist. Dort fand ich exakt vier (!) Zettel, auf denen ich meine Fragen oder Kommentare zu den Panels aufschreiben durfte. Wer sich für vier Panels interessierte, konnte somit durchschnittlich pro Panel einen Beitrag schriftlich einreichen. Wer sich die Mühe machte, wurde indes nicht belohnt. Denn die Beiträge wurden erst einmal durch Co-ModeratorInnen geclustert, teils einfach auf andere Panels verwiesen und dann nur manchmal wörtlich vorgelesen. Meistens fassten die Co-ModeratorInnen die Fragen und Kommentare inhaltlich zusammen – selbstredend ohne Rückversicherung, ob sie sie überhaupt richtig verstanden haben – und gaben Sie so an die geladenen Gäste auf den Panels weiter. Die konnten dann verständlicherweise so gut wie nie auf einzelne Beiträge eingehen (Achtung: Wie es in den anderen acht Panels zuging, weiß ich nicht. Es würde mich allerdings wundern, wenn dort etwas fundamental anders gelaufen wäre.)
Halbzeitkonferenz: weitere Eindrücke
Der Eröffnungsrede von Andrea Nahles konnte ich nur zustimmen. Sie stellte wiederholt klar, dass es nicht zielführend für eine konstruktive Gestaltung Zukunft der Arbeit wäre, nur technologische Innovationen voranzutreiben (Fußnote: dummerweise werden vorwiegend solche Innovationen staatlich gefördert). Vielmehr wäre es zentral, auch soziale Innovationen parallel zu entwickeln, vor allem demokratische Teilhabe. Die Demokratisierung der Arbeit ist also aus politischer Sicht ein Topthema. Nahles unterstrich dies mit Sätzen wie “Erfolg entsteht, wo alle anpacken.” oder “„Allen voran brauchen wir einen ehrlichen öffentlichen Austausch. … Wir reden noch zuwenig darüber.“ Und schließlich: “Wir brauchen jeden, der zupackt.” Also sollte eigentlich jeder, der mitgestalten will, willkommen sein, oder? Ist aber blöderweise nicht so. Selbst proaktives Bürgerverhalten führt nicht zur Kollaboration. Mit einer höflich distanzierten Antwort auf meine letztjährige Mail ans Ministerium wurde klargestellt, dass sich der Dialogprozess mit der Öffentlichkeit auf die Konferenzen beschränkt. Und damit schließt sich der Kreis.
Im Panel Demokratische Teilhabe und Mitbestimmung diskutierten Dr. Andreas Boes, Wissenschaftler und Vorstandsmitglied des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Sven Franke, vielen von Euch als einer der Macher der Inititative Augenhöhe bekannt, Dr. Manuela Maschke von der Hans-Böckler-Stiftung, deren Auftrag die Förderung der Mitbestimmung in Deutschland ist und die mich freundlicherweise bei meinem Buch “Alle Macht für niemand” unterstützt hatte und schließlich Dirk Siebels von Continental. Die Demokratisierung der Arbeit ist ein ausgesprochen vielschichtiges und komplexes Thema mit vielen Aspekten, die einer intensiven Auseinandersetzung bedürfen. Leider wurde dieser Vielfalt nicht Rechnung getragen. Die individuellen Meinungsäußerungen auf dem Panel – eine Diskussion fand auch dort nicht wirklich statt – kreisten größtenteils um das Spannungsfeld aus freier (demokratischer) Selbstorganisation und institutioneller betrieblicher Demokratie über Betriebsräte und die damit verbundenen rechtlichen Regularien. Leider kam niemand auf die Idee, diese Frage über theoretische Erörterungen hinaus aus der betrieblichen Praxis zu beleuchten. So hat beispielsweise die Autowelt Hoppmann seit gut 40 Jahren dieses Spannungsfeld kreativ und erfolgreich aufgelöst. Unternehmensdemokratie und Betriebsräte sind kein Widerspruch, sondern bereichern sich in diesem Unternehmen gegenseitig, wie ich ausführlich in meinem Buch dargestellt habe (Alle Macht für niemand: 89 – 107).
Um die thematische Monokultur dieses Panels etwas bunter zu gestalten, reichte ich einen der Zettel zum Dialogprozess ein: “Ich vermisse bislang eine Auseinandersetzung mit der zentralen Frage des EIGENTUMS.” Um es der Co-Moderatorin noch etwas einfacher zu machen, hatte ich den Begriff “Eigentum” großgeschrieben und zudem mit einem orangen Marker hervorgehoben. Faszinierenderweise erwähnte die Co-Moderatorin aber nur jene Fragen und Kommentare, die sich wiederum auf das oben erwähnte Spannungsfeld bezogen. Soweit zum “Dialogprozess”.
Die abschließende 40 minütige Podiumsdiskussion wurde ebenfalls der Vielschichtigkeit des Themas nicht gerecht. Moderator Thomas Ramge von Brand Eins war auf der Suche nach einer kontroversen Auseinandersetzung und wurde bei der Entgrenzung von Arbeit endlich fündig, so dass die Diskussion dort stecken blieb. Wenig überraschend lieferten sich Peter Clever, Mitglied der Hautpgeschäftsführung der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände und Annelie Buntenbach, Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, eine mehr oder minder amüsante Schlacht, in der Herr Clever durch verbale, irgendwie pubertär anmutende Kraftmeierei (“Da scheiß ich drauf”) das Publikum wohl eher unfreiwillig belustigte.
Halbzeitkonferenz: Fazit
Summa Summarum: Das Was ist nicht das Problem, sondern das Wie. Von einem Dialogprozess kann beim besten Willen und großzügigster Betrachtungsweise keine Rede sein, weder über die bisherige gesamte Zeit noch bei der Halbzeitkonferenz. Letztere war eine knapp sieben stündige Frontalbeschallung. Die TeilnehmerInnen waren so gut wie vollständig auf die Zuschauerplätze verbannt und konnten sich allenfalls marginal einbringen. Das ist in Anbetracht des Themas geradezu grotesk. Auf jedem durchschnittlichen Barcamp findet ein echter Austausch statt und es werden zeitgemäße digitale (!) Kommunikationsstrukturen wie Twitterwände zur Verfügung gestellt – und das bei ungleich geringeren Budgets. Ob das einer übermächtigen Tradition ministerieller Verwaltungslogik, mangelnder Kompetenz bei Veranstaltungsgestaltungen, absichtlichen Ausgrenzung der Öffentlichkeit oder einer Kombination dieser Faktoren geschuldet ist, bleibt offen. Das ebenso traurige wie ärgerliche Fazit lautet jedenfalls: Eine vertane Chance.
Herzliche Grüße
Andreas
Bildnachweis
Alle Fotos: © Andreas Zeuch
Hallo Andreas,
danke für deinen Bericht. Schade, dass du nichts dialogischeres von der “Halzeit” zu berichten hast. Ich befürchte das Weißbuch wird eher ein Fachbuch von “Experten” (top down). Und anscheinend hat Frau Nahles, den in der Politik verwendeten Begriff “Dialog” (der ja so gut wie nie stattfindet, aber sehr inflationär verwendet wird) auf das Projekt übertragen. Experten beschliessen den demokratischen 4.0 Prozess im Elfenbeinturm… Um so wichtiger, dass “wir” weiter im dialogischen Prozess gestalten…
Danke, Alexander, für Deinen Kommentar. Exakt so sehe ich das auch. Wir müssen auf nichts warten, weder auf ein Grün- noch ein Weiß- noch ein sonstwie farbiges Buch. Wir können einfach machen. Verändern. Das wichtigste dabei: In echte Dialoge kommen, sie pflegen und weiterentwickeln.
Hallo Andreas,
gut, dass Du da warst und uns berichten konntest (ich hatte trotz Nähe zum Thema die Halbzeitkonferenz gar nicht auf dem Schirm) und es tut mir Leid, dass Du Deine Lebenszeit nicht besser nutzen konntest.
Ich hatte ohnehin nicht erwartet, dass es sich lohnt auf die Politik zu warten. Dafür ist das Thema wohl, trotz der riesigen Chancen, noch zu sehr Nische und kommt erst langsam im “Mainstream” an. Damit ist es wohl zur Zeit noch ein Hygienethema der Politik ohne echten Druck.
Damit liegt es vorerst weiter an und bei uns zu überzeugen und gemeinsamen mit Unternehmern/Unternehmerinnen und Unternehmen die dafür bereit sind diese “neuen” Wege zu gehen und den Erfolg für sich sprechen zu lassen.
Es bleibt viel zu tun.
Danke auch Dir, Guido, für Deine Sicht. Einen Punkt sehe ich etwas anders: Ich habe schon den Eindruck, dass die digitale Transformation und Arbeiten 4.0 ein zentrales Thema der Arbeitspolitik sind. Das wird m.E. auch dadurch deutlich, dass sowohl das BMAS als auch das BMBF erhebliche Fördergelder für Projekte zu dem Thema an der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und betrieblicher Praxis zur Verfügung stellen. Ich hatte mit Kollegen zwei Anträge gestellt – die allerdings beide nicht durchkamen. Interessant in dem Zusammenhang: Es gab keinerlei Rückmeldung, warum die Anträge abgelehnt wurden. Das dann zum Thema “Wissensgesellschaft” …