Klassiker der Unternehmensdemokratie. Das Ahrensburger Modell

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Ahrensburger Modell: Wir haben hier schon einige Fallbeispiele vorgestellt (bislang 36) , wozu auch alle bisherigen Unternehmen zählen, bei denen wir einen CultureCheck durchgeführt haben. Nun wird es Zeit, mal ein paar Klassiker der Unternehmensdemokratie neu zu reflektieren. Heute beginnen wir diese Reihe mit einem der vielleicht beeindruckendsten Fallbeispiele: Das Ahrensburger Modell. Gleich vorab: Die Besprechung hier im Blog kann nur relativ oberflächlich sein und ist dennoch – für einen Blogpost – recht ausführlich. Also: Etwas Zeit einplanen. Oder hastig weiter klicken.

Ursprünge

Carl Backhaus, einer der Väter des Ahrensburger Modell
Carl Backhaus, ©Raimund Marfels

Die inspirierende Geschichte der ehemaligen Joh. Friedrich Behrens AG, die leider längst wieder traditionell geführt und aufgebaut ist und unter dem Namen BeA GmbH weiterläuft, reicht weit zurück. In wenigen Jahren steht das 125 jährige Firmenjubiläum an: Der namensgebende Ahrensburger Johann Friedrich Behrens gründete seine Firma 1910 in Hamburg. Über die ersten Jahre ist nicht allzuviel bekannt, außer dass Behrens Befestigungsmaterial herstellte, genauer Heftklammern. Der Zweite Weltkrieg führte zu einer weitreichenden Zerstörung der Firma, übrig blieb nach 1945 nur eine Ruine des Betriebsgebäudes und – je nach Quelle – ein oder zwei Maschinen, sowie laut Wikipedia “einige Rollen Draht und die Kundenkartei”.

In den Jahren zuvor erlebte Carl Backhaus, der spätere Initiator des Ahrensburger Modells, den Nationalsozialismus und reagierte mit mutigem Widerstand. Aber der Reihe nach: Am 24. Dezember 1902 in Hamburg Hammerbrook geboren wuchs er dort auf, besuchte die Volksschule und begann mit 15 eine kaufmännische Ausbildung in einem Im- und Exportunternehmen. Nachdem er seine Ausbildung abgeschlossen hatte, ging er für eine Weile zu einem weiteren Im- und Exportunternehmen, um dann bei der W.H. Schwarz & Co. Leiter der Speditionsabteilung zu werden. Allerdings schien er schon damals reichlich unternehmerisches Blut in seinen Adern zu haben und gründete 1922 mit Martin Hühnken das eigene Speditionsunternehmen Backhaus & Co. Aber auch damit kehrte keine Ruhe ein, es ging mit diversen Gründungen weiter.

“Mein Ziel ist die Demokratisierung der Wirtschaft … In der Widerstandszeit kam ich zu der Erkenntnis, dass ein künftiger demokratischer Staat nur dann von Bestand sein kann, wenn alle Bereiche dieses Staates nach demokratischen Gesetzmäßigkeiten arbeiten.” Carl Backhaus (1971)

In seinem Privatleben zeigte er sich seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ausgesprochen widerständig: Aus einem Schachclub, dem auch sein späterer Geschäftspartner bei der Joh. Friedrich Behrens AG Hans Rodmann angehörte ebenso wie Johann Behrens selbst, wurde eine Widerstandsgruppe. Nachdem Rodmann zwei Jahre in Haft war, begannen Backhaus und seine Mitstreiter Flugblätter zu verbreiten, in denen sie über das NS-Regime informierten. Während des Zweiten Weltkrieges schließlich arbeitet Backhaus bei Kühne & Nagel in Südosteuropa. 1943 wurde aus der Widerstandsgruppe die “Kampfgemeinschaft für totale Demokratie” – ein mehr als unglücklich gewählter Name. Aber vielleicht liegt hier auch schon die Wurzel des späteren Misserfolgs.

Der Anfang

Parallel zur Gründung dieser sonderbaren “Kampfgemeinschaft” kaufte Backhaus 1946 gemeinsam mit Rodmann die Joh. Friedrich Behrens AG, bzw. deren kargen Reste von Behrens für seinerzeit 20.000 Reichsmark. Die Motivation für den Kauf war alles andere als rein unternehmerischer Natur. Durch die gemeinsamen Erfahrungen der NS Zeit mit ihrer teils finanziellen Verflechtung mit der Wirtschaft war für die beiden klar, dass  „jede politische Demokratie gefährdet ist, wenn in den anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht ebenfalls demokratische Strukturen vorhanden sind” (Wikipedia) – womit sie sich insbesondere auf Unternehmen bezogen. Die beiden neuen Inhaber wollten ihre neue Firma dazu nutzen, um eine weitreichende betriebsdemokratische Struktur und Kultur aufzubauen und auf diesem Wege ihre Vorstellungen eines demokratischen Sozialismus experimentell auszuloten. Wichtig an dieser Stelle: Es ging ihnen nicht um eine Vergesellschaftung oder Verstaatlichung der Produktionsmittel, sondern einen dritten Weg zwischen Privat- und Staatseigentum.

Demokratische Strukturen sollten den Mitarbeitern nicht beschert, sondern von ihnen selbst erarbeitet und dann verwirklicht werden. (Geißler, A. (1973): 150)

Ein Jahr später begann erstens die Produktion und zweitens folgte der erste Schritt in Richtung der avisierten Betriebsdemokratie. Basierend auf einem ersten Schreiben an die Belegschaft am 05. November 1947 begannen Backhaus und Rodmann mit den Mitarbeiter:innen die Entwicklung der demokratischen Betriebsverfassung. Ein erstes Ziel war die Gleichberechtigung zwischen der Geschäftsführung und den Mitarbeiter:innen, oder klassisch formuliert: zwischen Kapital und Arbeit. Zweitens sollte eine demokratische Selbstverwaltung aufgebaut werden. Drittens sollte aus dem zu entwickelnden Modell ein Gesetzesantrag für eine neue handelsrechtliche Gesellschaftsform folgen. Und das alles Jahrzehnte vor unserer gerade entstehenden Diskussion um die GmbH-VE mit ihrem Verantwortungseigentum.

Diese ersten Vorhaben konnten jedoch noch nicht umgesetzt werden, da zunächst die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens aufgebaut werden musste. Im Dezember 1951 zog die Firma nach Ahrensburg bei Hamburg um, dem für das spätere Ahrensburger Modell namensgebenden Ort. Die erste demokratische Betriebsvereinbarung kam deshalb in einer schlanken Version erst am 29.04.1953 zustande. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Unternehmen ungefähr 30 Mitarbeitende (7 Jahre später waren es 170, soviel zur angeblichen Langsamkeit der Unternehmensdemokratie). Die Präambel zur Vereinbarung liest sich noch heute interessant: “Die Vertragschließenden sind davon überzeugt, daß Kapital und Arbeit in allen Organisationsformen der Wirtschaft eng verschmelzen müssen, damit sich die natürlichen Spannungen zwischen ihnen auf ein Mindestmaß verringern. Das kann nur dadurch erreicht werden, daß sich die Wirtschaft im Sinne einer sozialen und verantwortungsbewußten Demokratie organisiert. Da es zur Zeit noch an einer vom Gesetzgeber anerkannten praktischen Organisationsform solcher Wirtschaftseinheiten fehlt, wollen die Vertragschließenden mit diesem Vertrag beispielhaft vorangehen. Sie müssen sich der gegenwärtigen vorhanden Wirtschaftsform bedienen, um Gewähr zu schaffen, daß das Unternehmen in seinem Bestand in der Kontinuität der Geschäftsführung erhalten bleibt. Andererseits muss die Gesellschaft so ausgestattet werden, daß sie in Konkurrenz mit jetzt vorhandenen Gesellschaften ihre Aufgabe als Wegweiser in eine neue Wirtschaftsform erfüllt. Die Vertragschließenden sind sich dessen bewußt, daß der Vertrag nur einen Schritt weiter auf das Ziel hin darstellt und noch nicht die beste Lösung verkörpert.” (zitiert nah: Andresen 1978: 47)

Dafür wurden die Grundlagen des Vertrages mit einer Art Verhaltenskodex gelegt:

  1. Jeder ordnet sein Interesse denjenigen aller unter.
  2. Jeder bringt ein Höchstmaß an Fleiß und Einsatzwillen in die Gemeinschaft ein.
  3. Jeder ist von seinem Arbeitsplatz aus über das fachliche Können und Wissen hinaus bemüht, auch ein Verständnis für das Unternehmen zu entwickeln und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Spoileralarm: Hier stecken schon ein paar erste Fallstricke entgegen des ebenso guten wie inspirierenden Willens der beiden Geschäftsführer und Gründer.

Das Ahrensburger Modell

Das Ahrensburger Modell besteht aus zwei Komponenten: Zum einen die Konstruktion der Gesellschaft mit ihrer demokratischen Mitbestimmung sowie dem damit eng verbundenen finanziellen Beteiligungsmodell. Im Folgenden mein Versuch einer kurzen Skizze beider Modelle.

Mitbestimmung im Ahrensburger Modell

Die Betriebsdemokratie sollte durch direkte und indirekte Mitbestimmung erreicht werden. Das wichtigste Entscheidungsgremium war die Gesellschafterversammlung, in der die persönlich haftenden Gesellschafter (Backhaus und Rodmann sowie zwei weitere) und alle stillen Gesellschafter gemeinsam die großen unternehmerischen Entscheidungen fällten (wer zu einem/einer stillen Gesellschafter:in werden konnte, folgt gleich im Abschnitt über die Mitarbeiter:innen-Beteiligung. Soviel vorab: Diese Option stand allen Personen der Belegschaft grundsätzlich offen). Zu den grundlegenden Entscheidungen gehörten beispielhaft ” … Aufnahme und Ausscheiden von Gesellschaftern, Änderungen des Gesellschaftsvertrags, Jahresabschluss und Gewinnverwendung* sowie der Investitionsplan, wenn über diesen zwischen Geschäftsführung und Beirat keine Einigung erzielt werden konnte.” (Andresen 1978: 48) *Hier wurde genau das in einer Variante umgesetzt, was meiner Meinung nach zentral zur demokratischen Führung gehört: Die Entscheidung über die Verwendung des Mehrwerts (vgl. meinen Beitrag Demokratische Führung).

Ahrensburger Modell - Grafische Darstellung
Mitbestimmung im Ahrensburger Modell. Quelle: Andresen 1978. Zum Lesen Klicken.

Die programmatisch avisierte Gleichberechtigung sollte vor allem durch ein grundlegendes demokratisches Prinzip umgesetzt werden: Ein Mensch, eine Stimme. Und zwar völlig unabhängig von der Kapitaleinlage. Selbst Mitarbeiter:innen mit einer minimal möglichen Einlage hatten somit dieselben Stimmrechte wie Backhaus, der mit einer Million DM in der Verantwortung und als persönlich haftender Gesellschafter in einem viel größeren Risiko stand. Sprich: Die Gründer und persönlich haftenden Gesellschafter konnten von den Mitarbeiter:innen überstimmt werden! Diese Regelung war keine Schönwetterphilosophie, wie häufig kritisiert, sondern war rechtskräftig im Gesellschaftervertrag kodifiziert. Allerdings gab es hier einen durchaus sinnvollen Sicherheitsmechanismus: Der Ausschluss der persönlich haftenden Gesellschafter benötigte a) eine qualifizierte Mehrheit bei der Gesellschafterversammlung, b) der Zustimmung der anderen persönlich haftenden Gesellschafter und c) des einstimmigen Beschlusses des Beirats (zu dem gleich mehr). Aber formal-juristisch wäre trotzdem ein Ausschluss von Backhaus möglich gewesen. Das ist nicht wegzudiskutieren. Letztlich waren noch für vertragsändernde Beschlüsse die Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter nötig.

Der eben kurz erwähnte Beirat sollte erstens die Geschäftsführung überwachen und zweitens dafür sorgen, dass die Grundsätze und Ziele des Gesellschaftervertrags eingehalten werden. Darüber hinaus gab es eine Reihe zentraler Aufgaben, für die die Geschäftsführung die Zustimmung des Beirats benötigte. Der Beirat war nicht-paritätisch konstruiert – aber zugunsten der Mitarbeiter:innen: Die vier persönlich haftenden Gesellschafter bestimmten zwei, die Partner/stillen Gesellschafter drei Vertreter:innen für den Beirat für eine jeweilige Periode von fünf Jahren. Die Rechte des Beirats gingen “weit über das hinaus…, was selbst im neuen Betriebsverfassungsgesetz den Arbeitnehmern zugestanden wurde. So hat der Betriebsrat beispielsweise ein Veto bei allen Personalentscheidungen, das er nicht einmal zu begründen braucht.” (Spiegel 1972) Die Zustimmungspflicht betraf Entscheidungen wie:

  • “Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Grundstücken,
  • Errichtung von Neu- oder größeren Umbauten,
  • Anschaffung von Gegenständen des Anlagevermögens mit einem Einzelwert über 20.000 DM,
  • Errichtung oder Aufhebung von Zweigniederlassungen,
  • Aufnahme neuer Produktionszweige,
  • Bestellung von Prokuristen,
  • Abschluss von Anstellungs- und Arbeitsverträgen mit einer Monatsvergütung von über 1.500 DM brutto” (Wikipedia)

Desweiteren gab es noch einen Schlichtungsausschuss für den Fall von Streitigkeiten. Dieser war genauso aufgebaut wie der Beirat: 5 Mitglieder, 2 durch die persönlich haftenden Gesellschafter entsandt, drei weitere durch die stillen Gesellschafter:innen. Diese jeweilige Besetzung war ebenfalls für fünf Jahre im Amt.

1973 kam noch ein Hauptausschuss hinzu, da die Öffnung des Gesellschaftervertrags (gleich mehr im nächsten Abschnitt) dazu führte, dass die Gesellschafterversammlung zu einer Massenveranstaltung führte, die nicht mehr praktikabel Entscheidungen fällen konnte, was heute aufgrund unserer Internet basierten Technologien viel einfacher möglich wäre. Irgendwann waren es über 100, dann über 200 und schließlich sogar gut über 300 stille Gesellschafter. So wurde das Unternehmen in funktionelle Bereiche aufgeteilt, die jeweils eine(n) Vertreter:in für den Hauptausschuss bestimmen durften und sollten. Somit kam ein weiteres, deutlich kleineres Entscheidungsgremium mit 25 Personen hinzu. Die Präambel der Gesellschaftsordnung stellte klar, dass dieser Ausschuss monatlich wichtige Fragen und Probleme zur Diskussion stellt und vor den Gesellschafterversammlungen Informationsveranstaltungen organisiert. Für Fachthemen wurden fünf Arbeitskreise gebildet (Finanzen, Personal, Technik, Vertrag und Wirtschaft).

Das Beteiligungsmodell

Die Beteiligung am Unternehmen war freiwillig. Um Gesellschafter:in zu werden, musste ein schriftlicher Antrag gestellt werden, der in der Gesellschafterversammlung durch einen Mehrheitsbeschluss angenommen wurde. Um diesen Antrag zu stellen gab es in einer ersten Phase zwei Bedingungen: Das Mindestalter lag bei 25 und einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 5 Jahren. Einige Jahre später wurden diese Werte auf 21 und 1 geändert, da die Bedingungen der ersten Generation zunehmend als zu große Hürde wahrgenommen wurden und eine elitäre Zweiklassen-Gesellschaft drohte. Zudem folgte später zur Aufnahme als Gesellschafter:in eine verbindliche Teilnahme an einem Neugesellschafter-Seminar, um sich das nötige Wissen zu erarbeiten, das zuvor häufig am Anfang fehlte.

Sobald Mitarbeitende als stille Gesellschafter:innen angenommen wurden, waren sie berechtigt, abhängig von ihrem Gehalt am Gewinn zu partizipieren. Von ihrem jeweiligen Gewinn mussten sie allerdings 60% einem eigenen Kapitalkonto zukommen lassen bis ihre Einlage das Dreifache ihres Jahresgehalts erreicht hatte. Dies diente der Liquidität der Firma für deren Investitionen etc. Von den verbleibenden 40% mussten noch die Kapitalertragssteuer sowie eine 2% Spende an die eigens gegründete Carl-Backhaus-Stiftung abgeführt werden. Der Rest wurde dann ausgeschüttet. Bei Austritt aus dem Unternehmen wurde das Guthaben auf dem Kapitalkonto als Abfindung an die ausscheidenden Mitarbeiter:innen ausgezahlt. Gerd Andresen, der das Ahrensburger Modell neben anderen analysierte, stellte klar, dass genau dieser Schritt später problematisch wurde (vgl. Andresen 1978: 48).

Alternative Erfolgsbeteiligung zum Ahrensburger Modell
Erfolgreiche Erfolgsbeteiligung bei der Autowelt Hoppmann. Zum Lesen anklicken. Aus: Zeuch (2015): Alle Macht für niemand.

Das Erfolgsbeteiligungsmodell der Autowelt Hoppmann ist dazu im Vergleich deutlich klüger aufgebaut, zumal es nach meiner Kenntnis seit gut über 50 Jahren immer noch gültig ist und funktioniert. Dort wurde zunächst vom Gewinn vor der Körperschaftsteuer 6% als Eigenkapitalverzinsung abgezogen, die verbleibende Summe wurde dann zu je 50% an das Unternehmen und an die Belegschaft ausgegeben. Die 50% für die Belegschaft wiederum wurden wieder gehälftelt: 50% wurden jährlich ausgeschüttet, davon die Hälfte in bar monatlich, die andere am Jahresende. Die andere Hälfte, von den 50% für die Belegschaft wurden als Investivanteil auf ein Darlehenskonto eingezahlt. Davon erhielten die Mitarbeitenden 6% Verzinsung jährlich ausgezahlt. Am Ende der Beschäftigung wurde der Investivanteil ausgezahlt. (vtl. Zeuch (2015): 90-106) Soweit in Kürze die Eckdaten vom Ahrensburger Modell.

Carl-Backhaus-Stiftung

Gemäß Arnulf Geißler, dem Geschäftsführer der Stiftung seit 1969, diente die Stiftung dazu, einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft zu leisten. Dies soll durch folgende Funktionen ermöglicht werden:

  1. Neutralisierung des Vermögens von Backhaus als Erbin
  2. Förderung sozial- und betriebswissenschaftlicher Untersuchungen zur Mitbestimmung der Arbeitnehmenden und ihrer Beteiligung an Betriebsgewinnen
  3. Förderung des öffentlichen Diskurses zur Unternehmens- und Wirtschaftsdemokratie durch kostenfreie Publikationen der Ergebnisse aus Punkt 2.

Nachdem die finanzielle Situation dauerhaft positiv geklärt war, wurde Geißler eingesetzt und ein Forschungsauftrag an den Politologen und Sozialwissenschaftler Fritz Vilmar vergeben. Daraus resultierten die zwei Bücher “Menschenwürde im Betrieb” und “Industrielle Demokratie in Westeuropa”. Vilmar hatte darüber hinaus noch weitere wichtige Publikationen im Bereich Unternehmens- und Wirtschaftsdemokratie verfasst. Leider war die Stiftung nicht direkt mit dem Unternehmen verbunden, sondern existierte lose nebenher und musste durch Spenden der Gesellschafter:innen finanziert werden (s.o.). Ganz anders das Modell der Autowelt Hoppmann, bei der die soziale Stiftung die alleinige Gesellschafterin der GmbH ist. Bis heute, übrigens.

Verlauf, Probleme und das Ende

Die ersten Jahrzehnte waren durchaus erfolgreich. Nicht nur, dass das Unternehmen nach der Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg ein klein wenig dem Phönix aus der Asche glich. Auch viele Jahre danach ging es gut voran. Backhaus und Rodmann bewiesen, dass sie als Unternehmer erfolgreich sein konnten. Sie eröffneten noch vor der BASF den ersten Standort in Amerika und selbst China hatte Backhaus schon lange vor dem viel später einsetzenden Boom auf dem Schirm gehabt. Und sie zeigten auch eine gewissen unternehmerische – nun ja: Chuzpe: “Von einer Amerikareise brachte [Backhaus] einen Hochdrucktacker mit. … In Ahrensubrg wurde die Maschine auseinandergenommen und kopiert. Bald schon waren die Deutschen weltweit konkurrenzfähig.” (Karkowski 2010) Ob wir Deutschen schon vor China eine erfolgreiche Copycat waren, weiß ich nicht wirklich, aber zumindest haben wir dieses Spiel auch gespielt. Diese kleine Geschichte zeigt denn auch eine gewissen Widersprüchlichkeit im Verhalten von Backhaus. Zwischenbetriebliche Fairness und Respekt gehen anders.

Die Arbeit im Unternehmen muss wohl im Vergleich zu anderen Arbeitgebern überaus attraktiv gewesen sein. Karkowski schrieb gar, es sei “ein bisschen wie im Paradies: Der Haustarifvertrag bot gerade einfachen Arbeitern deutlich höhere Löhne als der Flächentarifvertrag. Auch die Weiterbildung kam nicht zu kurz. Bewerber standen Schlange, die Ausbildungsquote lag bei 8 Prozent, entlassen wurde niemand. Fast jeder, der konnte, wurde Kommanditist. Das bedeutete auch Mitspracherechte, aber vor allem Geld. Anfang der siebziger Jahre verdiente ein Kommanditist noch einmal das Dreifache seines Jahresgehalts. (ebnd.)

Der Erfolg des Unternehmens führte dann aber auch zu problematischen Spannungen hinsichtlich der demokratischen Führung. Durch das Wachstum kamen immer mehr neue Mitarbeiter:innen hinzu, und so erlebten sie, wie nicht nur die Geschäftsführung, sondern die schon zuvor dort Angestellten “immer reicher wurden, während sie zu “jung” für Anteile waren.” (ebnd.) Dies bezog sich auf die oben beschriebene erste Regelung, dass stille Gesellschafter mindestens 25 Jahre Alter und 5 Jahre Betriebszugehörigkeit vorweisen müssen. Dadurch kam es zu der oben schon beschriebenen Veränderung auf 21 Jahre Alter und nur noch 1 Jahr Zugehörigkeit. Das wiederum führte bei den Alteeingesessenen zu Unmut, die Ihre Anteile “ungern mit so vielen Neu-Behrensianern teilen wollte[n].” (ebnd.)

Diese Entwicklung brachte eine gewissen Lawine ins Rollen: Einer der vier Geschäftsführer, Günther Plön, war der Erste, der das Unternehmen von sich aus verließ und seine Anteile mitnahm. Das implizite Tabu war damit hinfällig, ihm folgten weitere Mitarbeiter:innen. Zwar wurde die Auszahlung über drei Jahre gestreckt, aber trotzdem hatte dies einen deutlich negativen Einfluss auf die Bilanz. Davon wiederum waren die Banken nicht begeistert und dann kam es noch zu der Ölkrise 1973 wodurch die Produkte von Behrens infolge der Währungsprobleme des Dollars teurer wurden. So ging der Absatz drastisch zurück und die ersten Entlassungen wurden nötig. Dies war, wie es Karkowski gut auf den Punkt brachte, der zweite “Tabubruch: Behrens war nicht mehr das sichere, erfolgreiche Unternehmen, das alle kannten. Niemand, die Geschäftsführer eingeschlossen, wusste, wie man auf die Krise reagieren sollte. Die Mitarbeiter waren nicht minder kopflos. Was würde aus all dem Geld, das die Kommanditisten im Unternehmen gelassen hatten? Das Damoklesschwert eines „Bank Run” hing über den Ahrensburgern: Wer Geld abzog, gefährdete alles. Wer abwartete, drohte mit leeren Händen dazustehen.” (ebnd.).

Tragischerweise kam noch hinzu, dass Backhaus infolge einer Verschuldung seine Anteile ebenfalls abziehen musste, um seine Verpflichtungen zu bedienen. Infolge dessen schied er selbst aus dem Unternehmen aus. Tragisch insofern, als dass zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt das Ahrensburger Modell auch in der Öffentlichkeit zunehmend besser ankam. Zu seinem 70. Geburtstag gratulierte ihm sogar Willy Brandt. Durch die zunehmende Bekanntschaft spendete er mehr und mehr, kaufte weitere angeschlagene Unternehmen – und so kam es zu seiner Verschuldung, die wiederum die negativen Konsequenzen für seine eigentliche Firma nach sich zogen.

Letztlich kam es durch Druck der Banken zu einer Umfirmierung zu einer Aktiengesellschaft, um so einen weiteren Kapitalabfluss zu verhindern. Dabei wurden die demokratischen Ideale des Ahrensburger Modells aufgegeben, die einstigen Kommanditisten, deren Anteile als stille Gesellschafter in Aktien verwandelt wurden, konnten nun diese Anteile in Form von Aktien an Außenstehende verkaufen. Darüber hinaus wurde die betriebliche Mitbestimmung gemäß der Regelung ein Mensch, eine Stimme gemäß des Aktiengesetzes geändert. Fortan bestimmte die Aktienanzahl die Stimmenanzahl. Das Ahrensburger Modell war Geschichte.

Kritische Würdigung

Es ist im Nachhinein mit vielen Jahren Abstand nicht leicht, ein solches Modellprojekt ausgewogen zu bewerten, vor allem nur auf der Basis von Literaturquellen, ohne mit ehemaligen Mitarbeitenden oder der Geschäftsführung gesprochen zu haben. Offensichtlich ist: Das Ahrensburger Modell konnte sich nicht dauerhaft etablieren, es ist am Ende wohl aus recht verschiedenen und teils voneinander unabhängigen Gründen gescheitert. Es gab Elemente der Betriebsverfassung mit der Mitbestimmung und Beteiligung, die aus meiner Sicht nicht gut konstruiert waren; es gab externe Gründe wie die Ölkrise, die auch anderen Unternehmen das Genick gebrochen hatte; und letztlich das tragische Momentum des Carl Backhaus, der sich nach so vielen Jahren erfolgreichen Unternehmenertums finanziell überhoben hatte. Zu Beginn dieses letzten Abschnitts deshalb kurz als Stichpunkte die Erfolge:

  • Über das Gesetz hinausgehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
  • Weitere Mitbestimmungsmöglichkeiten über weitere Gremien
  • Unkündbarkeit und Verdienstsicherung für Mitarbeitende ab 54 Jahre bei mindestens 5 Jahre Betriebszugehörigkeit
  • Bessere Verdienstmöglichkeiten durch Anteile
  • Ein Rationalisierungsschutzabkommen
  • Für Mitarbeitende die wegen Arbeitsmangel entlassen wurden einen einjährigen Wiedereinstellungsanspruch
  • Einen von 41% (1961) auf 70-80% (1978) gesteigerten gewerkschaftlichen Organisationsgrad

Ähnlich wie Andresen und auch der über die Carl-Backhaus-Stiftung beauftragte Fritz Vilmar halte ich die mangelnde direkte Mitbestimmung für einen der Hauptgründe des Scheiterns. Wie allgemein üblich gab es nur eine relativ basisferne institutionelle Mitbestimmung über den Betriebsrat sowie den Beirat. Diese beiden Gremien hatten die Möglichkeit, bei unternehmerischen Entscheidungen mitzuwirken. Dieselbe Problematik sehen wir bis heute in allen Betrieben, in denen es eine institutionelle, aber keine freie Form der Mitbestimmung gibt. Es ist eine Parallele zur gesellschaftlichen Demokratie, so dass durch das repräsentative Modell in der Firma eine “Entfremdung und Verselbstständigung der Mandatsträger:innen einerseits und Gleichgültigkeit der Wähler:innen andererseits” (Andresen: 63) zu beobachten war. Dies zeigt sich auch in dem mangelnden Interesse am für alle offenen Weiterbildungsangebot. Zudem löst die institutionelle Mitbestimmung keine Probleme wie einen Innovationsstau und damit eine mangelnde Anpassung an die Unternehmensumwelt oder zu langsame Entscheidungsprozesse.

Ein weiteres schwerwiegendes Problem scheint das Beteiligungsmodell gewesen zu sein. Erstens hat es in der anfänglichen Version (ab 25 Jahre Alter und 5 Jahre Betriebszugehörigkeit) für eine Spaltung zwischen neuen und alteingesessenen Mitarbeitenden geführt. In der überarbeiteten Version kam es dann zu Unstimmigkeiten seitens der Älteren Arbeitnehmer:innen, die dann mit den neuen stillen Gesellschafter:innen teilen mussten. Zudem führte die Auszahlung des Kapitalkontos zu der Situation am Ende mit einem bedrohlichen Kapitalabfluss. Hier scheint eine finanziell gleiche Beteiligung für alle wie bei der Autowelt Hoppmann ein deutlich besseres Vorgehen. Denn die ähnliche Konstruktion der freiwilligen Gesellschafteroption hatte auch bei der ehemaligen Wagner Solar GmbH & Co. KG zu ähnlichen Problemen geführt wie bei Behrens (vgl. Zeuch 2015: 185-196).

Desweiteren gab es Probleme mit einer systematischen begleitenden (selbstbestimmten) Weiterbildung für alle. Es gab zwar ein Bildungsangebot über die Stiftung, aber wenig Interesse daran, wie eben schon erwähnt. Aus meiner Sicht kein Wunder, denn die meisten Mitarbeitenden waren ja wie üblich durch das repräsentative System von der Mitbestimmung, Führung und Gestaltung des Unternehmens ausgeschlossen. Der Fall verdeutlich das wichtige Zusammenwirken direkter Mitbestimmung einerseits und einer dafür entwickelten partizipativen Weiterbildung andererseits. Leider liegen mir noch keine Informationen vor, was die Inhalte der vorhandenen Weiterbildung waren. Für eine weitere Reflexion wäre das eine Voraussetzung.

Über diese formalen Aspekte hinaus stellt sich noch die Frage, welche persönliche Rolle vor allem Backhaus und Rodmann selbst spielten. Ihre “Kampfgemeinschaft für totale Demokratie” ist überaus fraglich, auch wenn sie nicht direkt Teil des Ahrensburger Modells war. Das Adjektiv “total” ist nach der NS Zeit im Zusammenhang mit einem politischen System völlig verunglückt. Allerdings deutet es auf ein – sagen wir – extrem großes Engagement in, intensiv gegen die Möglichkeit der Wiederkehr eines totalitären Regimes vorzugehen. Umso mehr befremdet diese Formulierung und irritiert, wie Backhaus und Rodmann wohl menschlich agierten. Andererseits deutet zumindest Backhaus Umgang mit dem Niedergang des Ahrensburger Modells und seiner privaten Insolvenz auf eine auch emotional kluge Persönlichkeit hin: “So konnte sich mancher Arbeiter ein hübsches Häuschen im Grünen leisten, während Backhaus mittellos – Utz hatte ihm eine kleine Rente zugeschustert – bis zu seinem Tod 1992 im Altersheim lebte. „Er war nicht verbittert, er nahm selbst mir nicht übel, dass ich das Ahrensburger Modell beendet habe. Denn so lange er Behrens geführt hatte, hatte ja sein Traum Bestand gehabt.” [sagte Karl Utz, der als Vorstandsvorsitzender die Umfirmierung vornehmen musste, um das Unternehmen zu retten].” (Karkowski 2010)

Eine bewegte Geschichte, ein gewagtes Sozialexperiment. Es ist gescheitert. Kein Aber, sondern und: Wir können viel draus lernen. Ich hatte der heutigen BEA GmbH am 07. Juni eine Anfrage gesendet für ein Interview, um zu erfahren, wie die ersten Jahre nach der Umfirmierung in die AG gelaufen sind und wie es danach weiterging und was dort heute über das Ahrensburger Modell gedacht wird, denn auf der Website ist dazu trotz einer Historie nichts zu finden. Bislang habe ich keine Antwort erhalten.

 

Herzliche Grüße

Andreas

 

Literatur

  • Andresen, Gerd (1978): Wirtschaftsdemokratie in der Praxis. Möglichkeiten und Grenzen der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen am Bespiel des “Ahrensburger Modells. In: Huber, J.; Kosta, J. (Hrsg.): Wirtschaftsdemokratie in der Diskussion. EVA: 45 -73
  • Backhaus, C. (1971): Begrüßungsansprache. In: Kleine cbs-Schriftenreihe, Heft 3: Mitbestimmung contra Partnerschaft: 5
  • cbs-Dokumentation 1. (1972): Gesellschaftsvertrag des Modellbetriebs Joh.Friedrich Behrens.
  • Der Spiegel (1972): Unabsehbarer Strudel. Spiegel 16/1972
  • Geißler, A. (1973): Fragen genossenschaftlicher Unternehmensdemokratie – dargestellt am Beispiel des “Ahrensburger Modells”. In: Fricke, W.; Geißler, A. (Hrsg.): Demokratisierung der Wirtschaft. Hoffmann und Campe: 146-181
  • Karkowski, B. (2010): Der Traum ist aus. www.wirmagazin.de
  • Zeuch, A. (2015): Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten. Murmann

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Wolf1949H, CC0
  • Portrait Backhaus: ©Raimund Marfels, CC BY-NC-SA 4.0, Quelle: Kreisarchiv Stormann
  • Grafik Mitbestimmung: ©Lennart Morawietz, Nutzungsrecht: unternehmensdemokraten
  • Erfolgsbeteiligung Hoppmann: ©Andreas Zeuch 2015, Alle Macht für niemand
  • Buchcover: Europäische Verlangsanstalt, Hoffmann und Campe

 

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